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Theodor Lessing

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Theodor Lessing

über

 Arthur Schopenhauer

 Schopenhauer - der Mensch,
 zu dem ich am tiefsten Wesensverwandtschaft fühle.
Theodor Lessing (16)

Theodor Lessing gehörte zu den Philosophen des 20. Jahrhunderts, die sich zu Arthur Schopenhauer bekannten, dessen Philosophie verteidigten (1) und sich deshalb mit Recht als Schopenhauerianer bezeichnen konnten. Wie Lessing in seinen hinterlassenen autobiografischen Aufzeichnungen, die nach seinem Tode unter den Titel Einmal und nie wieder veröffentlicht wurden, erklärte, “war ich Schopenhauerianer, und das bin ich immer geblieben”.  (2) 

Wer war Theodor Lessing? Das Philosophische Wörterbuch enthält zu seinem Leben und Werk folgende Angaben: “ ... Schriftsteller und Philosoph, * 8.2.1872 Hannover, + (ermordet) 30.8.1933 Marienbad, dem Sozialismus nahestehender Pragmatist, vertrat einen rationalistischen Kulturpessimismus (Geschichte als Sinngebung des Sinnlosen, 1919, 4. Aufl. 1927) und wirkte für die Gleichstellung der Frauen, Beseitigung der reglementierten Prostitution, friedliche Verständigung der Völker.”(3)

Ergänzend hierzu sei auch auf die Ausführungen im Biographischen Staatshandbuch hingewiesen: “... Sohn eines Arztes, promovierte zum Doktor der Medizin und Philosophie, war Wanderlehrer, Vortragsredner, Kritiker und Publizist, gründete als Sozialdemokrat die ersten Arbeiterunterrichtskurse in Dresden und wurde Professor der Philosophie an der Techn. Hochschule in Hannover. 1926 wegen eines kritischen Artikels über Hindenburg außer Dienst gestellt, doch erhielt er einen staatlichen Forschungsauftrag. 1933 emigrierte er nach Böhmen, wo er einem Mordanschlag zum Opfer fiel.”(4)

In obigen Nachschlagewerken wird nicht erwähnt, dass Lessing der Schopenhauer-Gesellschaft angehörte, und zwar als Mitglied auf Lebenszeit.(5) Auf deren X. Generalversammlung (1924 in Weimar) hielt er  unter dem Titel Schopenhauer gegen Kant einen Vortrag, der danach im 12. Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft veröffentlicht wurde. Lessing bezeichnete dort Goethe und Schopenhauer als die beiden glücklichsten Zufälle unserer Geistesgeschichte.(6)

Auch in seiner oben genannten Autobiografie brachte Theodor Lessing immer wieder zum Ausdruck, wie sehr er Arthur Schopenhauer schätzte. Er gehörte zu den “an meinem Wege voranschreitenden Meistern”(7). Bereits als Student der Medizin kaufte sich Lessing die Gesamtausgabe der Schriften Arthur Schopenhauers - ein sehr lohnender Kauf, denn sie “blieb meine beste Heilquelle für Lebenszeit”(8).

Seine Verehrung Schopenhauers zeigte Lessing auch während eines Aufenthaltes in Frankfurt, wo er das Grab seines Meisters besuchte und Gelegenheit hatte, Schopenhauers alten Krückstock zu kaufen, der ihn später “durch viele Länder begleitete”.(9)

Durchaus bedeutsam war für Lessing seine Bekanntschaft mit Omar al Raschid Bey, der ursprünglich Arndt-Krüger hieß. Aus dessen “an Kant und Schopenhauer orientierten Gedankensystem wurde”, wie Lessing schrieb, “nach seinem Tode (1912) ein wundervolles Bruchstück unter dem Titel Das hohe Ziel der Erkenntnis (Ananda Upanishad) herausgegeben. Die Freund- schaft mit diesem Denker wurde für mich in Schülerschaft und Widerspruch auf Jahre hinaus entscheidend ,denn durch ihn lernte ich zuerst die Weisheit Asiens und das erste Buch, das ich hingegeben las war das Oupnekhat [eine  Übersetzung der altindischen Upanishaden ].”(10)

