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Wilhelm  Raabe

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Wilhelm   Raabe

- ein Schopenhauerianer ?

Das menschliche Leben ist trotz aller guten Dinge ein Jammertal! (1)

Schon das obige Zitat aus Wilhelm Raabes berühmtem Roman Der Hungerpastor deutet auf eine geistige Verwandtschaft mit Arthur Schopenhauer hin, der meinte, die Welt sei kein “Lustort”, sondern ein “Schauplatz des Jammers”. (2) Bei solcher Übereinstimmung liegt die Frage nahe, ob Raabe nur Leser Schopenhauers oder sogar  “Schopenhauerianer” gewesen war. 

Wilhelm Raabe ist vielleicht nicht ganz so bekannt wie  ein anderer Schriftsteller, mit dem er oft verglichen wird, nämlich Theodor Fontane. Dennoch hat Raabe mit seinem literarischen Werk  auch heute noch eine Bedeutung, die durchaus anerkannt wird. Ein Beispiel ist der im Jahre 2000 gestiftete Wilhelm Raabe-Literaturpreis, der ”zu den angesehensten literarischen Auszeichnungen in Deutschland” gehört. Hiermit wollen die Stadt Braunschweig und das DeutschlandRadio, “das Lebenswerk Wilhelm Raabes  und seine herausragende Geistesleistung seiner Zeit” würdigen. (3) 

Bereits einige Jahrzehnte zuvor hob Hermann Hesse, der Raabe 1909 in Braunschweig besuchte, Raabes Leistung hervor und bekundete seinen “tiefen Respekt vor diesem Mann, ... dem einzigen dichterischen Darsteller des Deutschlands zwischen 1850 und 1880, dem träumerischen Fabulisten und zähen Kritiker, dem strengen und so warmherzigen Liebhaber seines Volkes”. (4)

So oder ähnlich respektvoll lauten viele andere Würdigungen des literarischen Lebenswerkes Raabes, wobei jedoch leider oft eine wichtige Tatsache entweder nicht oder nur Rande erwähnt wird, und zwar  die enge Verbindung Raabes zur Philosophie Schopenhauers. Um so beachtlicher ist das Vorwort, mit welchem der Literaturwissenschaftler Heinz Stolte die von ihm herausgegebene Berliner Trilogie einleitete. (5) Diese Trilogie vereinigt drei Romane, in welchen Raabe “sich insbesondere mit dem Berlin der Reichsgründung und der Metropole des neuen Deutschland auseinandergesetzt” hatte. (6) In seinem Vorwort hierzu verwies  Stolte “auf das entscheidende und befruchtende Bildungserlebnis seines [Raabes] Lebens: auf die Philosophie Arthur Schopenhauers”.(7)

In diesem Zusammenhang ist besonders bemerkenswert eine Äußerung von Raabe, auf die Stolte mit den Worten hinwies: “Zwar hat der Dichter [Raabe] gelegentlich mit Betonung geäußert und sich darauf - sicherlich mit Recht  - etwas zugute getan, er habe schon in der Chronik  der Sperlingsgasse [1856] den Schopenhauerianismus vorweggenommen, ehe er in der weiteren zweiten Hälfte des Jahrhunderts zur eigentlichen Modeströmung geworden sei, ja sogar ehe er selber Schriften des Philosophen gelesen hätte.

 In der Tat deutet das berühmte Eingangswort der ´Chronik` - Es ist eigentlich eine böse Zeit - auf eine durchaus Schopenhauersche Grundstimmung hin.” Bis zur Bekanntschaft mit Schopenhauers Philosophie wären es bei Raabe, so meinte Stolte, “nur Stimmungen, Ressentiments, Melancholien” gewesen,  und “jetzt erst klärte sich ihm das alles ab zu einem philosophisch systematisierten und begründeten Weltbild”.(8)

 Diese nähere Bekanntschaft Raabes mit Schopenhauer begann 1863. (9) Das war etwa sieben Jahre nach der Veröffentlichung der Chronik, mit welcher Raabe seine Laufbahn als Schriftsteller einleitete. Schopenhauers Philosophie wurde dann (laut Stolte) “auch die seine”.(10) Jedoch erst 1868 habe sich Raabe, “die Werke Schopenhauers zu ausführlichem Studium gekauft, aber ganz ohne Zweifel hat er schon früher das Wichtigste davon ziemlich genau gekannt”. (11)

