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 Arthur Schopenhauer

und die Soziale Frage

aus der Sicht von Hans Zint

Arthur Schopenhauer

Arthur Schopenhauer
1788-1860

Hans Zint
1882-1945

Hans Zint

       Vorwort der Redaktion

Wie im folgenden Beitrag von Hans Zint eindrucksvoll dargelegt, kam Arthur Schopenhauers Weltbild, seine Einstellung zur Sozialen Frage aus tiefstem Erleben und entzündete sich ihm am Anblick des sozialen Elends.

Die Soziale Frage “bezeichnet die sozialen Missstände, die mit der modernen europäischen Bevölkerungsexplosion und der Industriellen Revolution einhergingen” [1]. Sie bezieht sich somit  besonders auf die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, also auf die Zeit, in der Arthur Schopenhauer lebte und seine Werke entstanden. Das hierzu   weithin verbreitete Vorurteil, Schopenhauer hätte sich für die Soziale Frage kaum interessiert, wurde von Hans Zint durch einen Beitrag , den er unter dem Titel  Schopenhauer und der Sozialismus am 21. Februar 1928 in der Danziger Volksstimme veröffentlichte, überzeugend widerlegt. Dass Zints Artikel in dieser sozialdemokratischen Zeitung zum 140. Geburtstag Schopenhauers erschien, war kein Zufall: Danzig war die Geburtsstadt Schopenhauers, und das SPD-Mitglied Zint war dort Richter und Senator. Hinzu kam, dass Zint viele Jahre Vorsitzender der Schopenhauer-Gesellschaft und Herausgeber des Schopenhauer-Jahrbuches war, wo er auch Beiträge zu Arthur Schopenhauer und dessen Philosophie publizierte. Schon das zeigt, dass Hans Zint  durchaus die Kompetenz hatte, um zu Schopenhauers Einstellung zur Sozialen Frage in seinem folgenden Beitrag Stellung zu nehmen:

.....

“ Gedenktage der Geistesgeschichte erfüllen nur insoweit ihren Sinn, als sie nicht lediglich historische Reminiszenzen erneuern, sondern zugleich Kräfte aufzeigen, die von der Vergangenheit her in die Gegenwart hineingeströmt sind und in ihr sich als fortwirkend fruchtbar erweisen. So wird der 140. Geburtstag Schopenhauers , den am 22. Februar seine Vaterstadt begeht, für den Sozialisten ein Aufruf zur Besinnung auf die lebendigen Beziehungen, die sein Denken und Handeln mit der Philosophie Schopenhauers verknüpfen, auf die wesentlichen Antriebe, die er aus dieser für seine Gegenwartsarbeit, für seine Zukunftsaufgaben zu gewinnen vermag. „Sozialistische Weltanschauung“ ist ja kein nach allen Richtungen fest umschriebenes System, sondern bezeichnet die weltanschauliche Verankerung sozialistischer Zielsetzungen überhaupt. Gerade weil die geistigen Kraftquellen, die der großen Kulturbewegung des Sozialismus zuströmen, so mannigfaltig sind, ist dieser so vielgestaltig, so reich und so entwicklungsfähig. Wenn aber die ideengeschichtliche Herkunft des modernen Sozialismus von der klassischen deutschen Philosophie, von Kant , Schiller, Fichte und Hegel , heute als eine nicht mehr umstrittene Tatsache feststeht, so darf die Philosophie Schopenhauers vielleicht den Anspruch erheben, Motive in sich zu bergen, die für die Zukunft nicht minder als für die Vergangenheit von Bedeutung sind.

Schopenhauer ist kein Sozialist gewesen, ebensowenig wie Kant oder ein anderer der deutschen Philosophen; der Zeitabschnitt, den sein Leben und Schaffen ausfüllt (1788-1860), liegt vor der Geburtsstunde des wissenschaftlich begründeten Sozialismus und der Sozialdemokratie als politischer Partei. Als geschichtliche Erscheinung gehört Schopenhauer noch ganz der durch die französische Revolution von den ständischen Fesseln befreiten bürgerlichen Gesellschaftsepoche an; nicht mehr als die Anfänge der kapitalistischen Wirtschaftsweise hat er erblickt, ihre Auswirkungen kaum vorausgeahnt. Seine politische Stellungnahme war sogar im Alter ausgesprochen bürgerlich-konservativ, seine Haltung individualistisch-aristokratisch. Die Revolution von 1848 lehnte er ab, das „Sozialistische, Aufstachelnde“ war ihm verhaßt.

