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Arthur Schopenhauer : Menschenkenntnis

Grundlage zu aller Menschenkenntnis, meinte Arthur Schopenhauer, sei “die Ueberzeugung, daß das Handeln des Menschen, im Ganzen und Wesentlichen, nicht von seiner Vernunft und deren Vorsätzen geleitet wird [, ...]  sondern aus seinem angeborenen und unveränderlichen Charakter geht sein Thun hervor, wird näher und im Besonderen bestimmt durch die Motive, ist folglich das nothwendige Produkt dieser beiden Faktoren." *

In diesem Zusammenhang gab Schopenhauer  praktische, auf  Lebenserfahrung gegründete Hinweise, die zeigen, wie sehr zu einer realistischen Menschenkenntnis die zutreffende Beurteilung des menschlichen Charkters gehört: 

"Zu bewundern ist es, wie die Individualität jedes Menschen (d. h. dieser bestimmte Charakter mit diesem bestimmten Intellekt), gleich einem eindringenden Färbestoff, alle Handlungen und Gedanken desselben, bis auf die unbedeutendesten herab, genau bestimmt; in Folge wovon der ganze Lebenslauf, d. h. die äußere und innere Geschichte, des Einen so grundverschieden von der des Andern ausfällt.

Wie ein Botaniker an Einem Blatte die ganze Pflanze erkennt; wie Cuvier aus Einem Knochen das ganze Thier konstruirte; so kann man aus Einer charakteristischen Handlung eines Menschen eine richtige Kenntniß seines Charakters erlangen, also ihn gewissermaaßen daraus konstruiren; sogar auch wenn diese Handlung eine Kleinigkeit betrifft; ja, dann oft am besten: denn bei wichtigeren Dingen nehmen die Leute sich in Acht; bei Kleinigkeiten folgen sie, ohne vieles Bedenken, ihrer Natur. Zeigt Einer in solchen, durch sein absolut rücksichtsloses, egoistisches Benehmen, daß die Gerechtigkeit der Gesinnung seinem Herzen fremd ist; so soll man ihm, ohne gehörige Sicherheit, keinen Groschen anvertrauen.

Denn wer wird glauben, daß Der, welcher in allen andern, nicht das Eigenthum betreffenden Angelegenheiten, sich täglich ungerecht bezeugt und dessen grenzenloser Egoismus aus den kleinen, keiner Rechenschaft unterworfenen Handlungen des gemeinen Lebens überall hervorguckt, wie ein schmutziges Hemd aus den Löchern einer zerlumpten Jacke, - daß ein Solcher in den Angelegenheiten des Mein und Dein, ohne andern Antrieb, als den der Gerechtigkeit, ehrlich sein werde? Wer im Kleinen rücksichtslos ist, wird im Großen ruchlos sein. -

Wer die kleinen Charakterzüge unbeachtet läßt, hat es sich selber zuzuschreiben, wenn er nachmals aus den großen den betreffenden Charakter, zu seinem Schaden, kennen lernt. -

Nach dem selben Princip soll man auch mit sogenannten guten Freunden, selbst über Kleinigkeiten, wenn sie einen boshaften, oder schlechten, oder gemeinen Charakter verrathen, sogleich brechen, um dadurch ihren großen schlechten Streichen vorzubeugen, die nur auf Gelegenheit warten, sich einzustellen." *

Zum Verhältnis der Menschen untereinander schrieb Schopenhauer in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit:

"Jeder sieht am Andern nur soviel, als er selbst auch ist: denn er kann ihn nur nach Maaßgabe seiner eigenen Intelligenz fassen und verstehen. Ist nun diese von der niedrigsten Art; so werden alle Geistesgaben, auch die größten, ihre Wirkung auf ihn verfehlen, und er an dem Besitzer derselben nichts wahrnehmen, als bloß das Niedrigste in dessen Individualität, also nur dessen sämmtliche Schwächen, Temperaments- und Charakterfehler. [...]  Die höheren geistigen Fähigkeiten desselben sind für ihn so wenig vorhanden, wie die Farbe für den Blinden. Denn alle Geister sind dem Dem unsichtbar, der keinen hat." **


Weiteres:
> Aphorismen zur Lebensweisheit
> Blogbeiträge :
Arthur Schopenhauer - Lebensphilosophie für Unangepasste

Anmerkungen
* Arthur Schopenhauer, Zürcher Ausgabe, Werke in zehn Bänden, Band IX: Parerga und Paralipomena II, Zürich 1977, S. 250 f.
** Schopenhauer, a. a. O., Band VIII: Aphorismen zur Lebensweisheit, S. 488.

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