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Eine Betrachtung von Herbert Becker

Albert Einstein

Zu den weltberühmten Persönlichkeiten, die von Arthur Schopenhauer tief beeindruckt wurden, gehörte auch Albert Einstein, dessen fundamentale Erkenntnisse auf dem Gebiete der Physik unser  Verständnis von Welt und Kosmos nachhaltig veränderten. Aber nicht nur Albert Einsteins Schriften zur Physik, sondern auch seine über die Physik hinausgehenden Aussagen  sind von großem Interesse, denn sie zeugen von einer tiefen Lebensweisheit, die in vielem an Arthur Schopenhauer erinnert. Es ist daher verständlich, dass, wie sein Biograf Denis Brian berichtete, “Schopenhauer´s picture used to be in one of Einstein´s  rooms”(1).

Armin Hermann weist in seiner Einstein-Biografie darauf hin, dass Einstein schon frühzeitig philosophische Bücher gelesen hätte, wobei er Schopenhauer “außerordentlich” geschätzt habe: “Oft holte er sich eines der abgegriffenen Bände aus dem Bücherschrank und man sah ihm bei der Lektüre das Vergnügen an”.(2) So sei Arthur Schopenhauer für Albert Einstein der “Lieblingsphilosoph” gewesen. In  diesem Sinne schrieb Armin Hermann, was wohl nicht übertrieben ist,  von “Einsteins geliebter Schopenhauer” und “von seinem geliebten Schopenhauer”.(3) 

Einsteins außerordentliche Wertschätzung Schopenhauers muss aber nicht bedeuten, dass er Schopenhauers Philosophie in allen Einzelheiten zustimmte. Es dürfte zum Beispiel durchaus problematisch sein, Schopenhauers Auffassung von Zeit, Raum und Kausalität mit der von Einstein in Übereinstimmung zu bringen. Wie dem aber auch sei, hinsichtlich ihrer Lebensauffassung gibt es zwischen beiden genialen Denkern erstaunliche Gemeinsamkeiten, was auch in Einsteins Schrift “Mein Weltbild” deutlich wird:

“An Freiheit des Menschen im philosophischen Sinne glaube ich keineswegs. Jeder handelt nicht nur unter äußerem Zwang, sondern auch gemäß innerer Notwendigkeit. Schopenhauers Spruch: ´Ein Mensch kann zwar tun, was er will, aber nicht wollen, was er will`, hat mich seit meiner Jugend lebendig erfüllt und ist mir beim Anblick und beim Erleiden der Härten des Lebens immer ein Trost gewesen und eine unerschöpfliche Quelle der Toleranz ...

Nach dem Sinn oder Zweck des eigenen Daseins sowie des Daseins der Geschöpfe überhaupt zu fragen, ist mir von einem objektiven Standpunkt aus stets sinnlos erschienen. Und doch hat andererseits jeder Mensch gewisse Ideale, die ihm richtung- gebend sind für das Streben und für das Urteilen. In diesem Sinn ist mir Behagen und Glück nie als Selbstzweck erschienen ... Meine Ideale, die mir voranleuchteten und mich mit frohem Lebensmut immer wieder erfüllten, waren Güte, Schönheit und Wahrheit.”(4)

Ganz im Sinne des obigen Zitates äußerte sich Albert Einstein in seinem Brief an Abraham Geller vom 17. April 1933: “Die deterministische Auffassung führt, wenn sie lebendig genug in einem Menschen ist, zu einer milderen und verständnisvolleren Einstellung gegenüber den Mitmenschen, zu einer Dämpfung der Haßgefühle.”(5) Diese Erkenntnis Einsteins  ist keine bloße Vermutung, sondern eine Tatsache, die jeder nachvollziehen kann, der - wie Schopenhauer - die  vermeintlichen Willensfreiheit der Menschen verneint oder sie zumindest bezweifelt. Schwerer hingegen zu verstehen ist, wie der Mensch in der Erkenntnis, dass alles determiniert sei, also mit Notwendigkeit einträte, Trost finden könne. Übereinstimmend mit den oben zitierten Worten Einsteins bemerkte dazu Schopenhauer im ersten Band seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung:

