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Arthur Schopenhauer

Der Satz vom Grunde

Ãœber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde - so lautet der zwar etwas sperrige, aber zutreffende Titel einer Schrift, die Arthur Schopenhauer 1847 veröffentlichte. Sie ist eine erhebliche Ãœberarbeitung  seiner 1813 erschienenen Dissertation. Bereits in der Vorrede zu dieser zweiten Auflage wies Schopenhauer darauf hin, dass sie eine “kompendiöse [zusammengefasste] Theorie des gesammten Erkenntnißvermögens” und eine Ergänzung des ersten Buches seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung nebst dazu gehörigen Kapiteln des zweiten Bandes sei.

Wie Schopenhauer in seinen Schriften hervorhob, ist der Satz vom Grunde nicht nur für sein philosophisches System, sondern für jede Wissenschaft von fundamentaler Bedeutung. Die “Wichtigkeit des Satzes vom zureichenden Grunde”, so meinte er, sei “überaus groß, da man ihn als die Grundlage aller Wissenschaften nennen darf”.(1)

In den Wissenschaften steht die Frage nach dem Warum aller Erscheinungen im Mittelpunkt. Auf diese zentrale, die Menschen seit jeher bedrängende Frage bezieht sich der Satz vom Grunde, der - nach  Schopenhauer -  in seiner “allgemeinsten” Formulierung lautet: Nichts ist ohne Grund warum es sei. (2)

Der verdienstvolle Schopenhauer-Forscher Arthur Hübscher beschrieb in seinem Buch Denker gegen den Strom, wie sich Schopenhauers Aussagen über den  Satz vom Grund seit seiner Dissertation gewandelt haben:

Die Dissertation ... hat ein begrenztes Ziel, sie behandelt ein Teilproblem der Logik. Schopenhauer tut, was Kant seiner Ansicht nach nicht getan hat, er gibt dem Satz vom Grund einen breiteren Geltungsbereich, eine vierfache Wurzel, wie er mit einer treffenden Metapher sagt.

Er beginnt mit der Empfehlung einer Methode allen Philosophierens, ja allen Wissens überhaupt. Man solle, mit Platon und mit Kant, zwei Gesetzen - dem der Homogenität [Gleichartigkeit]  und dem der Spezifikation [Einzelaufstellung] - in gleicher Weise Genüge tun. Des Gesetz der Homogenität sucht mit Hilfe von Ähnlichkeiten und Ãœbereinstimmungen bestimmte Arten zu erfassen und diese Arten ebenso zu Gattungen und diese wieder zu Geschlechtern zu vereinigen, bis wir endlich zur obersten, umfassenden Einheit gelangen.

Das Gesetz der Spezifikation aber verlangt die unter einem vielumfassenden Geschlechtsbegriff vereinigten Gattungen zu unterscheiden und weiter die Gattungen in Arten und Unter-Arten zu gliedern. Das Gesetz der Homogenität, dieser ´ Vogelscheuche gegen Zweifler`, verlangt, zusammenzufassen und das Einzelne aus der übergreifenden Einheit zu deduzieren [Herleitung des Besonderen aus dem Allgemeinen], das Gesetz der Spezifikation verlangt zu sondern, zu teilen und allgemeine Erkenntnisse induktiv [Herleitung allgemeiner Regeln aus Einzelfällen] aus einzelnen Wahrnehmungen zu gewinnen.

Das Gesetz der Spezifikation aber, meint Schopenhauer, sei bisher vernachlässigt worden, er will es in sein Recht setzen, er will den Satz vom Grunde aus einer Reihe von Erfahrungsfällen, den verschiedenen Klassen unserer Vorstellungen, erarbeiten, und damit tritt er in schärfsten Gegensatz zu der bis heute in Geltung stehenden Gedankenführung der Scholastik und der Neoscholastik, die jedes logische Problem dem Gesetz der Homogenität unterwirft.

Den beiden Anwendungen des Satzes, die man früher unterschieden hat, dem Satz vom Erkenntnisgrund, der sich auf die Wahrheit von Urteilen bezieht, und dem Satz vom Grunde des Werdens, dem Kausalitätsgesetz, das die Veränderungen realer Objekte angeht, fügt Schopenhauer zwei weitere hinzu: den Seinsgrund, der die Verhältnisse in Raum und Zeit nach mathematischer Notwendigkeit bestimmt, und den Handlungsgrund, das Gesetz der Motivation, das die ganze Reihe der überlegten Handlungen, der Willensakte, erklärt.

Die Motivation ist, wie Schopenhauer später sagt, die Kausalität von innen gesehen. Dieser Gedanke zeigt den jungen Philosophen bereits auf dem Wege zu der größten Entdeckung, die ihm vorbehalten war. In der methodisch, vom Bekannten zum weniger Bekannten fortschreitenden Ordnung, die er den vier Gestaltungen des Satzes vom Grunde ursprünglich gibt, bildet das Gesetz der Motivation den sinnvollen Abschluß.

Die Motivation aber hängt vom Subjekt des Wollens ab, und die Identität des Subjekts des Wollens mit dem Subjekt des Erkennens ist ihm noch ´schlechthin unbegreiflich` ...;

 Er steht vor dem unterirdischen Gang, der ins Innere der für Kant verschlossenen Festung des An-Sich-Seienden führt. Noch aber kann er diesen Gang nicht betreten. Noch hat er das Ding an sich im Willen nicht entdeckt, er sieht den Willen nur in seiner Erscheinung, dem Satz vom Grunde unterworfen. ...

