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Shankara - Upanishaden - Schopenhauer

Shankara

Shankara
Gemälde von
Raja Ravi Varma , 1904

Die Upanishaden , eine Quelle altindischer Weisheit, enthalten sehr unterschiedliche, ja mitunter sogar widersprüchlich erscheinende  Aussagen. Jedoch gab es einen indischen Philosophen, der diese Unterschiede auf geradezu geniale Weise überbrücken konnte und dabei in der Philosophie und Religion des Hinduismus von größter Bedeutung wurde. Er hieß Shankara. Dieser wohl wichtigste Philosoph des Hinduismus und Vertreter des Advaita-Vedanta, hat die Vedanta-Lehre und mit ihr das Verständnis der Upanishaden entscheidend geprägt. Shankara, auch Shankaracharya genannt, trug damit wesentlich dazu bei, dass Arthur Schopenhauer seine Philosophie in großer Übereinstimmung mit den Upanishaden finden konnte.

Laut Überlieferung wurde Shankara im Jahre 788 u. Ztr., also genau 1000 Jahre vor Schopenhauer, in Indien geboren. Helmuth von Glasenapp schrieb über ihn in seinem sehr aufschlussreichen Werk Die Religionen Indiens:

“In früher Jugend von seinem Lehrer Govinda zum Mönch geweiht, , soll er [Shankara], nachdem er in Benares seinen berühmten Kommentar zu den Brahma-Sutren geschrieben, ganz Indien durchzogen haben, um seine Lehren zu verbreiten und die Buddhisten in Disputen zu besiegen. Er starb angeblich nur 32 Jahre alt im Jahre 820 im Heiligtum Kedarnath im Himalaya.

Shankara gilt als der große Reformator der Riten und Lebensordnungen im Brahmanismus. Viele noch heute [1943] in Übung stehende sakrale Handlungen und soziale Bräuche werden von der Tradition auf ihn zurückgeführt. Vor allem kämpfte er für die Vereinheitlichung des Hinduismus ...

Als Philosoph lehrte Shankara eine neue Form der All-Einheitslehre des Vedanta, ein System der ´absoluten Zweiheitslosigkeit` (Kevaladvaita), das auf das geistige Leben Indiens einen ungeheuren Einfluß ausgeübt hat und als eine der grandiosesten Leistungen des grübelnden Menschengeistes angesehen werden muß.

Wie andere Theologen vor und nach ihm sah sich Shankara der Notwendigkeit gegenüber, die zahlreichen stark voneinander abweichenden Lehren der Upanishaden als Teile eines einheitlichen und widerspruchlosen Ganzen darzutun ...

Shankara fand ein bequemes Mittel zur Versöhnung dieser Widersprüche in der vom Mahayana [-Buddhismus] entwickelten Theorie von der absoluten und relativen Wahrheit.

Vom Standpunkt der höchsten Wahrheit existiert nur das ewige, unzerteilte, all-eine Brahma, der absolute Geist. Alle Vielheit ist ein bloßer Schein, ein Trug, der allein in unserem Nichtwissen [avidya] seinen Grund hat, über dessen Zustandekommen wir aber nichts auszusagen vermögen, da wir ihm anfangslos [?] verhaftet sind.

Vom Standpunkt der niederen, durch das Nichtwissen bedingten Wahrheit aber erscheint uns die Wirklichkeit als eine vielheitliche in Raum und Zeit ausgebreitete, den Gesetzen von Ursache und Wirkung gehorchende Welt, in der unendlich viele Einzelseelen, mit materiellen Körpern angetan, im anfangslosen [?] Sansara umherwandern. Das Brahma manifestiert sich hier als ein ewiger persönlicher Weltenherr, der den Kosmos periodisch entstehen und vergehen läßt und als innerer Lenker regiert.

