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Das Tat twam asi
in den Upanishaden
und der Ethik Schopenhauers

Tat twam asi (Dies bist  du)  - Diese drei Sanskritworte aus den altindischen Upanishaden sind nicht nur in der Philosophie des Hinduismus, sondern auch in  der Arthur Schopenhauers von zentraler Bedeutung. Schopenhauer wiederholte sie oftmals in seinen Werken, und zwar besonders im Zusammenhang mit seiner Ethik:

"Die Leser meiner Ethik wissen, daß bei mir das Fundament der Moral zuletzt auf jener Wahrheit beruht, welche im Veda und Vedanta [die auf den Upanishaden beruhen] ihren Ausdruck hat an der stehend gewordenen mystischen Formel tat twam asi (Dies bist du), welche mit Hindeutung auf jedes Lebende, sei es Mensch oder Thier, ausgesprochen wird und dann Mahavakya, das große Wort, heißt."(1)

Diese “mystische Formel” erklärte Helmuth von Glasenapp in seinem Buch Die Religionen Indiens im Zusammenhang mit der Lehre vom Brahma und zitierte dazu aus  der Taittiriya-Upanishad (Vers 3,1), wo es heißt: “Das Brahma ist das, woraus die Wesen geboren werden, wodurch sie leben und in das sie verscheidend eingehen.”(2)

Zwar werde, so erläuterte von Glasenapp weiter, die Weltschöpfung in den Upanishaden in unterschiedlicher Weise geschildert, “stets aber wird die Vorstellung festgehalten, daß der Kosmos aus dem Urwesen [Brahma *] hervorgegangen ist” und von ihm, dem Brahma, die Welt durchdrungen sei.(3) Dieses Durchdrungensein vom Brahma wird durch ein Gleichnis in der Chandogya-Upanishad erklärt: 

  “Uddalaka Aruni sagte zu seinem Sohn Shvetaketu: ´ Bringe eine Frucht von dem Feigenbaum.` Der Sohn holte sie und der Vater trägt ihm auf, dieselbe zu spalten. Die kleinen Kerne, die dadurch zutage treten, läßt er den Sohn noch einmal spalten, dann fragt er ihn:  ´ Was erblickst du darin? `  Er antwortet:  ´Nichts,  Ehrwürdiger.` Da belehrt ihn Uddalaka Aruni: ´Die feine Substanz, die du nicht wahrnimmst, mein Lieber, aus dieser feinen Substanz besteht dieses All, ist das Reale, ist der Atman [der innerste Kern, das ´Selbst` eines Wesens], das bist du, o Shvetaketu."(3) **

Dieses berühmte Gleichnis, durch welches die Upanishade das Tat twam asi zu erklären versucht, ist  von großer Bedeutung, denn, so meinte von Glasenapp, im Tat twam asi “liegt der Grundgedanke der Upanishaden beschlossen: die Erkenntnis, daß jedes Einzelwesen in seinem Kern mit dem Allwesen eines ist”.(3)

Somit ergibt sich als Schlussfolgerung: Wenn der Kern jedes Einzelwesens eines ist mit dem Allwesen (Brahman), dann ist jedes Einzelwesen trotz aller äußeren Unterschiede in seinem Kern auch eines mit dem jedes anderen Einzelwesens. Das Tat twam asi gilt für das Verhältnis aller einzelnen Wesens zueinander, also (selbstverständlich) auch im Verhältnis von Mensch und Tier.

Für Schopenhauer ergab sich  das Tat twam asi “aus der unmittelbaren und intuitiven Erkenntniß der metaphysischen Identität aller Wesen”. Hieraus gehe “alle ächte Tugend hervor”. (4)

Da sich das Tat twam asi, wie Schopenhauer mit Nachdruck betonte, auf alle Wesen und folglich auch auf die Tiere bezieht, führt das zu einer Ethik, die sich, und zwar im Hinblick auf  die Tiere, nicht nur graduell, sondern fundamental von der Moral des christlich geprägten Abendlandes unterscheidet. Schopenhauer war sich daher durchaus bewusst, dass die Wahrheit von der Wesensgleichheit allen Lebens in der westlichen Gesellschaft auf großes Unverständnis, ja auf entschiedene Ablehnung stößt. (5)

