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Arthur Schopenhauer

Was bleibt nach dem Tod ?

Wohl fast jeder Mensch stellt sich früher oder später die Frage: Was bleibt von mir nach meinem Tod - ist dann wirklich alles aus? Für Anhänger einer rein materialistischen Weltanschauung kann die Antwort nur sein: Nichts Bleibendes von mir dauert nach meinem Tod fort. Der Tod ist, und zwar in jeder Hinsicht, mein endgültiges und vollständiges Ende!

Arthur Schopenhauer  hingegen gab hierauf eine völlig andere Antwort: Seine  zutiefst spirituelle Philosophie geht von einem allumfassenden metaphysischen Willen aus, der sich in allen Erscheinungen, also auch in allem Leben, manifestiert und vom Tod nicht betroffen wird.  In dem berühmten Kapitel 41 ( Ueber den Tod und sein Verhältniß zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens ) des zweiten Bandes seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung schrieb Schopenhauer :

“Wer sein Daseyn bloß als ein zufälliges auffaßt, muß allerdings fürchten, es durch den Tod zu verlieren. Hingegen wer auch nur im Allgemeinen einsieht, daß dasselbe auf irgend einer ursprünglichen Nothwendigkeit beruhe, wird nicht glauben, daß diese, die etwas so Wundervolles herbeigeführt hat, auf eine solche Spanne Zeit beschränkt sei, sondern daß sie in jeder wirke.

Als ein nothwendiges aber wird sein Daseyn erkennen, wer erwägt, daß bis jetzt, da er existirt, bereits eine unendliche Zeit, also auch eine Unendlichkeit von Veränderungen abgelaufen ist, er aber dieser ungeachtet doch da ist: die ganze Möglichkeit aller Zustände hat sich also bereits erschöpft, ohne sein Daseyn aufheben zu können.

Könnte er jemals nicht sein; so wäre er schon jetzt nicht. Denn die Unendlichkeit der bereits abgelaufenen Zeit, mit der darin erschöpften Möglichkeit ihrer Vorgänge, verbürgt, daß was existirt nothwendig existirt. Mithin hat Jeder sich als ein nothwendiges Wesen zu begreifen, d. h. als ein solches, aus dessen wahrer und erschöpfender Definition, wenn man sie nur hätte, das Daseyn desselben folgen würde.

In diesem Gedankengange liegt wirklich der allein immanente [innewohnende], d. h. sich im Bereich erfahrungsmäßiger Data haltende Beweis der Unvergänglichkeit unsers eigentlichen Wesens. Diesem nämlich muß die Existenz inhäriren [anhaften], weil sie sich als von allen durch die Kausalkette möglicherweise herbeiführbaren Zuständen unabhängig erweist: denn diese haben bereits das Ihrige gethan, und dennoch ist unser Daseyn davon so unerschüttert geblieben, wie der Lichtstrahl vom Sturmwind, den er durchschneidet.

Könnte die Zeit, aus eigenen Kräften, uns einem glücksäligen Zustande entgegenführen; so wären wir schon lange da: denn eine unendliche Zeit liegt hinter uns. Aber ebenfalls: könnte sie uns dem Untergange entgegenführen; so wären wir schon längst nicht mehr.

Daraus, daß wir jetzt dasind, folgt, wohlerwogen, daß wir jederzeit daseyn müssen. Denn wir sind selbst das Wesen, welches die Zeit, um ihre Leere auszufüllen, in sich aufgenommen hat: deshalb füllt es eben die ganze Zeit, Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft auf gleiche Weise, und es ist uns so unmöglich, aus dem Daseyn, wie aus dem Raum hinauszufallen. - Genau betrachtet ist es undenkbar, daß Das, was ein Mal in aller Kraft der Wirklichkeit da ist, jemals zu nichts werden und dann eine unendliche Zeit hindurch nicht sein sollte. ...