Die Aufgabe des Menschen besteht darin,  ... allmählich im Verlaufe seiner Wiedergeburten einen so hohen Grad der Läuterung zu erreichen, daß er für die Erkenntnis der höheren Wahrheit reif wird und vom unteren Stockwerk des Lehrgebäudes, nämlich der bedingten Wahrheit, zu dem oberen, d. h. zur intuitiven Erfassung der All-Einheit emporsteigen kann.

Der Weise, dem seine Einheit mit dem unveränderlichen Urgrund alles Seins zum Bewußsein kommt, und der dessen inne wird, daß alle Vielheit und alles Leid auf Erden nur ein durch Unwissenheit hervorgerufenes Trugbild ist, der ist erlöst ...

Die Aufstellung dieser Lehre ermöglichte es Shankara, die ganze Tradition der Vergangenheit, die soziale Ordnungen und den Kult aller Götter unberührt bestehen zu lassen und doch gleichzeitig eine auf einer scharfsinnigen Erkenntnistheorie fußende mystische Religiosität zu verkünden, die emporstrebt über Raum, Zeit und alle vielheitliche Gestaltung und das vollständige Aufgehen im Allgeist sich zum Ziele setzt. Dadurch vermochte er das metaphysische Bedürfnis der ungebildeten Gläubigen und der tiefsinnigen Philosophen in gleicher Weise zu befriedigen und alle die vielen Anschauungen, die in Indien entstanden, in einem sie alle berücksichtigenden System zu einer höheren Einheit zusammenzufassen.” (1)

Die Vedanta-Lehre von Shankara erinnert sehr  an Arthur Schopenhauers Philosophie, nämlich der Welt als Wille und Vorstellung: Die Einheit, von Schopenhauer Wille genannt, erscheint, bedingt durch das principium individuationis, als Vielheit, als Vorstellung. Schopenhauer begründete das mit Kants Philosophie.

Auf die Ähnlichkeit zwischen der Philosophie Kants und der von Shankara weist auch das Philosophische Wörterbuch hin, denn dort heißt es: “Shankaras Kritik an der Erkenntnis, die uns die Vielheit der Welt vemittelt, gipfelt in der Feststellung, daß wir unter Wissen nur das verstehen können, was uns nach Verarbeitung der Erfahrung durch unsere Sinnesorgane gegeben ist, ohne einen direkten Zugang zur Wirklichkeit (zum Brahman) zu besitzen.  Damit nimmt Shankara ca. 1000 Jahre vor Beginn des europäischen Kritizismus Kants Grundgedanken vorweg, wenn auch von anderen Gesichtspunkten ausgehend.”(2)

Shankaras monistische Vedanta-Philosophie   beeinflusste in der Folgezeit entscheidend die Auslegung der Upanishaden. Durch diese im Sinne Shankaras interpretierten Upanishaden konnte sich dann ein Jahrtausend später Arthur Schopenhauer in seiner Philosophie bestätigt finden.

Shankaras oben erwähnte Auffassung vom Brahma “als ein ewiger persönlicher Weltenherr, der als innerer Lenker regiert”, scheint mit Schopenhauers Philosophie schwer vereinbarbar zu sein. Wird jedoch das Brahman - wie in den älteren Upanishaden - als das unpersönliche ALL-EINE verstanden, so ist die Übereinstimmung der von Schopenhauer in Anlehnung an Kant entwickelten Philosophie mit der von Shankara geprägten und sich auf die Upanishaden stützende Vedanta-Lehre erstaunlich, ja geradezu wunderbar.


Anmerkungen

(1) Helmuth von Glasenapp : Die Religionen Indiens,
      Stuttgart 1943, S. 312 ff.
(2) Philosophisches Wörterbuch. Begr. von Heinrich Schmidt.
      21. Auflage. Neu bearb. von Georgi Schischkoff,
      Stuttgart 1978, S. 606.

S. auch > Advaita-Vedanta und Schopenhauers Philosophie

             > Aranyakas - Upanishaden - Vedanta

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