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Arthur Schopenhauer

über

die Kraft der Wahrheit

Es liegt wohl viel Optimismus in der Überzeugung Arthur Schopenhauers, dass die Kraft der Wahrheit im Kampf gegen den Irrtum sich durchsetzen und auf Dauer den Sieg erringen wird. Hierbei hat auf dem Wege zur Wahrheit die Anschauung besondere Bedeutung. So schrieb Schopenhauer im ersten Bandes seines Hauptwerks Die Welt als Wille und Vorstellung:

“So lange wir uns rein anschauend verhalten, ist Alles klar, fest und gewiß. Da giebt es weder Fragen, noch Zweifeln, noch Irren: man will nicht weiter, kann nicht weiter, hat Ruhe im Anschauen, Befriedigung in der Gegenwart. Die Anschauung ist sich selber genug; daher was rein aus ihr entsprungen und ihr treu geblieben ist, wie das ächte Kunstwerk, niemals falsch seyn, noch durch irgend eine Zeit widerlegt werden kann: denn es giebt keine Meinung, sondern die Sache selbst. Aber mit der abstrakten Erkenntniß, mit der Vernunft, ist im Theoretischen der Zweifel und der Irrthum, im Praktischen die Sorge und die Reue eingetreten.

Wenn in der anschaulichen Vorstellung der Schein auf Augenblicke die Wirklichkeit entstellt, so kann in der abstrakten der Irrthum Jahrtausende herrschen, auf ganze Völker sein eisernes Joch werfen, die edelsten Regungen der Menschheit ersticken und selbst Den, welchen zu täuschen er nicht vermag, durch seine Sklaven, seine Getäuschten, in Fesseln legen lassen. Er ist der Feind, gegen welchen die weisesten Geister aller Zeiten den ungleichen Kampf unterhielten, und nur was sie ihm abgewannen, ist Eigenthum der Menschheit geworden. Daher ist es gut, sogleich auf ihn aufmerksam zu machen, indem wir den Boden betreten, auf welchem sein Gebiet liegt.

Obwohl oft gesagt worden, daß man der Wahrheit nachspüren soll, auch wo kein Nutzen von ihr abzusehen, weil dieser mittelbar seyn und hervortreten kann, wo man ihn nicht erwartet; so finde ich hier doch noch hinzuzusetzen, daß man auch ebenso sehr bestrebt seyn soll, jeden Irrthum aufzudecken und auszurotten, auch wo kein Schaden von ihm abzusehen, weil auch dieser sehr mittelbar seyn und einst hervortreten kann, wo man ihn nicht erwartet: denn jeder Irrthum trägt ein Gift in seinem Innern.

Ist es der Geist, ist es die Erkenntniß, welche den Menschen zum Herrn der Erde macht; so giebt es keine unschädliche Irrthümer, noch weniger ehrwürdige, heilige Irrthümer. Und zum Trost Derer, welche dem edlen und so schweren Kampf gegen den Irrthum, in irgend einer Art und Angelegenheit, Kraft und Leben widmen, kann ich mich nicht entbrechen, hier hinzuzusetzen, daß zwar so lange, als die Wahrheit noch nicht dasteht, der Irrthum sein Spiel treiben kann, wie Eulen und Fledermäuse in der Nacht: aber eher mag man erwarten, daß Eulen und Fledermäuse die Sonne zurück in den Osten scheuchen werden, als daß die erkannte und deutlich und vollständig ausgesprochene Wahrheit wieder verdrängt werde, damit der alte Irrthum seinen breiten Platz nochmals ungestört einnehme. Das ist die Kraft der Wahrheit, deren Sieg schwer und mühsam, aber dafür, wenn einmal errungen, ihr nicht mehr zu entreißen ist.”(1)

Schopenhauers Hauptwerk wurde Anfang 1819 herausgegeben. Danach blieb es lange Zeit fast unbeachtet. Trotz der vielen Jahre geringen Erfolges  ließ sich Schopenhauer nicht beirren. Unermüdlich arbeitete er an der Vervollkommnung seiner Philosophie. Sein unerschütterliches Vertrauen an die Kraft der Wahrheit und schließlich an deren Sieg half ihm, nicht zu verzweifeln, sondern intensiv und unermüdlich weiterzuarbeiten. 