Gleichwohl ist nicht ohne Grund neuerdings die Behauptung aufgestellt worden, daß Schopenhauer , wenn er heute lebte , Sozialist sein würde. So problematisch ein solches Urteil, so müßig der Streit darüber erscheinen mag – es findet seine Berechtigung in der Erwägung, daß Schopenhauers politische Ansichten nur zeitgeschichtlich und stimmungsmäßig begründet, bloße Oberflächenerscheinungen sind, wogegen seine Ethik ihn weltanschaulich auf die Seite des Sozialismus stellt. 

Eine große Philosophie ist nichts Erklügeltes und bloß Erdachtes. „Die großen Gedanken kommen aus dem Herzen“ - sagte schon im 18. Jahrhundert ein geistreicher Franzose. So ist auch Schopenhauers Weltbild einem tiefsten Erleben entsprungen und dies Erleben, das den ersten Antrieb seines philosophischen Denkens bildete, und dessen Richtung bestimmte, entzündete sich ihm am Anblick des sozialen Elends. 

Im Alter von 16 und 17 Jahren unternahm Schopenhauer mit seinen Eltern eine große Reise, die ihn durch England, Frankreich und die Schweiz führte. Und da ist es eine in solchem Alter, bei dem Sprößling einer wohlhabenden bürgerlichen Familie, ganz auffallende, vielleicht beispiellose Erscheinung, daß nicht die Herrlichkeiten dieser Welt, nicht die Wunder der Natur und Kunst die tiefsten Reiseeindrücke bildeten, sondern die menschlichen Leiden, die sich ihm in grausigem Kontrast von jener schönen Umwelt abhoben. Der Besuch einer Taubstummenanstalt in Paris, elende Hütten und verkümmerte Menschen inmitten der paradiesischen Landschaft Südfrankreichs, in Lyon die Erinnerung an Greuelszenen der Revolution, in Toulon das Schicksal der an ihre Galeeren gefesselten Bagno-Sträflinge - das waren die Erlebnisse, die ihn auf dieser Reise am stärksten ergriffen und in ihm das „Brüten über das menschliche Elend“ erweckten, welches die leichtlebige Mutter später einmal brieflich an ihm tadelte. Aus solchem Brüten erwuchs ihm seine Philosophie, sein System des Pessimismus, das die Welt nicht als Schöpfung eines gütigen Gottes, sondern als die Erscheinung eines unseligen, an sich selbst zehrenden, gegen sich selbst wütenden, schuldhaften und leidvollen Weltwillens verstehen lehrt. Aus dem an solchen Anblicken entzündeten Mitleid entstand seine Ethik, die alles gerechte und gütige Handeln nicht, wie Kant, aus dem Gehorsam gegen ein kaltes Pflichtgebot, sondern aus lebendigstem Miterleben, Mit-leiden hervorgehen läßt.

Es ist hier nicht der Ort, die Auswirkungen solchen sozialen Empfindens in Schopenhauers System in alle seine Verzweigungen hinein zu verfolgen. Nur einzelne Aussprüche und Lehren mögen angeführt sein, die heute zum Besitzstand der „sozialistischen Weltanschauung“ gehören,  in Schopenhauer aber zum erstenmal als Bestandteile philosophischen Denkens auftreten.

Wie viele gibt es auch heute noch, die hochmütig von der Plattform ihrer Bildung herab auf die niederen Vergnügungen der großen Menge herabblicken, die nur am Rohen und Materiellen Freude zu empfinden verstehe. Sie könnten sich aus einer Aufzeichnung des erst zwanzigjährigen Schopenhauer belehren lassen:

Das eiserne Urteil des Bedürfnisses ist über der Armen Geschlecht ausgesprochen, Mangel und Notdurft liegen unabwälzbar auf ihm, fordern jede Kraft und hemmen jedes Streben. Nur wenn sie völlig befriedigt sind, darf der Geist, ermüdet und abgestumpft, durch die Nebel der Erde geblendet, aufwärtsblicken. Tadle die Armen nicht, wenn sie im Staube nach der Freude wühlen! O Gott, wir müssen es ihnen vergeben, wenn sie nach dem Bösen greifen; denn ihr Himmel ist verschlossen, und wenige Strahlen scheinen durch bis zu ihnen.[2]

Tiefstes Mitleid mit den „Parias der Gesellschaft“ spricht aus einer Jugendaufzeichnung:

Wie erbärmlich Zeit und Kräfte des Menschenlebens, das herrlichste und kürzeste, was wir kennen, angewandt und mit unbegreiflichster Torheit verschwendet werden, wird mir am deutlichsten, wenn ich einen Menschen sehe, dessen Arbeit es ist, mir aufzuwarten: wie das unbegreifliche, zusammengesetzte Geschöpf, das herrlichste, höchste der Natur mit den kleinsten Sorgen sich beschäftigt und sich abängstigt, Tage, Monate zubringt ohne viel andere Gedanken.[3]

Aus solchem Empfindens heraus ist ihm jeder Luxus, jeder Diener ein Vorwurf, und nur die Erwägung, daß er die fremden Dienstleistungen gegen eigene geistige Arbeit eintausche, vermag diesen stummen Vorwurf zu mindern; aber auch nur zu mindern, nicht ganz zu tilgen, denn:

Beim Anblick fremder Leiden ist das Andenken an unser eigenes Wohlsein immer ein Vorwurf und bitter.[4]

Aber mehr als Mitleid: Achtung, ja Ehrfurcht empfindet Schopenhauer vor jeder schweren körperlichen Arbeit, die mit Geduld und ohne Murren verrichtet wird.

Arbeit überhaupt, körperliche und geistige, ist für Schopenhauer der einzige rechtlich und sittlich mögliche Ursprung des Eigentums, und entgegen allen philosophischen Theorien, die das Eigentum als Urrecht, auf Besitzergreifung, auf Vertrag oder Gesetz begründen wollen, erklärt er:

Was ich durch meine Arbeit hervorbringe, ist mein; weil ein anderer, der es nehmen wollte, auch meine daran gewandte Arbeit,    d. i. meine Kraft, folglich einen Teil meiner Person, also mich, meine Freiheit nehmen würde. Daher gründet sich aller Besitz allein auf angewandte Mühe,[5]
und reines Nichtstun und Leben durch die Kräfte anderer, bei ererbtem Eigentum, bezeichnet er als ein moralisches Unrecht.

Freilich nach den positiven Gesetzen des Staates ist es anders. Aber der Ursprung des Staates ist für Schopenhauer auch kein moralischer, sondern er beruht auf Gewalt, und in den schärfsten Ausdrücken widerspricht er der Staatsvergötterung seines großen Antipoden Hegel. Er spricht von dem „unnatürlichen Zustande der Gesellschaft“, und den deutlichsten Ausdruck dieses Zustandes findet er in der Armut, in der Tatsache, daß neun Zehntel des Menschengeschlechts in beständigem Kampfe mit dem Mangel leben, während Wenige in Wohlsein und Ueberfluß ihr Dasein führen. Hier begegnen wir bei Schopenhauer Gedankengängen, die in der Theorie des Sozialismus eine große Rolle gespielt haben:

Armut und Sklaverei sind also nur zwei Formen, fast möchte man sagen: zwei Namen, derselben Sache, deren Wesen darin besteht, daß die Kräfte eines Menschen großenteils nicht für ihn selbst, sondern für Andere verwendet werden; woraus für ihn teils Ueberladung mit Arbeit, teils kärgliche Befriedigung seiner Bedürfnisse hervorgeht. Denn die Natur hat dem Menschen nur soviel Kräfte gegeben, daß er, unter mäßiger Anstrengung derselben, seinen Unterhalt der Erde abgewinnen kann: großen Ueberschuß von Kräften hat er nicht erhalten. Nimmt man nun die gesamte Last der physischen Erhaltung des Daseins des Menschengeschlechts einem nicht ganz unbeträchtlichen Teile desselben ab; so wird dadurch der übrige übermäßig belastet und ist elend. So zunächst entspringt also jenes Uebel, welches, entweder unter dem Namen der Sklaverei oder unter dem des Proletariats, jederzeit auf der großen Mehrzahl des Menschengeschlechts gelastet hat. Die entferntere Ursache desselben aber ist der Luxus. Damit nämlich einige Wenige das Entbehrliche, Ueberflüssige und Raffinierte haben, ja erkünstelte Bedürfnisse befriedigen können, muß auf dergleichen ein großes Maß der vorhandenen Menschenkräfte verwendet und daher dem Notwendigen, der Hervorbringung des Unentbehrlichen, entzogen werden. Statt Hütten für sich, bauen Tausende Prachtwohnungen für Wenige; statt grober Stoffe für sich und die Ihrigen weben sie feine oder seidene Stoffe oder gar Spitzen, für die Reichen, und verfertigen überhaupt tausend Gegenstände des Luxus, die Reichen zu vergnügen ...  Der ganze unnatürliche Zustand der Gesellschaft, der allgemeine Kampf, um dem Elend zu entgehen, die so viel Leben kostende Seefahrt, das verwickelte Handelsinteresse und endlich die Kriege, zu welchen das Alles Anlaß gibt ...,[6]
kurz, es ist das Bild der kapitalistischen Gesellschaft, das Schopenhauer bereits deutlich sieht, sogar die Marxische Lehre vom Mehrwert Jahrzehnte vor der Theorie des ´Kapitals` vorwegnehmend.

