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Arthur Schopenhauer

über die uralte indische Weisheit der

Upanishaden

Als uralte indische Weisheit bezeichnete Arthur Schopenhauer die Upanishaden in seiner 1818 geschriebenen  Vorrede zur ersten Auflage seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung.  Bereits damals, also zu einer Zeit, als in der westlichen Welt kaum jemand den Namen oder gar den wesentlichen Inhalt der Upanishaden kannte, wies Schopenhauer auf dieses altindische  Weisheitsbuch hin. Hierbei hob Schopenhauer die große Bedeutung hervor, welche die Upanishaden für den Leser seines Werkes und damit für das Verständnis seiner Philosophie haben kann (1):

Ist er aber gar noch der Wohlthat der Veda´s theilhaftig geworden, deren uns durch die Upanischaden eröffneter Zugang, in meinen Augen, der größte Vorzug ist, den dieses noch junge Jahrhundert vor den früheren aufzuweisen hat, indem ich vermuthe, daß der Einfluß der Sanskrit-Litteratur nicht weniger tief eingreifen wird, als im 15. Jahrhundert die Wiederbelebung der Griechischen: hat also sage ich, der Leser auch schon die Weihe uralter Indischer Weisheit empfangen und empfänglich aufgenommen; dann ist er auf das allerbeste bereitet zu hören, was ich ihm vorzutragen habe. Ihn wird es dann nicht, wie manchen Andern fremd, ja feindlich ansprechen; da ich, wenn es nicht zu stolz klänge, behaupten möchte, dass jeder von den einzelnen und abgerissenen Aussprüchen, welche die Upanischaden ausmachen, sich als Folgesatz aus den von mir mitzutheilenden Gedanken ableiten ließe, obgleich keineswegs auch umgekehrt dieser schon dort zu finden ist. (2)

Arthur Schopenhauer selbst gehörte schon vor 200 Jahren zu denen, welche “die Weihe uralter Indischer Weisheit empfangen und empfänglich aufgenommen” hatten.(3) Ihm gelang es, wie der Pionier der wissenschaftlichen Indologie, Max Müller, bewundernd feststellte, aus der “fürchterlichen Übersetzung von Antequil-Duperron den Sinn der Upanishaden zu entziffern” ( > Oupnekhat ).

Das zentrale Thema, um das es hier geht, wird z. B. in der Isha-Upanishad, welche “die älteste und - mit Recht - angesehenste der Vers-Upanischaden”(4), ist, angesprochen. Dort heißt es in dem nicht leicht zu verstehenden Vers 6:

Wer aber alle Lebewesen in seinem Selbst sieht und sein Selbst in allen Lebewesen, vor dem sucht sich das Eine nicht zu verbergen.(5)

Bei diesem Wortlaut fällt zunächst auf, dass alle Lebewesen ausdrücklich einbezogen werden. Hiernach sind - wie in Schopenhauers Philosophie - Mensch und Tier letztlich eine metaphysische Einheit, die sich zwar körperlich, also bloß graduell, aber nicht wesentlich voneinander unterscheiden. Auch das ist ein Beispiel dafür, wie fundamental sich die Upanishaden von der Bibel abheben, obwohl manche, vermutlich christlich geprägte Interpreten immer wieder versuchen, Übereinstimmungen zwischen Upanishaden und Bibel zu konstruieren.

Vor allem in ethischer Hinsicht ergeben sich erhebliche Konsequenzen: Laut Bibel besteht zwischen Mensch und Tier ein allein an menschliche Zwecke und Bedürfnisse orientiertes Herrschafts- verhältnis, wodurch die Ausbeutung der Tiere durch den Menschen religiös legitimiert wird.  Derartiges lässt sich hingegen aus den Upanishaden nicht herleiten. Hierbei ist sehr aufschlussreich, dass im Dhammapadam, der ältesten Spruchsammlung mit buddhistischen Weisheiten, Vers 130,  eine Aussage enthalten ist, die dem Wortlaut der Upanishaden sehr nahe kommt, ja wahrscheinlich sogar den gleichen spirituellen Hintergrund hat:

Ein jedes Wesen scheuet Qual,
           Und jedem ist sein Leben lieb:
           Erkenn` dich selbst in jedem Sein,

           Und quäle nicht und töte nicht.
(6)

Der vorhin zitierte Vers aus den Upanishaden ist Teil eines Gespräches “über die Erkennbarkeit des EINEN”,  wobei der Übersetzer den Vers so kommentiert. “D. h. dem, der die Identität der ´Selbste` aller Wesen erkannt hat, dem offenbart sich `das große Selbst `, die ´ Weltseele ` von sich aus. “(7) Somit geht es hier um die Erkenntnis der Identität von Atman (Einzelseele) und Brahman (Weltseele), also um das, was für Arthur Schopenhauer die tiefste Aussage der Upanishaden war: Tat-Tvam-Asi  = Dies bist du!