Wenn es jedoch hiemit nicht gelingt, sondern das beängstigte Herz sein altes Klagelied anstimmt: ´Ich sehe alle Wesen durch die Geburt aus dem Nichts entstehen und diesem nach kurzer Frist wieder anheimfallen: auch mein Daseyn, jetzt in der Gegenwart, wird bald in ferner Vergangenheit liegen, und ich werde Nichts sein!`- so ist die richtige Antwort:

´Bist du nicht da? Hast du sie nicht inne, die kostbare Gegenwart, nach der ihr Kinder der Zeit alle so gierig trachtet, jetzt inne, wirklich inne? Und verstehst du, wie du zu ihr gelangt bist? Kennst du die Wege, die dich zu ihr geführt haben, daß du einsehen könntest, sie würden dir durch den Tod versperrt? Ein Daseyn deines Selbst, nach der Zerstörung deines Leibes, ist dir seiner Möglichkeit nach unbegreiflich: aber kann es dir unbegreiflicher sein, als dir dein jetziges Daseyn ist, und wie du dazu gelangtest? Warum solltest du zweifeln, daß die geheimen Wege, die dir zu dieser Gegenwart offen standen, dir nicht auch zu jeder künftigen offen stehen werden?`

Wenn also Betrachtungen dieser Art allerdings geeignet sind, die Ueberzeugung zu erwecken, daß in uns etwas ist, das der Tod nicht zerstören kann; so geschieht es doch nur mittelst Erhebung auf einen Standpunkt, von welchem aus die Geburt nicht der Anfang unsers Daseyns ist ...

Auf den Menschen, als Erscheinung in der Zeit, ist der Begriff des Aufhörens allerdings anwendbar und die empirische Erkenntniß legt unverhohlen den Tod als das Ende dieses zeitlichen Daseyns dar. Das Ende der Person ist eben so real, wie es ihr Anfang war, und in eben dem Sinne, wie wir vor der Geburt nicht waren, werden wir nach dem Tode nicht mehr sein. Jedoch kann durch den Tod nicht mehr aufgehoben werden, als durch die Geburt gesetzt war; also nicht Das, wodurch die Geburt allererst möglich geworden. In diesem Sinne ist natus et denatus [geboren und ´entboren`] ein schöner Ausdruck.

Nun aber liefert die gesammte empirische Erkenntniß bloße Erscheinungen: nur diese daher werden von den zeitlichen Hergängen des Entstehens und Vergehens getroffen, nicht aber das Erscheinende, das Wesen an sich ...  Dasselbe bleibt also unangefochten vom zeitlichen Ende einer zeitlichen Erscheinung und behält stets dasjenige Daseyn, auf welches die Begriffe von Anfang, Ende und Fortdauer nicht anwendbar sind. Dasselbe aber ist, soweit wir es verfolgen können, in jedem erscheinenden Wesen der Wille desselben: so auch im Menschen.

Das Bewußtseyn hingegen besteht im Erkennen: dieses aber gehört, wie genugsam nachgewiesen, als Thätigkeit des Gehirns, mithin als Funktion des Organismus, der bloßen Erscheinung an, endigt daher mit dieser der Wille allein, dessen Werk oder vielmehr Abbild der Leib war, ist das Unzerstörbare.

Die strenge Unterscheidung des Willens von der Erkenntniß, nebst dem Primat des erstem, welche den Grundcharakter meiner Philosophie ausmacht, ist daher der alleinige Schlüssel zu dem sich auf mannigfaltige Weise kund gebenden und in jedem, sogar dem ganz rohen Bewußtseyn stets von Neuem aufsteigenden Widerspruch, daß der Tod unser Ende ist, und wir dennoch ewig und unzerstörbar seyn müssen ...

Alle Philosophen haben darin geirrt, daß sie das Metaphysische, das Unzerstörbare, das Ewige im Menschen in den Intellekt setzten: es liegt ausschließlich im Willen, der von jenem gänzlich verschieden und allein ursprünglich ist. Der Intellekt ist ... ein sekundäres Phänomen und durch das Gehirn bedingt, daher mit diesem anfangend und endend. Der Wille allein ist das Bedingende, der Kern der ganzen Erscheinung, von den Formen dieser, zu welchen die Zeit gehört, somit frei, also auch unzerstörbar.