Zu den Gemeinsamkeiten mit Schopenhauer im Denken und Fühlen gehörte auch Lessings Wertschätzung der Einsamkeit, was gerade für einen in der Politik aktiven Publizisten besonders bemerkenswert ist: “Ich vermöchte leicht auf alles zu verzichten, nur nicht auf Einsamkeit.”(11)

Nicht zuletzt verbindet  Lessing mit Schopenhauer auch sein enges Verhältnis zu den Tieren. Ihnen widmete er in seiner Autobiografie das besondere Kapitel Meine Tiere. Gleich am Anfang des Kapitels nannte er die Tiere meine Brüder, womit er mit Schopenhauer übereinstimmte, für den es eine “am Tage liegende Wahrheit” war, “daß wir, dem Wesentlichen nach und in der Hauptsache, das Selbe sind wie die Tiere”.(12) Lessings Zuneigung zu Tieren ging tief: “Nie habe ich ein ganz reines Gewissen gehabt bezüglich des dunklen Punktes, daß ich Fleischesser und Tiernutzer geblieben bin.”(13)

Sehr aufschlussreich und Schopenhauer wohl durchaus nahe kommend ist, was Lessing ebenfalls im Zusammenhang mit seiner Tierliebe schrieb: “Wenn aber (es wäre das schlechthin Schauerlichste und Grauenhafteste, was meine Phantasie auszudenken vermöchte), es Unsterblichkeit der Seelen gäbe, Wiedersehn und Wiederkehr nach dem Tode, so möchte ich von Menschen nur wenige wiedersehn; aber reizend und fröhlich ist der Gedanke von all den geliebten Tieren wieder umjubelt zu sein.”(14)

So wird dann auch verständlich, wenn Theodor Lessing gegen Ende seiner Autobiografie bekannte: “Ich liebte [...] Tiere, wie ich nie einen Menschen geliebt habe”.(15) Jedoch Fachphilosophisches hat mich immer enttäuscht und abgestoßen. Dagegen verging wohl kein Jahr, ohne daß ich wieder und wieder in Schopenhauer las, dem Menschen, zu dem ich am tiefsten Wesensverwandtschaft fühle.(16)

 

Anmerkungen

(1) Arthur Hübscher , Denker gegen den Strom. Schopenhauer : gestern - heute - morgen.
2. Aufl., Bonn 1982, S. 254.

(2)   Theodor Lessing , Einmal und nie wieder,
Gütersloh 1969, S. 239.

(3)   Heinrich Schmidt , Philosophisches Wörterbuch.
Neu bearb. von Georgi Schischkoff. 21. Aufl.,
 Stuttgart 1982, S. 406.

(4)   Wilhelm Kosch , Biographisches Staatshandbuch. Lexikon der Politik, Presse und Publizistik.
Fortgef. von Eugen Kuri. 2. Band,
Bern und München 1963, S. 758.

(5)   Zwölftes Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft für die Jahre 1923-1925, Mitgliederverzeichnis, S. 282.

(6)   Ebd., S. 25.

(7)   Theodor Lessing, a. a. O., S. 11.

(8)   Ebd., S. 39.

(9)   Ebd., S. 351.

(10) Ebd., S. 363 f. 
Welchen großen Wert Lessing den altindischen Upanishaden für Schopenhauer         beimaß, geht auch aus seinem o.g. Vortrag vor der Schopenhauer-Gesellschaft        hervor. Hiernach hielt er es “für sehr fraglich, [...] ob nicht Schopenhauer in viel höherem Maße von der Philosophie des Veda und der Upanishads erfüllt war als gerade von der welterlösenden Lehre Buddhas”
(Zwölftes Jahrbuch, a. a. O., S. 23).

(11)  Ebd., S. 408.
        Vgl. dazu > Arthur Schopenhauer : Einsamkeit
 
(12)  Ebd., S. 151 und Arthur Schopenhauer ,  Werke in zehn Bänden, Zürich 1977, Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 565.
        Weiteres hierzu > Arthur Schopenhauer : Tiere.

(13) Theodor Lessing , a. a. O., S. 151.

(14) Ebd., S. 152.
In diesem Sinne ist wohl der Titel seiner Autobiografie Einmal und nie wieder zu verstehen.

(15) Ebd., S. 392.

(16) Ebd., S. 408.

Weiteres: Hans Zint über Arthur Schopenhauer und die Soziale Frage > dort.

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