“Denn es gilt von den inneren Umständen, was von äußeren, daß es nämlich für uns keinen wirksamern Trost gibt, als die volle Gewißheit der unabänderlichen Nothwendigkeit. Uns quält ein Uebel, das uns betroffen, nicht so sehr, als der Gedanke an die Umstände, durch die es hätte abgewendet können; daher nichts wirksamer zu unserer Beruhigung ist, als das Betrachten des Geschehenen aus dem Gesichtspunkte der Nothwendigkeit, aus welchem alle Zufälle sich als Werkzeuge  eines waltenden Schicksals darstellen ...” (6)

 Wie allumfassend Einstein die Welt sah, zeigt sich auch in seinem Artikel Religion and Science im New York Times Magazin (9. Sept. 1930). Dort schrieb er, über die traditionellen Religionen hinaus sei “the cosmic religion, a feeling of human impotence and futility in the face of nature ...” Die Einstein-Biografen Fox und Keck bezogen sich auf diesen, für das Verständnis von Einsteins Weltbild  aufschlussreichen Artikel: “He (Einstein) wrote that the universe and its workings are what inspires awe. In this kind of religiosity, the practitioner wishes to experience being part of the universe in a much more holistic way, as opposed to being an individual separate from it. Einstein cited works from Buddhist scripture to the Psalm of David to Schopenhauer`s writings as examples of this kind of mystical experience.”(7)

Einstein erkannte, was vielen nur oberflächlichen Lesern Schopenhauers verborgen blieb, nämlich dass dessen Schriften ein Beispiel sind für eine Art von mystischer Erfahrung. Laut Schopenhauer ist es das principium individuationis, welches den Einzelnen vom Ganzen trennt. Dessen Überwindung war für Schopenhauer wie auch für andere Mystiker eine Voraussetzung, um diese Welt des Leides hinter sich zu lassen.

Kein Zweifel, Einstein stand Schopenhauer nahe. Eine der möglichen Gründe hierfür könnte sein, dass in Einsteins Persönlichkeit etwas angelegt war, was wohl in seinen späteren Lebensjahren deutlicher zum Ausdruck kam, denn, so der bereits erwähnte Einstein-Biograf Denis Brian: “I think a streak of pessimism in the last years started overwhelming him”.(8)

Wer wie Einstein und Schopenhauer die Welt nicht bloß in ihrem schönen Schein, sondern tiefer sieht, neigt wohl unvermeidlich einem Pessimismus zu, der den Alltag erheblich belasten kann. Doch dieser Pessimismus muss nicht “overwhelming”, also überwältigend sein, denn Schopenhauers Philosophie endet nicht im bloßen Pessimismus. Vielmehr enthält sie  in ihrem Kern - und darin durchaus vergleichbar mit dem Buddhismus und den Upanishaden - die Möglichkeit, ja fast schon die Gewissheit der Erlösung. Dieser, für mich entscheidende Aspekt der Schopenhauerschen Philosophie bietet viel Hoffnung und Trost.
                                                                                                                                      
Anmerkungen

(1) Denis Brian, Einstein: A Life, New York 1996, S. 388.
(2) Armin Hermann, Einstein. Eine Biographie,
München 2004, S. 338.
(3) Ebd., S. 508, 524 f., 12.
(4) Albert Einstein, Mein Weltbild. Hrsg. Carl Seelig,
2005, S. 416.
(5) Zit. aus: Armin Hermann, a. a. O., S. 360.
(6) Arthur Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, Zürich 1977, S. 384.
(7) Zit. aus:  Karen C, Fox und Aries Keck,
Einstein A to Z,  Hoboken / New Jersey 2004, S. 256.
(8) Denis Brian, a. a. O., S. 388
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