In seinem letzten Lebensjahrzehnt jedoch gelang Schopenhauer der Durchbruch, und zwar vor allem nach Veröffentlichung seiner Aphorismen zur Lebensweisheit. Er wurde dann weltweit zu einem der bekanntesten Philosophen. Er ist es immer noch  und dadurch   mit seiner Philosophie zu einem eindrucksvollen  Beispiel für die Kraft der Wahrheit geworden. Daher konnte Arthur Schopenhauer sich in seinem Optimismus, also seinem Glauben  an den Sieg der Wahrheit, bestätigt fühlen.

Der Weg zum Sieg der Wahrheit kann nicht nur mühsam, sondern auch gefährlich sein, wie Schopenhauer mit einem Zitat von Demokritos erklärt:

Die Wahrheit steckt tief im Brunnen, - hat Demokritos gesagt, und die Jahrhunderte haben es seufzend wiederholt: aber es ist kein Wunder; wenn man, sobald sie heraus will, ihr auf die Finger schlägt.” (2)

Wer sich  für die Wahrheit einsetzt, hat jedoch mitunter noch weit mehr  als bloß Schläge auf die Finger zu befürchten. Ein Beispiel hierfür war Giordano Bruno, der - laut Schopenhauer - als “Held der Wahrheit” den Tod auf dem Scheiterhaufen fand. (3) Giordano Bruno, so erläuterte Schopenhauer, “das zarte, geistige Wesen, ... denke man sich unter den Händen roher, wüthender Pfaffen als seiner Richter und Henker, und danke der Zeit, die ein helleres und milderes Jahrhundert herbeiführte”. (4)

Der Schweizer reformierte Theologe Walter Nigg schrieb in seinem Buch der Ketzer über Giordano Bruno, dass dieser, bevor er als “Blutzeuge für seine philosophische Weltanschauung” nach jahrelanger Einkerkerung “ungebeugt” den Scheiterhaufen am 17. Februar  1600 bestieg, seinen Richtern auf die Urteilsverkündung erwiderte: “Mit größerer Furcht verkündet ihr vielleicht das Urteil gegen mich, als ich es entgegennehme.” (5)

Es war die Furcht vor der Wahrheit, welche zu diesem grauenvollen Urteil führte. Giordano Brunos “Heldentod”, so meinte Nigg, ”wurde von jeher als ein unsterbliches Martyrium betrachtet”. Dessen Martyrium komme ”eine Mächtigkeit zu, der man sich nicht entziehen kann”. (6) Es ist die Kraft der Wahrheit, der Giordano Bruno  vertraute und von der Schopenhauer zuversichtlich erhoffen konnte, dass sie seiner Philosophie trotz aller Missachtung seitens akademischer Kreise schließlich zum Durchbruch verhelfen werde.    

Schopenhauers Zuversicht, sein unerschütterliches Vertrauen auf die Kraft der Wahrheit hingen eng mit seiner Persönlichkeit zusammen. Hierzu schrieb der Philosoph und Schopenhauer-Forscher Heinrich Hasse:

“Schopenhauers Charakterbild wird beherrscht von einer unverbrüchlichen, ja leidenschaftlichen Wahrheitsliebe und Aufrichtigkeit, in deren Anerkennung und nachdrücklicher Betonung alle Zeugnisse übereinstimmen.

Das Motto der ´Parerga`: vitam impendere vero [Der Wahrheit sein Leben weihen], war bei ihm kein Aushängeschild, sondern bezeichnet das Zentrum seines Wesens, das ihn von Grund aus bestimmende Verhalten, das sich in Schopenhauers Leben und in seinen Schriften durchweg so eindrucksvoll bezeugt. Wahrheitsliebe in höchstem Sinne und stärkster Ausprägung bildet in dieser Persönlichkeit den dominierenden Charakterzug.” (7)

So prägten leidenschaftliche Wahrheitsliebe und fester Glaube an die Kraft der Wahrheit das Leben und Schaffen des Philosophen Arthur Schopenhauer. 


Weiteres
 > Arthur Schopenhauer : Wahrheit und Anschauung


Anmerkungen
(1)
Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band I: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 66 f.
(2) Schopenhauer , a. a. O., Band V: Ueber den Willen in der Natur, S. 219.
(3) Schopenhauer , a. a. O., Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 465.
(4) Ebd., S. 520.
(5) Walter Nigg, Das Buch der Ketzer, 5. Aufl., Zürich 1970,  S. 365.
(6) Ebd.
(7) > Heinrich Hasse , Schopenhauer, München 1926, S. 66.

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