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Arthur Schopenhauers Autobiografie (1851)

Die von Arthur Schopenhauer 1851 , also in seinem letzten Lebensjahrzehnt, verfasste Autobiografie ist zwar kurz, aber dennoch sehr aufschlussreich, weil er sich dort rückblickend auch zu den Quellen seiner Philosophie  äußerte.

Diese Autobiografie, die  in  einem Brief Schopenhauers an den Philosophieprofessor Johann Eduard Erdmann enthalten ist, wurde von Schopenhauer, wie er in einem späteren Brief erklärte, bewusst kurz abgefasst: “Meine Biografie will ich nicht schreiben, noch geschrieben wissen: die kleine Skizze, die ich dem Erdmann auf Verlangen gemacht, ...genügt. Mein Privatleben will ich nicht der kalten und übelwollenden Neugier des Publikums zum besten geben.”(1) Dementsprechend hatte Schopenhauer schon am Anfang seines Briefes an Erdmann diesen darauf hingewiesen, dass er “die Neigung des Publikums von der Sache zur Person überzugehn” nicht billigen könne und er “selbst allezeit” seine “Person aus dem Spiele gelassen habe”.  Somit ist es durchaus verständlich, wenn Schopenhauer eher widerwillig als freudig bereit war, biografische Auskünfte über seine Person zu geben und sich  die folgende Autobiografie nur auf das beschränkt, was Schopenhauer zu seinem  Leben und Werk für mitteilenswert hielt:

“... Ich bin d. 22 Febr 1788 in Danzig geboren, wo mein Vater einer der angesehensten Kaufleute der Stadt war, meine Mutter aber die später durch ihre  Schriften berühmt gewordene Johann S. -

Das evangelium infantiae [Geschehen in der Kindheit], als welches uns nach Frankreich und England führen würde, übergehend berichte ich, daß ich 1809 die Universität Göttingen bezogen habe, wo ich Naturwissenschaften und Geschichte hörte, als ich im 2ten Semester, durch die Vorträge des G. E. Schulze, Aenesidemus, zur Philosophie auferweckt wurde. Dieser gab mir darauf den weisen Rath, meinen Privatfleiß fürs Erste ausschließlich dem Plato und Kanten zuzuwenden und, bis ich diese bewältigt haben würde, keine andern anzusehn, namentlich nicht den Aristoteles, oder den Spinoza. Bei der Befolgung dieses Rathes habe ich mich sehr wohlbefunden. -

1811 siedelte ich nach Berlin über, in der Erwartung, einen achten Philosophen und großen Geist in Fichten kennen zu lernen: diese Verehrung a priorí [von vornherein] verwandelte sich aber bald in Geringschätzung und Spott. Doch machte ich seinen Cursus durch.

1813 bereitete ich mich zur Promotion in Berlin vor, wurde aber durch den Krieg verdrängt, befand mich im Herbst in Thüringen, konnte nicht zurück und sah mich genöthigt mit meiner Abhandlung über den Satz vom Grunde in Jena zu promoviren.

Darauf brachte ich den Winter in Weimar zu, wo ich Göthe's nähern Umgang genoß, der so vertraut wurde, wie es ein Altersunterschied von 39 Jahren irgend zuließ, und wohlthätig auf mich gewirkt hat.

Zugleich führte, unaufgefordert, der Orientalist Friedrich Majer mich in das Indische Alterthum ein, welches von wesentlichem Einfluß auf mich gewesen ist.

Von 1814 bis 1818 habe ich in Dresden privatisirt, die Bibliotheken und Kunstsammlungen zu vielseitigen Studien benutzend und in der schönen Umgebung meinen Gedanken nachhängend.

Als eine Episode meines damaligen Strebens erschien 1816 meine Abhdlg über das Sehn und die Farben.

Während dieses vierjährigen Aufenthalts in Dresden ist es gewesen, daß in meinem Kopfe, gewissermaaßen ohne mein Zuthun mein philosophisches System, strahlenweise wie ein Krystall zu einem Centro konvergirend, zusammenschoß, so wie ich es sofort im ersten Bande meines Hauptwerks niedergelegt habe.

Mich haben nicht die Bücher, sondern die Welt hat mich befruchtet.

Sobald ich das M. S. dem Verleger übergeben hatte, reiste ich im Herbst 1818 nach Rom und Neapel.

Zurückgekehrt habilitirte ich mich im Frühjahr 1820 an der Universität zu Berlin, wo ich nunmehr auch in das Buch der daselbst promovirten Doktoren eingeschrieben wurde.

Ich habe im ersten Semester gelesen und seitdem nie wieder. Vielmehr reiste ich im Frühling 1822 abermals nach Italien, kam 1825 nach Berlin zurück, wo ich seitdem wieder im Lektionskatalog figurirte, ohne je zu lesen.

