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Schopenhauers Philosophie - eine  Offenbarung ?

 Arthur Schopenhauer zum Entstehen seiner Philosophie

Arthur Schopenhauer

Es giebt keine andere Offenbarung,

 als die Gedanken der Weisen.

Arthur Schopenhauer (1)

Der Arthur-Schopenhauer-Studienkreis wurde oft gefragt, von welchen Quellen Arthur Schopenhauer bei der Konzeption seiner Philosophie ausging, insbesondere ob es buddhistische gewesen wären. Die Antwort hierauf gab Schopenhauer selbst. Sie findet sich zunächst in seinen Manuskripten aus dem Jahr 1816, also zwei Jahre vor Erscheinen seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung. Dort vermerkte er:

Ich gestehe übrigens, daß ich nicht glaube daß meine Lehre je hätte entstehn  können, ehe die Upanischaden, Plato und Kant ihre Strahlen zugleich in eines Menschen Geist werfen konnten. (2)

Was den Buddhismus betrifft, so schrieb Arthur Schopenhauer in seinem o. a. Hauptwerk:

Wollte ich die Resultate meiner Philosophie zum Maaßstabe der Wahrheit nehmen, so müßte ich dem Buddhaismus den Vorzug vor den andern zugestehn. Jedenfalls muß es mich freuen, meine Lehre in so großer Übereinstimmung mit einer Religion zu sehn, ... Diese Übereinstimmung muß mir aber um so erfreulicher seyn, als ich, bei meinem Philosophiren, gewiß nicht unter ihrem Einfluß gestanden habe. Denn bis 1818, da mein Werk erschien, waren über den Buddhaismus nur sehr wenige, höchst unvollkommene und dürftige Berichte in Europa zu finden, welche sich fast gänzlich auf einige Aufsätze in den früheren Bänden der ´Asiatic researches`  und haupt- sächlich den Buddhaismus der Birmanen betrafen. (3)

Höchst aufschlussreich ist, wie Schopenhauer zu seinen philosophischen Erkenntnissen gekommen war:

Unter meinen Händen und vielmehr in meinem Geiste erwächst ein Werk, eine Philosophie, die Ethik und Metaphysik in E i n e m   seyn soll, da man sie bisher trennte    so fälschlich als den Menschen in Seele und Körper. Das Werk wächst, concrescirt allmählig und langsam wie das Kind im Mutterleibe: ich weiß nicht was zuerst und was zulezt entstanden ist, wie beym Kind im Mutterleibe: *) ich der [ich] hier sitze und den meine Freunde kennen, begreife das Entstehn des Werks nicht, wie die Mutter nicht das   des Kindes in ihrem Leibe begreift.

*) Ich werde ein Glied, ein Gefäß, einen Theil nach dem andern gewahr d. h. ich schreibe  auf, unbekümmert wie es zum Ganzen passen wird: denn ich weiß es ist alles aus einem Grund entsprungen. So entsteht ein organisches Ganzes und nur ein solches kann leben. Die da meinen man dürfe nur irgendwo einen Faden anzetteln und dann weiter dran knüpfen, eins nach dem andern, in hübsch ordentlicher Reihe, und als höchste Vollendung aus einem magern Faden durch Winden und Weben ein[en] Strumpf wirken [...]  - die irren. (4)

Was mir die Aechtheit und daher die Unvergänglichkeit meiner Philosopheme verbürgt, ist, daß ich sie gar nicht gemacht habe; sondern sie haben sich selbst gemacht. Sie sind in mir entstanden ganz ohne mein Zuthun, in Momenten, wo alles Wollen in mir gleichsam tief eingeschlafen war und der Intellekt nun völlig herrenlos und dadurch   müßig thätig war, die Anschauung der wirklichen Welt auffaßte und sie mit dem Denken parallelisirte, beide gleichsam spielend an einander haltend: ohne daß mein Wille irgendwie der Sache auch nur vorstand, sondern alles sich völlig ohne mein Zuthun,  ganz von selbst machte. Mit dem  Wollen  ist aber auch alle Individualität verschwunden und aufgehoben: daher war mein Individuum hier nicht im Spiel, sondern  es war die Anschauung selbst, rein und für sich, d. h. die rein objektive Anschauung, oder die objektive Welt selbst, die sich in dem Begriff rein und für sich absetzte. Beide hatten meinen Kopf zum Tummelplatz dieser Operation gewählt, weil er dazu tauglich war. Was nicht vom Individuo ausgegangen, ist auch nicht dem Individuo allein eigen: es  gehört der bloß erkennbaren und bloß erkennenden Welt an, bloß dem Intellekt: und der  ist, der Beschaffenheit (nicht dem Grade) nach, in allen Individuen derselbe; solches muß also einst die Einstimmung aller Individuen erhalten. -