Mit dem Tode geht demnach zwar das Bewußtseyn verloren, nicht aber Das, was das Bewußtseyn hervorbrachte und erhielt: das Leben erlischt, nicht aber mit ihm das Princip des Lebens, welches in ihm sich manifestirte.

Daher also sagt Jedem ein sicheres Gefühl, daß in ihm etwas schlechthin Unvergängliches und Unzerstörbares sei. Sogar das Frische und Lebhafte der Erinnerungen aus der fernsten Zeit, aus der ersten Kindheit, zeugt davon, daß irgend etwas in uns nicht mit der Zeit sich fortbewegt, nicht altert, sondern unverändert beharrt. Aber was dieses Unvergängliche sei, konnte man sich nicht deutlich machen. Es ist nicht das Bewußtseyn, so wenig wie der Leib, auf welchem offenbar das Bewußtseyn beruht. Es ist vielmehr Das, worauf der Leib, mit sammt dem Bewußtseyn beruht. Dieses aber ist eben Das, was, indem es ins Bewußtseyn fällt, sich als Wille darstellt ...

Eben daher, daß nur der Wille, nicht aber der Intellekt das Unzerstörbare ist, kommt es auch, daß alle Religionen und Philosophien allein den Tugenden des Willens, oder Herzens, einen Lohn in der Ewigkeit zuerkennen, nicht denen des Intellekts.” *

Wenn Schopenhauer hier auf die Religionen hinwies, so gilt das auch für eine Religion, zu der er sich besonders hingezogen fühlte, ja zu der er sich gegen Ende seines Lebens sogar ausdrücklich bekannte - den Buddhismus!

Im Buddhismus ist es das Karma, das über den Tod hinaus fortwirkt. Karma, so erklärt das Buddhistische Wörterbuch, bedeutet “wörtlich Wirken, Tat, bezeichnet, genau genommen, den die Wiedergeburt erzeugenden oder Charakter und Geschick der Wesen beeinflussenden heilsamen und unheilsamen Willen ... Dieser karmische Wille äußert sich in körperlichen Taten, in Worten oder bloß in Gedanken”.**

Zum Karma, also des heilsamen oder unheilsamen Willens, dessen Wirkung durch den Tod nicht aufgehoben wird, heißt es in einer alten buddhistischen Schrift:

Das Gute und das Böse bleiben dem Sterblichen zu eigen, mit ihnen geht er von hinnen, sie folgen ihm nach wie ein Schatten, der nicht von ihm weicht. ***

Weiteres > Schopenhauer und Buddhismus .


Anmerkungen

* Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977,
Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II,
§ 41: Ueber den Tod und sein Verhältniß zur Unzerstörbarkeit
 unsers Wesens an sich
, S. 573-585.

** Nyanatiloka, Buddhistisches Wörterbuch, 2. Auflage,
Konstanz 1976, Stichwort Karma, S. 98.

Hinweis: Wille im buddhistischen Sinne bezieht sich auf den jeweiligen Individualwillen. Schopenhauer hingegen verwendet das Wort Wille  auch als Bezeichnung für das Ding an sich. Dieser (metaphysische) Wille manifestiert sich in allen Erscheinungsformen dieser Welt, somit auch in jedem Individualwillen. (S. hierzu > Der metaphysische Wille.) Insofern steht Arthur Schopenhauer mit seiner monistischen Willensmetaphysik dem Vedanta, dessen ebenfalls monistische Philosophie auf den Upanishaden beruht, näher als der pluralistischen Lehre des alten Buddhismus.

*** Samyutta-Nikaya 3,1,4, zit. aus Helmuth von Glasenapp,
 Die Weisheit des Buddha, Wiesbaden o. J., S. 62.

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