1830 verfaßte ich, zum Nutzen des Auslandes, eine umgearbeitete, lateinische Darstellung meiner Abhdlg über das Sehn und  die Farbe [...]

1831 gieng ich der nach Berlin vordringenden Cholera aus dem Wege, vorläufig hieher, wo ich aber seitdem sitzen geblieben bin, eben nur, weil mir das Klima zusagte und die comforts des Orts gefielen.

Nachdem ich seit 1818, mit Ausnahme erwähnter  lateinischer Umarbeitung, nichts herausgegeben, sondern in Folge der Nichtbeachtung  meines Werkes, zugleich mit der Hegelgloría, im Schweigen der Indignation geblieben war, schrieb ich hier 1836 meine Abhdlg über den Willen in der Natur, eine Schrift von geringem absoluten, aber großem specifischen Gewicht, da sie den Kern meiner Metaphysik, den eigentlichen nervus probandí [Hauptbeweisgrund] der Sache, gründlicher darlegt, als irgend eine andere.

Sodann beantwortete ich 1838 & 39 die beiden skandinavischen Preisfragen, die 1841 als Grundprobleme der Ethik erschienen sind.

1844 folgte die um das Doppelt vermehrte 2te Auflage meines Hauptwerks und 1847 die sehr verbesserte meiner Doktordissertation.

Ich habe das für einen Mann meiner Art unschätzbare Glück gehabt, stets meine Subsistenz [Lebensunterhalt] gesichert zu wissen und nie in den Fall zu kommen, für Geld arbeiten, oder ein Amt suchen zu müssen. Dies hat mir den ungestörten Besitz meiner Zeit und Kräfte gelassen und zudem mir jene aufrechte Haltung verliehen, ohne welche Werke, wie die meinigen nicht zu Stande kommen ...” (2)

Die obige Autobiografie Schopenhauers ist, wie bereits erwähnt, auch deshalb aufschlussreich, weil sie sehr interessante Angaben zum Entstehen seiner Philosophie enthält. Das betrifft zum Beispiel Schopenhauers Hinweis auf den Orientalisten Friedrich Majer, der zum vertrauten Freundeskreis Herders gehörte und in Weimar häufiger Gast bei Johanna Schopenhauer, also der Mutter des Philosophen, gewesen war.  Seine Einführung in das “Indische Alterthum” war, wie Schopenhauer   meinte, “von wesentlichem Einfluß auf mich gewesen”. Übrigens ist diese Erwähnung “die einzige, in der Schopenhauer sich als Schüler Majers bezeichnet”. (3)

Zur Bedeutung Majers für Schopenhauer stellte Arthur Hübscher in seinem Buch zur Wirkungsgeschichte  Schopenhauers fest , dass  Friedrich  Majer  bereits im Winter 1813/14 “den Weg zur Weisheit Indiens” gewiesen hatte,  “den Schopenhauer bis an sein Lebensende fortgegangen ist”. (4)

Wie sehr insbesondere die altindischen Upanishaden neben Kant und Platon zum Entstehen seiner Philosophie beitrugen, brachte Schopenhauer 1816 auch in einem seiner Manuskriptbücher zum Ausdruck: Ich gestehe ..., dass ich nicht  glaube, dass meine Lehre je hätte entstehen können, ehe die  Upanischaden, Plato und Kant ihre Strahlen zugleich in eines Menschen  Geist werfen konnten. (5)

Außer der Erwähnung  der  Upanishaden sowie den Lehren von Kant und Platon gab Arthur Schopenhauer im obigen Brief noch einen anderen sehr wichtigen und zugleich mysteriösen Hinweis zum Entstehen seiner Philosophie, nämlich dass diese “ohne mein Zuthun” erfolgt sei. Vielleicht ist das einer der am wenigsten rational verständlichen Hinweise auf die Quelle  der tiefen Wahrheit in Schopenhauers Philosophie, die dann wohl einer spirituellen Offenbarung gleichkommt.


Weiteres  > Schopenhauers Philosophie - eine Offenbarung?

 > Zeittafel zu Arthur Schopenhauer und seinem Werk


Anmerkungen

(1) Brief Schopenhauers  vom 15. Juli 1857 an David Asher,
in: Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe,
hrsg. von Arthur Hübscher, 2. Aufl., Bonn 1987, S. 416 f.

(2) Brief Schopenhauers vom 9. April 1851 an Erdmann, in: Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe, a. a. O., S. 260f.

(3) Arthur Schopenhauer , a. a. O., S. 557 f.

(4) Arthur Hübscher , Denker gegen den Strom.
Schopenhauer: gestern - heute - morgen. 4. Aufl.,
Bonn 1988, S. 76. 

(5) Arthur Schopenhauer, Der handschriftliche Nachlaß
in fünf Bänden, hrsg. v. Arthur Hübscher, Band 1,
München 1985, S. 422.

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