Schopenhauer hat seiner Dissertation im Rahmen seiner späteren Werke die Rolle einer ´einleitenden` Abhandlung zugewiesen, die der Unterbau seines ganzen Systems geworden sei. In der 2. Auflage von 1847 hat er diesen Anspruch aufs entschiedenste verfochten: Er habe das Buch zu einer ´kompendiosen Theorie des gesamten Erkenntnisvermögens` umgestaltet, die ihre Ergänzung im ersten Buche seiner Welt als Wille und Vorstellung finde.

Diese Umarbeitung zeigte nun allerdings, daß das ursprüngliche Gewand für die inzwischen neu errungenen Gedanken und Erkenntnisse zu eng zugeschnitten war. Es ging nicht nur darum, die Abhandlung, wie Schopenhauer in der 1. Auflage seines Hauptwerks sagt, ´von manchen, aus meiner damaligen zu großen Befangenheit in der Kantischen Philosophie herrührenden Begriffen` zu reinigen, ´als da sind: Kategorien, äußerer und innerer Sinn und dgl.`, es kam zu einer durchgreifenden Verschiebung der Schwerpunkte.

Der Satz vom Grunde des Werdens wurde als Kausalität zum Grundprinzip allen Seins und aller geistigen Gestaltung erhoben, auch die Motivation, die vierte von Schopenhauer neu eingeführte Wurzel des Satzes, unterlag nun der strengen Kausalität, und die ursprünglichen vier Arten treten hinter das neue zentrale Begriffspaar Wille und Erkenntnis zurück.

Das kleine Buch [Über die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde] ist der ursprünglichen Absicht Schopenhauers nicht gerecht geworden, der Logik einen gleichberechtigten Rang neben seiner Metaphysik, seiner Naturphilosophie, seiner Ethik zu schaffen: Die Erkenntnislehre, die im 1. Buch. des Hauptwerks dargelegt wird, führt über den Bereich des Logischen weit hinaus. ...

Er [Schopenhauer] sah, daß die Logik uns nichts anderes lehren kann, als vorhandene Begriffe regelrecht zu handhaben. Ihm ging es um anderes: Die Rückleitung der Begriffe auf die anschauliche Erkenntnis, im Zusammenhang damit die Einschränkung des sachlichen Wertes begrifflichen Schließens auf ein bescheidenes Maß und schließlich die schroffe Abweisung jeder im Begrifflichen sich bewegenden Philosophie - diese wesentlichen Merkmale seines Denkens bilden sich schon in den nächsten Jahren mit bemerkenswerter Sicherheit heraus.” (132 ff.)

Besonders wichtig ist Schopenhauers  Hinweis , “daß der Satz vom Grunde nicht ... eine unbedingte Gültigkeit vor, außer und über alle Welt habe; sondern nur eine relativ bedingte, allein in der Erscheinung geltende, ... daher das innere Wesen der Welt, das Ding an sich, nimmer an seinem Leitfaden gefunden werden kann; sondern alles, wozu dieser führt, immer selbst wieder abhängig und relativ, immer nur Erscheinung, nicht Ding an sich ist ...”(4)

Das obige Zitat steht ziemlich am Anfang des ersten Buches seines Hauptwerkes: Die Welt als Vorstellung erste Betrachtung: Die Vorstellung unterworfen dem Satz vom Grunde: das Objekt der Erfahrung und Wissenschaft. Schon dadurch wird deutlich, dass es hier  nur um die Welt als Vorstellung, also um den Bereich der Erscheinungen, und nicht - wie im zweiten und vierten Buch seines Hauptwerkes - um die Welt als Wille geht, denn der (metaphysische) “Wille” war für Schopenhauer das Ding an sich.

Sich auf den Satz vom Gunde beziehend, schrieb Arthur Schopenhauer über seine Philosophie: “Sie wird  nicht, Kants großer Lehre zuwider, die Formen der Erscheinung, deren allgemeiner Ausdruck der Satz vom Grunde ist, als einen Springstock gebrauchen wollen, um damit ... die Erscheinung selbst zu überfliegen und im gränzenlosen Gebiet leerer Fiktionen zu landen. Sondern diese wirkliche Welt der Erkennbarkeit, in der wir sind und die in uns ist, bleibt, wie der Stoff, so auch die Gränze unserer Betrachtung: sie, die so gehaltreich ist, daß auch die tiefste Forschung, deren der menschliche Geist fähig wäre, sie nicht erschöpfen könnte.” (5)

 

Anmerkungen
(1)
Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977, Band V: Ueber die vierfache Wurzel des Satzes vom zureichenden Grunde. Eine philosophische Abhandlung, S. 16.
(2) Ebd., S. 17.
(3) Arthur Hübscher , Denker gegen den Strom. Schopenhauer : gestern - heute - morgen , 2. Aufl., Bonn 1982, S. 132 ff.
(4) Schopenhauer , a. a. O., Band I: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 63 f.
(5) Schopenhauer , a. a. O., Band II: Die Welt ... I, S. 345.

Im übrigen sei auf die ausführliche Darstellung des Satzes vom  Grunde in dem sehr empfehlenswerten Buch von Heinrich Hasse (Schopenhauer, München 1926, S. 102-143) hingewiesen.

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