Doch nicht um die ökonomischen Zusammenhänge, nicht um eine bloße wissenschaftliche Soziologie handelte es sich für Schopenhauer bei alledem. Sondern wenn Schopenhauer seinen Lesern immer wieder auf alle die sozialen Schäden, auf Negersklaverei, Weberelend, Kinderarbeit, Länge des Arbeitstages aufmerksam macht, ihn durch Lazarette und Gefängnisse, über Schlachtfelder und Gerichtsstätten durch “alle die finsteren Behausungen des Elends, wo es sich vor den Blicken kalter Neugier verkriecht”, hindurchführt, so gewinnt er damit den empirischen Unterbau seiner Ethik, die gerade aus ihrem Pessimismus heraus Gerechtigkeit und Menschenliebe als die beiden sittlichen Kardinaltugenden proklamiert.

Hiermit aber ist in Schopenhauers System eben dasselbe gedanklich vollzogen, was in der Entwicklungsgeschichte des Sozialismus von jeher die letztentscheidende Triebfeder gebildet hat und voraussichtlich in aller Zukunft bilden wird. Der Sozialismus ist ja nicht als Klassenbewegung entstanden: die Pioniere der sozialistischen Idee - die Owen, Saint-Simon, Fourier, Proudhon, Marx, Engels, Lasalle - sind ja nicht selber Proletarier gewesen, sondern bürgerlicher, z. T. aristokratischer Herkunft, Männer, die vom Anblick des Elends, der Ausbeutung und Unterdrückung sittlich ergriffen, von Mitleid und Gerechtigkeitswillen getrieben, lehrend und kämpfend dem Proletariat die Waffen geschmiedet haben zu seinem großen Befreiungskampf.

Ein solcher Kämpfer war Schopenhauer nicht; denn er war Philosoph und Philosophie bedeutet Welterkenntnis, gedankliche, nicht praktische Weltgestaltung. Einer solchen Welterkenntnis wie derjenigen Schopenhauers aber werden in Zukunft wie einst immer wieder sittliche Antriebe entströmen, die das geschichtliche, das praktische Leben befruchten, - mag dieses selber auch im übrigen von soziologischen und ökonomischen Gesetzen bedingt werden.

Schopenhauer hat auch diese letzteren Gesetze und damit die Entwicklungsrichtung des Geschichtsverlaufes nicht verkannt: in den Fortschritten der Technik erblickte er die Möglichkeit des Kulturzustandes, der die Schäden der gegenwärtigen Gesellschaftsordnung nicht mehr aufwiese:

Wenn das Maschinenwesen seine Fortschritte in demselben Maße noch einige Zeit hindurch weiter führt, so kann es dahin kommen, daß die Anstrengung der Menschenkräfte beinahe ganz erspart wird - wie die eines großen Teils der Pferdekräfte schon jetzt. Dann freilich ließe sich an eine gewisse Allgemeinheit der Geisteskultur denken, welche hingegen solange unmöglich ist, als ein großer Teil desselben schwerer körperlicher Arbeit obliegen muß ...[,] so werden alsdann die Kriege im Großen, die Raufereien oder Duelle im Kleinen vielleicht ganz aus der Welt kommen; wie beide schon jetzt viel seltener geworden sind. Doch ist hier nicht mein Zweck, eine Utopia zu schreiben.[7]

Die Abkehr von der Utopie,  die Schopenhauer hier in Konsequenz seines Pessimismus vollzieht, ist nun aber zugleich eine der entscheidenden Grundtatsachen in der Entwicklung des Sozialismus und ein Fingerzeig dafür, daß Schopenhauers Bedeutung für diesen vielleicht mehr noch in der Zukunft als in der Vergangenheit liegt. Diese Abkehr ist zwar prinzipiell schon von Marx und Engels vollzogen worden; erst gegenwärtig aber beginnt man zu begreifen, wieviel utopische Elemente auch der klassische Sozialismus mit seiner Anweisung auf einen Zukunftsstaat, seinem Vertrauen auf die geschichtsumwälzende  Kraft einer plötzlichen sozialen und politischen Revolution noch enthielt. Wenn der fortgeschrittene westeuropäische Sozialismus in seiner übergroßen Mehrheit auf Methoden der Gewalt verzichtet und kommunistische Experimente ablehnt, so ist dies die Preisgabe des Restes von Utopismus, der dem theoretischen Sozialismus der Vorkriegszeit [vor dem 1. Weltkrieg] anhaftete.