Die überaus scharfe Abgrenzung des Menschen vom Tier und die damit verbundene schlechte Behandlung der Tiere seien, wie Schopenhauer meinte, "Wirkungen des ersten Kapitels der Genesis", also  Folgen der biblischen Schöpfungsgeschichte: 

Ein “nicht weg zu erklärender und seine heillosen Folgen täglich manifestierender Grundfehler des Christenthums ist, daß es widernatürlicherweise den Menschen losgerissen hat, von der Thierwelt, welcher er doch wesentlich angehört, und ihn nun ganz allein gelten lassen will, die Thiere geradezu als Sachen behandelnd” (5)

Erläuternd fügte Schopenhauer hinzu: “Der besagte Grundfehler nun aber ist eine Folge der Schöpfung aus nichts, nach welcher der Schöpfer, Kap. 1 und 9 der Genesis, sämmtliche Thiere, ganz wie Sachen und ohne alle Empfehlung zu guter Behandlung ... dem Menschen übergibt, damit er über sie herrsche, also mit ihnen thue was ihm beliebt.”(6)

Dieser Einstellung, welche “die gesammte Thierwelt rechtlos läßt”, stellte Schopenhauer mit lobenden Worten die “bedeutende Rolle” gegenüber, die “im Brahmanismus und Buddhaismus durchweg die Thiere spielen”:  

 "Bei den Hindu und Buddhaisten hingegen gilt die Mahavakya (Das große Wort) Tat twam asi (dies bist du), welches allezeit über jedes Thier auszusprechen ist, um uns die Identität des innern Wesens in ihm und uns gegenwärtig zu erhalten, zur Richtschnur unsers Thuns. - Geht mir mit euerer allervollkommensten Moral. -" (7).

tat-twam-asi

Arthur Schopenhauer , Manuskript (8)

Anmerkungen

*
In dieser Website wird sonst die Bezeichnung Brahman verwendet, um Verwechslungen mit dem Gott Brahma zu vermeiden.

** Gerade das obige Gleichnis zeigt, wie nah Schopenhauers Philosophie den Upanishaden ist: Dort ist es der Feigenkern, aus dem der große Baum entstanden ist, bei Schopenhauer ist es das Samenkorn als Ausdruck der Lebenskraft, die identisch ist mit dem metaphysischen Willen in Schopenhauers Philosophie (> Weiteres). Da das Gleichnis das Brahman erklärt, liegt es nahe, das Brahman der Upanishaden mit dem metaphysischen Willen in Schopenhauers Philosophie gleichzusetzen. Daher ist es verständlich, wenn Schopenhauer vermutet, dass die Begriffe Brahman und Wille ähnliche oder sogar gleiche  Bedeutung haben. Das geht z. B. aus seinen Manuskripten hervor, wo er den Indologen Max Müller zitiert:Brahma means  originally force , will, wish, & propulsive power of creation.”(9) Aufschlussreich ist hierbei Schopenhauers Manuskripteintrag: “Das Tat-twam-asi ist ganz dasselbe mit der Erkenntniß der metaphysischen Einheit des Willens ...”(8) 

(1)
Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977,
Band IX: Parerga und Paralipomena II,
Kap. 8: Zur Ethik , S. 239.
(2) Helmuth von Glasenapp, Die Religionen Indiens,
Stuttgart 1943, S. 111.
(3) Ebd., S. 113.
(4) Schopenhauer , a. a. O., Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 47: Zur Ethik , S. 704.
(5) Im Abendland, so meinte Schopenhauer, sei die “Wahrheit: das Thier ist im Wesentlichen das Selbe wie der Mensch  ein anstößiges Paradoxon” (.Schopenhauer , a. a. O., Band X: Parerga ...II, Kap. 15: Ueber Religion, § 177: Ueber das Christenthum, S. 408).
(6) Ebd., S. 409.
(7) Ebd., S. 408-411.
(8) Arthur Schopenhauer , Der handschriftlich Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, München 1985,  Band 3, S. 281.
Obige Abb. ist aus Schopenhauers MS  Foliant II (1826), S. 193
(Univ.-Bibl. Frankfurt a. M. / Stand 02.10.2021).
(9) Schopenhauer , Nachlaß, a. a. O., Band 4 II, S. 17 f.

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