In seinem 1865 erschienenen Roman Drei Federn fragte Raabe: Was ist der Mensch? Seine Antwort: Jedenfalls nicht das, was er sich einbildet zu sein, nämlich die Krone der Schöpfung. (12) Raabes  Antwort war ganz im Sinne Schopenhauers, denn dieser meinte in Bezug auf das Verhältnis von Mensch und Tier, dass “das Wesentliche und Hauptsächliche im Thiere und im Menschen das Selbe ist”. (13) Was Mensch und Tier voneinander unterscheide,  so erläuterte Schopenhauer, liege  nicht “im innern Wesen, im Kern beider Erscheinungen”. (14)  Daher ist es verständlich, wenn Schopenhauer  die Tiere als “Brüder” des Menschen und die Auffassung, sie seien “von Grund aus Anderes, als er” als “Wahn” bezeichnete. (15)

So ist die Behauptung, der Mensch sei die Krone die Schöpfung, nur eine Anmaßung, die aber - jedenfalls damals - weitgehend dem christlich geprägtem Weltbild der Menschen entsprach. Raabe und Schopenhauer wandten sich gegen solche Überheblichkeit. Auch hieran zeigt sich: Wilhelm Raabe war Schopenhauerianer.  (16) 



Anmerkungen
(1)
Wilhelm Raabe , Der Hungerpastor, Kap. 12 (> Digitalisat).
(2) Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band VIII: Aphorismen zur Lebensweisheit, S. 443: “Es ist wirklich die größte Verkehrtheit, diesen Schauplatz des Jammers in einen Lustort verwandeln zu wollen ... Viel weniger irrt wer, mit zu finstern Blicke, diese Welt als eine Hölle ansieht und demnach nur darauf bedacht ist, sich in derselben eine feuerfeste Stube zu verschaffen.”
(3) Wikipedia ,  Wilhelm Raabe-Literaturpreis > (Archiv).
(4) Hermann Hesse, Eine Literaturgeschichte in Rezensionen und Aufsätzen, hrsg. von Volker Michels, Frankfurt am Main, 1. Auflage 1975, S. 353.
(5) Heinz Stolte in: Wilhelm Raabe, Berliner Trilogie: Deutscher Adel - Villa Schönow - Im alten Eisen, Hamburg 1965, S. 9-32.
(6) Ebd., S. 32.
(7) Ebd., S. 20.
(8) Ebd., S. 20
(9) Vgl. Arthur Hübscher, Denker gegen den Strom: Schopenhauer : gestern - heute - morgen, 4. Aufl., Bonn 1988, S. 242.
(10) Stolte, a. a. O., S. 22.
(11) Ebd., S. 22 f.
(12) Wilhelm Raabe, Sämtliche Werke, im Auftrage der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft hrsg. von Karl Hoppe, 9. Band, 1. Teil, Drei Federn, Göttingen 1974, S. 248.
(13) Schopenhauer, a. a. O., Band VI: Die beiden Grundprobleme der Ethik / Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 280.
(14) Ebd.
(15) Schopenhauer , a. a. O., Band V: Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde, S. 113 f.
(16) Wie sehr Raabe Schopenhauerianer war, wies der Literaturwissenschaftler Sören Fauth  in einer umfassenden Untersuchung nach, die er 2007 unter dem Titel Der metaphysische Realist. Zur Schopenhauer-Rezeption in Wilhelm Raabes Spätwerk veröffentlichte. (S. dazu die Rezension von Bernhard Spies, in: Schopenhauer-Jahrbuch 2010, S. 211 ff.: Hiernach habe Fauth nachweisen können, “dass Raabe sich kontinuierlich und mit großem Engagement mit Schopenhauers Philosophie beschäftigt hat, dass diese Beschäftigung uneingeschränkt  zustimmend ausfiel, ja dass Raabe Schopenhauer als einen Denker wertschätzt, der nicht nur die eine oder andere Anregung formuliert, sondern mit seinem ganzen Denken in eine Richtung geht, die für Raabe von entscheidender Wichtigkeit ist”.)

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