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Upanishaden  : Symbol

Upanishaden : Brahman

Das allmächtige, allumfassende  Brahman der Upanishaden
 und der metaphysische
Wille in Schopenhauers Philosophie

Brahman - dieses Sanskritwort in den altindischen Upanishaden stammt aus dem Bereich der Magie. Es hatte verschiedene Bedeutungen. So bezeichnete es auch die Kraft, die in magischen Ritualen wirksam wurde. Im Laufe der Zeit bekam es jedoch einen immer umfassenderen spirituellen Sinn. Schließlich wurde in den Upanishaden das Brahman “ die höchste, tiefste, letzte, transzendente Kraft ... Das Brahman - die kosmische Kraft im höchsten Sinne des Wortes  - ist die Essenz all dessen, was wir sind und wissen. Alle Dinge sind wunderbar hervorgegangen aus seiner allgegenwärtigen, alles überschreitenden Allmacht.”(1) 

Dieses Brahman (mitunter auch Brahma genannt) ist als neutrales Nomen zu unterscheiden  von der maskulinen Form Brahmā . Letztere bezeichnet im Hinduismus den Schöpfergott, der mit den Göttern Vishnu und Shiva eine Trinität bildet, die das Prinzip von Entstehung, Erhaltung und Zerstörung symbolisiert.

Aus den Upanishaden wird deutlich, wie die Magie nach und nach in den Hintergrund trat, und es andererseits zu immer tieferen spirituellen Einsichten kam. So stand dann am Ende die Erkenntnis, dass das Brahman mit dem Atman, dem  innersten Wesen jedes Menschen, ja auch jedes Tieres und jeder Pflanze identisch ist.(2) Hierauf beruht die bedeutsamste Aussage der Upanishaden, nämlich das Tat-twam-asi .(3)

Für Arthur Schopenhauer waren die Upanishaden etwa das, was für Christen die Bibel  ist. In den Upanishaden suchte und fand Schopenhauer die Bestätigung seiner Philosophie, die er von der akademischen Philosophie seiner Zeit nicht erhalten hatte. Schopenhauer erkannte, dass zwischen  den zentralen Begriffen der Upanishaden und seiner Philosophie, nämlich Brahman und  Wille , ein sehr enger innerer Zusammenhang besteht. Jedenfalls zeigen das auch seine Notizen, die im “Handschriftlichen Nachlaß” überliefert sind, wo er darauf hinwies, dass er das  Ding an sich , “das innere Wesen der Welt”, schon wegen seiner besseren Verständlichkeit Wille und nicht Brahman genannt habe.(4)    

 Ebenfalls deutlich geht der Zusammenhang zwischen Brahman und Wille aus einer Notiz  in Schopenhauers “Letzten Manuskripten” hervor. Dort zitierte er aus den Schriften eines der bedeutendsten Indologen seiner Zeit, nämlich  Max Müller. Dieser schrieb, was Schopenhauer offenbar sehr aufschlussreich fand, zu den altindischen  Veden :  “Brahma means originally force, will, wish, & the propulsive power of creation.”(5)

In dem berühmten Kapitel  Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich im zweiten Band seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung stellte Schopenhauer fest, “dass überall in der Natur jede einzelne Erscheinung das Werk einer allgemeinen, in tausend gleichen Erscheinungen tätigen Kraft ist”. Selbst wenn “hier das organische Leben aufgehört hat”, folge daraus nicht, dass auch jene “bisher aktuierende (tätige) Kraft zu Nichts geworden sei; - so wenig als vom stillstehenden Spinnrade auf den Tod der Spinnerin zu schließen ist”.(6)

Wer ist diese über den Tod des Individuums hinaus wirksame Kraft? Für Schopenhauer war sie die Manifestation eines metaphysischen Willens, der in allen Erscheinungsformen der Natur zum Ausdruck kommt. Für die Upanishaden ist es das Schöpferische im Brahman. Während alle seine Erscheinungsformen der Vergänglichkeit und somit letztlich dem Tod unterworfen sind, ist hingegen das Brahman zeitlos. Wenn Brahman und Atman identisch sind ( Tat-twam-asi ), dann gibt es etwas, was man als Unsterblichkeit bezeichnen könnte, und zwar im Sinne von Palingenesie -  jener auch von Schopenhauer vertretenen Lehre von der “Zersetzung und Neubildung des Individui, indem allein sein Wille beharrt und die Gestalt eines neuen Wesens annehmend, einen neuen Intellekt erhält.”(7) 