Nur was in solchen Momenten ganz willensreiner Erkenntniß in mir sich darstellte, habe ich als bloßer Zuschauer und Zeuge aufgeschrieben und zu meinem Werke benutzt. Das verbürgt dessen Aechtheit und läßt mich nicht irre werden beim Mangel alles Antheils und aller Anerkennung.(5)

Noch 1853, sieben Jahre vor seinem Tod, notierte Schopenhauer in seinen letzten Manuskripten ( Senilia ) Worte, die schon fast von einer auf Erleuchtung gegründeten religiösen Gewissheit zeugen :

Meine Philosophie    ist, innerhalb der Schranken der menschlichen Erkenntniß überhaupt, die wirkliche Lösung des Räthsels der Welt. In diesem Sinne kann sie eine Offenbarung  heißen. Inspirirt ist solche vom Geiste der  Wahrheit  : sogar sind im vierten Buche einige Paragraphen, die man als vom heiligen   Geiste eingegeben ansehn könnte.(6)

Vielleicht liegt hier - neben seiner faszinierenden Sprache - der eigentliche Grund für  die außergewöhnliche Wirkung Schopenhauers : Seine Philosophie ist nicht bloß Ergebnis akademischen Forschens, sondern sie ist - nach Schopenhauers obigen Worten - auch eine Offenbarung.(7) Sie beruht auf mystischem Erleben, vergleichbar mit dem, was der von Schopenhauer hoch geschätzte Mystiker Jakob Böhme, der Philosophus Teutonicus,  erfahren hatte. Zu Recht bezeichnete Alfred Hillebrandt in seiner Einleitung zu den von ihm übersetzten Upanishaden Arthur Schopenhauer als den großen deutschen Mystiker des neunzehnten Jahrhunderts.

Der Vorwurf, Schopenhauer hätte sich durch seine Aussagen nur interessant machen wollen, kann nicht zutreffen, denn seine vorstehend zitierten, im Handschriftlichen Nachlaß enthaltenen Notizen waren nicht für die Öffentlichkeit bestimmt. Das, was Schopenhauer dort zum Entstehen seiner Philosophie notierte, zeigt ihn als Mystiker, der den Rahmen normaler Universitätsphilosophie sprengte. Er war eben nicht nur ein Gelehrter, sondern - was noch wichtiger ist - auch ein spirituell Erfahrener.


Anmerkungen

(1) Arthur Schopenhauer´s sämmtliche Werke, hrsg v. Julius Frauenstädt, 2. Aufl., Neue Ausgabe, Leipzig 1919, 6. Band, Parerga und Paralipomena II, S. 387.

(2) Arthur Schopenhauer. Der Handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden.  Hrsg. v. Arthur Hübscher, München 1985, Band I, S. 422.

(3) Arthur Schopenhauer´s sämmtliche Werke, a. a. O., 3. Band, Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 186

(4) Arthur Schopenhauer . Handschriftl. Nachlaß, a. a. O., Band 1 (1813), S. 55.

(5) Arthur Schopenhauer . Handschriftl. Nachlaß, a. a. O., Band 3 (1825), S. 209.

(6)  Arthur Schopenhauer . Handschriftl. Nachlaß, a. a. O., Band 4, II, S. 8.

(7) Nur in dem von ihm genannten Sinne verstand Schopenhauer seine Philosophie als Offenbarung , “denn” - wie er an anderer Stelle schrieb - “auf Offenbarungen wird, in der Philosophie, nichts gegeben; daher ein Philosoph, vor allen Dingen, ein Ungläubiger sein muß.”
(Arthur Schopenhauer´s sämmtliche Werke, a. a. O., Band 4, Über den Willen in der Natur, S. XV, Anm.).

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