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Arthur Schopenhauer

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Willensfreiheit und Notwendigkeit

in Arthur Schopenhauers Philosophie

Daß Alles, ohne Ausnahme, was geschieht, mit strenger Notwendigkeit eintritt, ist eine unumstößliche Wahrheit.
Arthur Schopenhauer (1)

Unter dem Titel Niemand ist frei wurde in ZEIT Campus zum Problem der Willensfreiheit Stellung genommen und hierzu auf Schopenhauer verwiesen (2):

“Schopenhauer schrieb: Der Mensch kann zwar tun, was er will. Er kann aber nicht wollen, was er will. Hat er recht gehabt?”

Hierauf antwortete der bekannte Gehirnforscher Professor Gerhard Roth:

“Ja. Die Arbeit von Schopenhauer ist wohl die beste, die je über den freien Willen geschrieben wurde. Der Mensch hat zwar einen Willen, aber er kann diesen Willen nicht selbst willentlich beeinflussen. Das ist auch logisch unmöglich: Wenn wir unseren Willen beeinflussen könnten – wodurch würde der Wille, der unseren Willen treibt, beeinflusst? Wieder durch einen Willen, einen dritten, vierten, fünften? Schon seit dem Mittelalter haben kluge Menschen dieses Problem der willentlichen Willenssteuerung erkannt.”

Im Zusammenhang mit der, wie das obige Zitat zeigt, nicht nur von Schopenhauer verneinten Willensfreiheit stellt sich ferner die Frage, ob im Leben alles so kommt, wie es kommen muss, also ob alles mit Notwendigkeit geschieht. Für Arthur Schopenhauer sind das keine Randthemen, denn das Verneinen der Willensfreiheit und die strenge Notwendigkeit alles Geschehens gehören zu den wichtigsten, aber auch zu den umstrittensten Erkennntnissen seiner Philosophie:

“ Die Frage nach der Willensfreiheit ist wirklich ein Probierstein, an welchem man die tief denkenden Geister von den oberflächlichen unterscheiden kann, oder ein Grenzstein, wo beide aus einander gehn, indem die ersteren sämmtlich das notwendige Erfolgen der Handlung, bei gegebenem Charakter und Motiv, behaupten, die letzteren hingegen, mit dem großen Haufen, der Willensfreiheit anhängen. Sodann giebt es noch einen Mittelschlag, welcher, sich verlegen fühlend, hin und her lavirt, sich und Andern   den Zielpunkt verrückt, sich hinter Worte und Phrasen flüchtet, oder die Frage so lange dreht und verdreht, bis man nicht mehr weiß, worauf sie hinauslief. [...]

Aber um solche Hin- und Her-Redner zur Sache zu bringen, muß man ihnen die Frage folgendermaaßen stellen und nicht davon abgehn:

1) Sind einem gegebenen Menschen, unter gegebenen Umständen, zwei Handlungen möglich, oder nur eine - Antwort aller Tiefdenkenden: Nur Eine.

2) Konnte der zurückgelegte Lebenslauf eines gegebenen Menschen - angesehen, daß einerseits sein Charakter unveränderlich feststeht und andererseits die Umstände, deren Einwirkung er zu erfahren hatte, durchweg und bis auf das Kleinste herab von äußeren Ursachen, die stets mit strenger Notwendigkeit eintreten, und deren aus lauter ebenso notwendigen Gliedern bestehende Kette ins Unendliche hinaufläuft, notwendig bestimmt wurden, - irgend worin, auch nur im Geringsten, in irgend einem Vorgang, einer Scene, anders ausfallen, als er ausgefallen ist? - Nein! ist die konsequente und richtige Antwort.

Die Folgerung aus beiden Sätzen ist: Alles was geschieht, vom Größten bis zum Kleinsten, geschieht notwendig. Quidquid fit necessario fit.

Wer bei diesen Sätzen erschrickt, hat noch Einiges zu lernen und Anderes zu verlernen: danach aber wird er erkennen, daß sie die ergiebigste Quelle des Trostes und der Beruhigung sind. - Unsere Taten sind allerdings kein erster Anfang, daher in ihnen nichts wirklich Neues zum Dasein gelangt: sondern durch das was wir tun, erfahren wir bloß was wir sind. “(3)

Laut Schopenhauers Philosophie sind alles, was in dieser Welt wahrgenommen wird, nur Vorstellungen, (objektivierte) Erscheinungsformen eines (metaphysischen) Willens.  Dieser  Wille , wie Schopenhauer das Kantsche Ding an sich nannte, ist frei. Hierbei ist es für das Verständnis der Philosophie Schopenhauers äußerst wichtig, diesen metaphysischen  Willen vom individuellen Willen zu unterscheiden, denn der individuelle Wille ist nur eine Erscheinungsform des metaphyischen Willens. In der Welt der Erscheinungen geschieht jedoch - wie Schopenhauer oben hervorhob - alles, “vom Kleinsten bis zum Größten”, mit strenger Notwendigkeit. Somit ist auch der individuelle Wille auf Grund dieser Notwendigkeit unfrei.

Die von Arthur Schopenhauer  hervorgehobene und sehr tief begründete Notwendigkeit alles Geschehens kann, wie er meinte (s. obiges Zitat), die “ergiebigste Quelle des Trostes und der Beruhigung” sein. Andererseits wird dazu Schopenhauer oft entgegengehalten, dass solche Auffassung fatalistisch sei und keine Motivierung für “gute Taten” bieten könne, denn alles komme ja so, wie es ohnehin kommen würde. Schopenhauers Auffassung von der Unfreiheit des Willens und der strengen Notwendigkeit in der Welt der Erscheinungen steht jedoch keineswegs “guten Taten” entgegen, denn die wirkliche Grundlage der Ethik ist laut Schopenhauer nur das Mitleid. Ist dieses im Charakter eines Menschen hinreichend angelegt, so werden - entsprechend den gegebenen Umständen -  die “guten Taten” folgen - auch das ist eine, und zwar durchaus positive Notwendigkeit! Jedenfalls ist Schopenhauers Mitleidsethik ein überzeugendes und sehr wirksames Gegengewicht zu den praktischen Folgen einer missverstandenen fatalistischen Auslegung seiner Philosophie.


Anmerkungen

(1) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden,
Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe) , Band VII:
Parerga und Paralipomena I,
Über die anscheinende Absichtlichkeit im Schicksale
des Einzelnen,
S. 222 f.

(2) Philipp Schwenke , Niemand ist frei,
Beitrag vom 11.04.2008 in: ZEIT Campus, S. 5/6
(> online, abgerufen 12.05.2019).

(3) Arhur Schopenhauer , a. a. O.,  Band VI:
Die beiden Grundprobleme der Ethik,
Preisschrift über die Freiheit des Willens , S. 98 f.

Weiteres :

Arthur Schopenhauer über den > Zufall  und das > Schicksal
sowie Wille und Freiheit in Schopenhauers Philosophie
> Blogbeitrag (des Arthur-Schopenhauer-Studienkreises).

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