So ist das Brahman in den Upanishaden bzw. der metaphysische Wille, der sich laut Schopenhauers Philosophie im Willen zum Leben äußert, das Gemeinsame, das alles Leben über den Tod hinaus verbindet. “Demnach können wir”, erklärte Schopenhauer, “jeden Augenblick wohlgemut ausrufen: Trotz Zeit, Tod und Verwesung, sind wir noch Alle beisammen!”(8)

Alfred Hillebrandt nannte in der Einleitung zu seiner Übersetzung der Upanishaden Arthur Schopenhauer “ den großen deutschen Mystiker des neunzehnten Jahrhunderts ”.(9) Zu Recht, denn Schopenhauers Philosophie ist in ihrem Kern Erlösungsmystik. Auch die Upanishaden sind es. Der Weg aus dem Vergänglichen zum Unvergänglichen, die Erlösung aus dem sterblichen Dasein sind  zentrale Themen der Upanishaden. Vom Erlösten heißt es dort:

 Das Brahman seiend, geht er in das Brahman ein.(10)

Diese Aussage dürfte der oberflächliche Leser kaum verstehen. Die im Grunde esoterischen Texte der Upanishaden waren ohnehin nicht für die Allgemeinheit bestimmt. Sie richteten sich nur an Wahrheitssucher, die ( das besagt schon das Sanskritwort  Upanishaden ) nahe beim Meister  sitzen, um von ihm spirituelle Belehrung zu empfangen. Doch wer sich intensiv, mit viel Geduld und Ruhe in diese ursprünglich geheimen Texte vertieft und sie schließlich verinnerlicht, kann dort - wie Arthur Schopenhauer - viel Trost für sein Leben finden.
 

Anmerkungen

(1) Heinrich Zimmer, Philosophie und Religion Indiens,
1. Aufl., Baden-Baden 1973, hier: Das Brahman , S. 83.

(2) Hierin, also in der Einbeziehung von Tieren und Pflanzen,
besteht ein fundamentaler Unterschied zum  Christentum, wo
nur der Mensch als “Tempel” Gottes angesehen wird . S. dazu:
Upanischaden , aus dem Sanskrit übertragen und erläutert von
Paul Thieme, Stuttgart 1979, S 78.

Ein Beispiel für die gehobene Stellung, welche Tiere in den
Upanishaden einnehmen können, ist im  Chandogya - Upanishad
( IV,5 ff.): Dort treten sogar Tiere als Lehrer der Priester
( Brahmanen ) auf! Das steht in völligem Gegensatz zu den im
Westen vorherrschenden, mehr oder weniger tierverachtenden
Religionen.

(3) In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die
Upanishaden im Laufe von mehr als zwei Jahrtausenden
 entstanden sind, und sie schon deshalb keine einheitliche
Philosophie beinhalten. Es werden dort sehr unterschiedliche,
mit unter auch zueinander widersprüchliche  Lehren vertreten.
Die Brahman - Atman - Lehre ist nur eine dieser Lehren,
wenngleich wohl die wichtigste und Schopenhauers
Philosophie am nächsten stehende. 

(4) Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachla
in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, München 1985,
Band 4, I,  S. 143.

Es ist bezeichnend, dass mitunter auch sonst in der Literatur
zu den Upanishaden das “Ding an sich”,  welches Schopenhauer
“ Wille ” nannte, mit dem Brahman gleichgesetzt wird. So heißt
es z. B. in der Überschrift eines Abschnittes der Upanishaden:
“ Die zwei Formen des Brahman : Als Erscheinungswelt und
Ding an sich “. ( Die Weisheit der Upanishaden. Aus dem
Sanskrit von Karl Friedrich Geldner. Hrsg. und mit einem
Nachwort von Axel Michaels. München 2006, S. 11).

(5) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band 4 II, S. 17 f.

(6)  Arthur Schopenhauer  > W II, S. 538.

(7) Arthur Schopenhauer  > P II,  S. 293.

(8)  Arthur Schopenhauer  > W II, a. a. O., S. 548.

(9)   Upanishaden , übertr. und eingeleitet von Alfred Hillebrandt,
 Köln 1983, S. 12.

(10)     Upanischaden , aus dem Sanskrit übertragen und erläutert
von Paul Thieme,  a. a. O., S. 87.

Weiteres:
                      
> Upanishaden (Oupnekhat ) und Arthur Schopenhauer)

>
Upanishaden / Vedanta , Buddhismus und Schopenhauer

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