Diese nicht bloß intellektuelle, sondern vielmehr zutiefst spirituelle Erkenntnis, hebt, zumindest zeitweise,  die Trennung zwischen dem Ich und dem Nicht-Ich auf. So wird die dem Tat-Twam-Asi entgegenstehende Herausbildung des Individuellen (Individuation),  oder, wie es Schopenhauer nannte, das principium individuationis überwunden. Das ist ein entscheidender Schritt auf dem Weg zur Erlösung aus der leidvollen Welt. Gerade hieran zeigt sich, wie sehr die Upanishaden und Schopenhauers Philosophie, die in ihrem spirituellen Kern weitestgehend übereinstimmen, Erlösungsmystik  sind.

Doch wie kann es zu einer solch tiefen Erkenntnis kommen, wie ist das Brahman bzw. der mit ihm identische  Atman zu erkennen? Alfred Hillebrandt schrieb dazu in seiner kommentierten Überetzung Upanishaden. Die Geheimlehre der Inder:

“Die Quellen beantworten die Frage in verschiedener Weise. Es gibt zwei Wissenschaften, heißt es in der Mundaka ( Upanishad ), die höhere und die  niedere. ´Die niedere besteht aus Rigveda, Yajurveda, Samaveda, Atharvaveda, Phonetik, Ritual, Grammatik, Metrik, Kalender; die höhere ist die, durch die man das Unwandelbare erfaßt`. Diese höhere Wissenschaft aber ist nicht so ohne weiteres zugänglich. Man soll, um sie zu gewinnen, zu einem Lehrer gehen, der gelehrt und im Brahman gefestigt ist. Nicht Opfer und gute Werke, nicht Gelehrsamkeit vermögen zur Erkenntnis zu führen. Vielen gelingt es nicht, vom Selbst auch nur zu hören; viele obschon sie davon hören, erkennen es nicht. Ein geschickter Erklärer ist ein Wunder, und einem Wunder gleicht ein fähiger Schüler. Innerer Frieden, Läuterung des Geistes werden als Voraussetzung zur Erkenntnis gefordert. Bisweilen wird hervorgehoben, daß die Belehrung allein nicht helfen kann, auch nicht der logische Beweis, sondern die Gnadenwahl.”(8)

Erkenntnis durch Gnadenwahl ist aber nicht das letzte Wort der Upanishaden, denn “wir finden in der späteren Brahmabindu-Upanishad die Äußerung, daß die Kraft der Erkenntnis in jedem,  wie Butter in der Milch, verborgen liege”(9). In der Person von Arthur  Schopenhauer blieb die “Kraft der Erkenntnis” nicht verborgen, sondern sie wurde in seinen Werken sichtbar und für jeden nachlesbar. Schopenhauers Philosophie ist nicht - wie ursprünglich die Upanishaden im alten Indien -  eine Geheimlehre: Schopenhauers Weisheit ist allen zugänglich, denn wie er am Anfang seiner Vorrede zur zweiten Auflage seines oben erwähnten Hauptwerkes hervorhob: Nicht den Zeitgenossen, nicht den Landesgenossen, - der Menschheit übergebe ich mein nunmehr vollendetes Werk, in der Zuversicht, daß es nicht ohne Werth für sie seyn wird. (10)
                                                                               


Anmerkungen

(1)  Auch an vielen anderen Stellen der Webseiten des Studienkreises kommt deutlich zum Ausdruck, wie überaus wichtig für Schopenhauer, und zwar bis zu seinem Lebensende, die Upanishaden waren.

(2) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), Band I, Die Welt als Wille und Vorstellung I, Vorrede zur 1. Auflage, S. 11.

(3)  Ausführlich dargestellt von Urs App, Schopenhauers Kompass. Die Geburt einer Philosophie. Rorschach /  Kyoto 2011.

(4)  Upanischaden, aus dem Sanskrit übertragen und erläutert von Paul Thieme, Stuttgart 1966, S. 77.

(5)  Ebd., S.79.

(6)  Eugen Neumanns Übertragungen aus dem Pali-Kanon,
Gesamtausgabe in drei Bänden, Band III,
 Zürich / Wien 1957, S. 645.
Außerdem wortgleich in : Hellmuth Hecker,
Die Ethik des Buddha, 2. Auflage, Hamburg 1976, S. 121 f.

(7)  Paul Thieme, s. o. Anm.(5), S.79.

(8)  Upanishaden. Die Geheimlehre der Inder, übertragen und eingeleitet von Alfred Hillebrandt, Köln 1983, S. 16 f.

(9)   Ebd., S. 17.

(10) Arthur Schopenhauer, a. a. O., Vorrede zur 2. Auflage, S. 14.

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