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Upanishaden : OM

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Von Schopenhauers Philosophie

 zu den altindischen Upanishaden

Arthur Schopenhauer, so heißt es in einer der wichtigsten Schopenhauer-Biografien, suchte “bei dem ältesten urkundlich überlieferten Glauben der Menschheit Trost und Beruhigung. Das Oupnekhat [ Upanishaden ]  lag auf seinem Tisch und vor dem Schlafengehen verrichtete er darin seine Andacht”.(1) Die altindischen Upanishaden, in denen Schopenhauer Trost und Bestätigung seiner philosophischen Ansichten fand, gehen noch tiefer als seine spirituell schon sehr tiefe Philosophie. Sie enthalten zu Fragen, die weit in die Metaphysik reichen, Antworten, die Schopenhauer als Philosoph - wenn überhaupt - nur sehr begrenzt geben konnte.

Das zeigte sich zum Beispiel bei zwei Fragen, die Schopenhauers “Erzevangelist” und Herausgeber seiner Werke, Julius Frauenstädt, dem Philosophen während eines Spazierganges stellte.  Diese Fragen und die Antworten Schopenhauers darauf sind sehr aufschlussreich, denn aus ihnen wird deutlich, dass eine weitere Vertiefung der dort angesprochenen Themen über das hinausführt, was im Rahmen der Philosophie Schopenhauers, die an Kants “Kritik der reinen Vernunft” orientiert ist,  ausgesagt werden kann. Schon deshalb ist der folgende Bericht Frauenstädts über seine Begegnung mit Schopenhauer von besonderer Bedeutung:

“Als wir schon weit von der Stadt weg an einem einsamen Orte waren, wo wir nicht zu befürchten hatten, von irgend Jemanden im Philosophiren gestört oder behorcht zu werden, rückte ich endlich mit einigen meiner Einwendungen gegen die ´Welt als Wille und Vorstellung` heraus, begierig, was Schopenhauer darauf erwidern würde.

Nach Ihrer Lehre, sagte ich, ist der Wille der Herr und der Intellekt der Diener, ein Secundäres, ein blosses Werkzeug, von dem Willen hervorgebracht für den Dienst seiner Zwecke, welches nach den Erfordernissen dieses Dienstes mehr oder weniger vollkommen und komplicirt ist. Wie nach den Zwecken des Willens einer Thiergattung sie mit Huf, Klaue, Hand, Flügeln, Geweih oder Gebiss versehen auftritt, so auch mit einem mehr oder weniger entwickelten Gehirn, dessen Funktion die Intelligenz ist. (Vergl. Welt als Wille und Vorstell. Bd. II., Cap. 19. vom Primat des Willens im Selbstbewusstseyn.)

Dennoch hebt der Intellekt, im Menschen auf den Gipfel der Erkenntniss gelangt, zuletzt im Heiligen das Wesen des Lebens durchschauend, den Willen auf. Wie kommt nun, fragte ich, der Diener, das Werkzeug dazu, sich über seinen Herrn und Schöpfer so zu erheben, dass er ihn sogar aufhebt? Setzt dieser höhere Intellekt nicht einen höhern Willen voraus? —

Schopenhauer wollte von einem doppelten Willen nichts wissen, sondern sagte: Was Ihren Einwurf betrifft, so ist die Sache einfach diese. Ein Wanderer verfolgt, mit einer Laterne in der Hand, einen Weg; plötzlich sieht er sich an einem Abgrund stehen und kehrt um. Der Wanderer ist der Wille zum Leben, die Laterne der Intellekt; beim Lichte dieser sieht der Wille, dass er auf einem Irrwege sich befindet, an einem Abgrunde steht, und er wendet sich, er kehrt um.

[... Ich] legte ihm gleich eine zweite Frage vor. Müsste nicht, sagte ich, da nach Ihrer Lehre der Wille in jeder Erscheinung, in jedem Individuum ganz und ungetheilt ist, die Aufhebung desselben in einem Individuum, einem Heiligen, die Aufhebung desselben in der ganzen Welt zur Folge haben? Müsste also nicht ein Heiliger im Stande sein, die ganze Welt zu erlösen? -

Diesen Einwurf, erwiderte Schopenhauer, machen Sie mir nicht zuerst, sondern man hat ihn mir schon 1819, gleich nach dem Erscheinen der ´Welt als Wille und Vorstellung` gemacht. Ich kann aber darauf nur erwidern: In der einen Erscheinung verneint sich der Wille, in der andern nicht. Wie das zugeht, weiss ich nicht; denn ich habe es nicht auf mich genommen; alle Räthsel der Welt zu lösen. Ich habe schon in der ´Epiphilosophie` (im Schlusskapitel des 2. Bandes der Welt als Wille und Vorstellung) gesagt, dass wir nicht wissen können, ´wie tief im Wesen an sich der Welt die Wurzeln der Individualität gehn?` [...]

Aus allen solchen Antworten wurde mir nun freilich klar, dass auch die Schopenhauersche Philosophie noch einen ungelösten Rest übrig lasse  ...”(2)

Arthur Schopenhauer hatte die ihm als Philosoph gesetzten Grenzen durchaus anerkannt:

Nie jedoch habe ich mich vermessen, eine Philosophie aufzustellen, die keine Fragen mehr übrig ließe. In diesem Sinne ist Philosophie wirklich unmöglich: [...] es gibt eine Grenze, bis zu welcher das Nachdenken vordringen und so weit die Nacht unsers Dasein erhellen kann, wenngleich der Horizont stets dunkel bleibt. Diese Grenze erreicht meine Lehre im Willen zum Leben ...”(3)    

 Den, der über diese Grenze hinaus weiter fragt, verwies Schopenhauer auf die Upanishaden:

Wer [...] zu der Erkenntnis, bis zu welcher allein die Philosophie ihn leiten kann, [...] Ergänzung wünscht, der findet sie am schönsten und reichlichsten im Oupnekhat.”(4)

Der Oupnekhat ist eine lateinische Übersetzung der in der altindischen Sanskrit-Sprache  abgefassten Upanishaden. Schopenhauer hielt sie für “das größte Geschenk dieses Jahrhunderts”(5).  Sie seien “der Trost meines Lebens gewesen”  und sie werden auch “der meines Sterbens seyn”(6).

Diesem eindrucksvollen Bekenntnis Schopenhauers folgend, hat der Arthur-Schopenhauer-Studienkreis in seine Webseiten auch die Upanishaden einbezogen. Für manche Leser mögen sie eine wichtige, vielleicht sogar notwendige Ergänzung zu Schopenhauers Philosophie sein, für Arthur Schopenhauer  jedenfalls waren die Upanishaden “die belohnendeste und erhebendeste Lektüre, die auf der Welt möglich ist”(7).

 

Anmerkungen

(1)
Wilhelm v. Gwinner: Schopenhauers Leben, 3. Ausg.,
Leipzig 1910, S. 342.

(2) Ernst Otto Lindner und Julius Frauenstädt:
Arthur Schopenhauer. Von ihm. Über ihn.
 Berlin 1863, S. 151 ff.

(3) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977,
 Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II,  S. 693.
 
(4) Ebd., S. 716.

(5) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band II:
Die Welt als Wille und Vorstellung I,  S. 442.

(6) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band X:
Parerga und Paralipomena II, S. 437.

(7) Ebd
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