Freilich auch der gegenwärtige Sozialismus ist kein Verzicht auf gestaltende Arbeit am geschichtlichen Dasein, kein bloßes Sichtreibenlassen - hier ist der Punkt, wo der Weg des kämpfenden Sozialisten sich von demjenigen des weltbetrachtenden Philosophen scheidet -, aber er ist auch ebensowenig mehr jener rosenrote Optimismus, der das tausendjährige Reich des allgemeinen Menschenglücks zu seinen Füßen sieht. Sondern der heutige Sozialismus, wie er seinen tiefsten Ausdruck vielleicht in dem Werke unseres belgischen Genossen Hendrik De Man findet, wird sich seiner selber als der zeitgebundenen Gestalt eines ewigen Kulturkampfes um eine gerechtere und natürlichere Gesellschaftsordnung bewußt, eines Kampfes, dessen Wert und Bedeutung nicht nur in einem “Später”, sondern bereits im Heute, in ihm selber liegt.

Und in demselben Maße, in dem dieser moderne Sozialismus sich außer auf seine zeitgeschichtlichen ökonomischen Bedingungen auch auf seine überzeitlichen sittlichen, ja religiösen Quellen besinnt, rückt sein Schwergewicht vom Ziel auf die Bewegung, vom Zukunftshoffen auf die Gegenwartskraft

Gegenüber dem ursprünglichen Utopismus mag dies wie eine Resignation erscheinen; aber es ist nicht die Resignation des Verzichts, sondern die Resignation des Kämpfers, die im Kampfe, in der sittlichen Willensbestimmtheit selber die Lebenserfüllung für den einzelnen wie für die Gesamtheit erblickt und eben damit gegen jede Enttäuschung gewappnet ist. Über diesem modernen Sozialismus steht als Wahrspruch das entschlossene Wort eines jungsozialistischen Führers (Haubach): ´Es geht nicht um ein paradiesisches, sondern um ein heroisches Dasein. Es geht nicht um das Glück der Menschheit (was könnte man sich darunter plastisch vorstellen?) - es geht um die ihr aufgegebene Leistung.”

Damit aber darf der moderne Sozialist sich wiederum nicht mehr nur in seinen Grundlagen, sondern auch in seinen Zielen und seiner Lebensbe- stimmung   auf der Seite Schopenhauers wissen. Denn für den Sozialisten gilt nun in besonderer, vertiefter Bedeutung das ernste und mannhafte Schopenhauer-Wort:

 Ein glückliches Leben ist unmöglich. Das Höchste, was der Mensch erlangen kann, ist ein heroischer Lebenslauf. Einen solchen führt der, welcher in irgendeiner Art und Angelegenheit für das allen irgendwie Zugutekommende mit übergroßen Schwierigkeiten kämpft und am Ende siegt ... “[8]
 

Anmerkungen der Redaktion
Die Angaben zu den Quellen der Schopenhauer-Zitate fehlen im Original und wurden deshalb nachstehend zu [2] - [7] von der Redaktion zugefügt.
[1] Wikipedia (Stand: 17.12.17).
[2] Den gleichen Wortlaut wie im obigen Zitat enthält der Brief, den Arthur Schopenhauer an seine Mutter im November 1806, also im Alter von 18 Jahren, schrieb.
(Vgl. Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe. Hrsg. von Arthur Hübscher, 2. Aufl., Bonn 1987, Brief  Nr. 4, S. 1 f.)
[3] Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden. Hrsg. von Arthur Hübscher. Band 1: Früheste Manuskripte, Aufzeichnungen 1804-1818, München 1985,
hier: Früheste Aufzeichnungen 1807-1808, Nr. 7, S. 5.
[4] Ebd., Manuskripte 1814, Nr. 246, S. 148.
[5] Aus Arthur Schopenhauers´s handschriftlichem Nachlaß.
Hrsg. von Julius Frauenstädt, Leipzig 1864, S. 146.
[6] Arthur Schopenhauer , Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band IX, Parerga und Paralipomena II/1, § 125, S. 266 f.    
[7] Ebd., S. 268 f.
[8] Ebd., § 172a, S. 350.

Weiteres
       > Theodor Lessing - ein Sozialdemokrat und Philosoph über Arthur Schopenhauer
.
         Schopenhauers Leben und Lehre - ein Widerspruch?

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