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Magnus Schwantje

zu Arthur Schopenhauers Philosophie

Vorbemerkung der Redaktion

Der folgende Beitrag wurde von > Magnus Schwantje im Ersten Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft (1912) unter dem Titel Der Pessimismus in der Ethik veröffentlicht. Er ist fast wortgleich mit einem Artikel in Heft 3 / 1912 der Ethischen Rundschau,  die seit 1912 von Schwantje herausgegeben und bereits 1915 wegen ihres pazifistischen Inhalts von den Militärbehörden verboten wurde. Es ist bezeichnend, dass Schwantje in Heft 1 darauf hinwies, dass der ethische Standpunkt dieser Monatsschrift dadurch zum Ausdruck kommen soll, dass in jedem Heft die Bilder von Arthur Schopenhauer und Richard Wagner sowie Aussprüche von ihnen über das Mitleid vorangestellt werden.

Das oben erwähnte Jahrbuch von 1912 enthält ein Mitgliederverzeichnis der 1911 gegründeten Schopenhauer-Gesellschaft, in welchem Magnus Schwantje aufgeführt ist. Somit gehörte der Pazifist und Vorkämpfer für die Rechte der Tiere, Schwantje,  zu den ersten Mitgliedern dieser Gesellschaft. Hieraus, aber auch aus seinem folgenden Beitrag wird deutlich, wie sehr er die Philosophie Schopenhauers schätzte, ja sich zu ihr bekannte.

Trotz größter Wertschätzung folgte jedoch Schwantje  nicht völlig kritiklos allen Ansichten Schopenhauers, so zum Beispiel  dem, was Schopenhauer über Frauen schrieb. Leider war Schwantje nicht bekannt, dass Schopenhauer sich gegen Ende seines Lebens über Frauen durchaus positiver als in seinen Werken geäußert hatte. So habe er “wörtlich” gesagt: Ich habe noch nicht mein letztes Wort über die Frauen gesprochen. Ich glaube, wenn es einer Frau gelingt, sich der Masse zu entziehen oder vielmehr sich über sie zu erheben, so wächst sie unaufhörlich ... (Zit. aus: Arthur Schopenhauer  Gespräche, neue Ausgabe, hrsg. von Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstatt 1971, S. 376 f.) Die zitierte Äußerung war kurz vor Schopenhauers Tod, so dass dieser - was höchst bedauerlich ist - nicht mehr die Möglichkeit hatte,  sein offenbar im positiven Sinne gewandeltes Frauenbild in seine Werke einzuarbeiten.

Magnus Schwantje : “ Es ist betrübend zu sehen, wie viele sittlich strebende Menschen in unserer Zeit eine philosophische Begründung ihres sittlichen Wollens und eine Richtschnur für ihre Handeln in den seichten Werken von Modeschriftstellern suchen, während die unermeßlichen Schätze der Werke Schopenhauers ihnen unbekannt bleiben. In unserer Zeit wird allerdings oft die Ansicht ausgesprochen, daß die Lehren Schopenhauers auf das sittliche Streben nur unheilvoll Wirken könnten, da eine pessimistische Weltanschauung, wie sie in seinen Werken dargestellt sei, die Tatkraft lähme ; ja, oft wird der Pessimismus sogar als die Frucht einer materialistischen und egoistischen Gesinnung hingestellt. Tatsächlich muß gerade ein idealistisch gesinnter und mitleidiger Mensch, wenn er mutig und unbefangen die Wahrheit erforscht, zu einer pessimistischen Weltanschauung kommen; und gerade diese erzeugt den höchsten Opfermut. Wer von der Wirklichkeit befriedigt wird, kann kein Bedürfnis fühlen, sich ein Ideal zu bilden und ihm nachzustreben.

Freilich kann der Pessimismus auch das Ergebnis von Enttäuschungen egoistischen Strebens sein, und dann bestärkt er meistens die Selbstsucht des Menschen. Aber ein Pessimismus, der aus einer idealistischen und altruistischen Gesinnung erwächst, lähmt nicht den Trieb zum Wirken. Ebenso wie die Erkenntnis der Beschränktheit unseres Intellektes nicht den Trieb vernichtet, alles zu erforschen, was unserer Erkenntnis erreichbar ist, so kann die Erkenntnis, daß alle Liebestätigkeit die schlimmsten Übel der Welt nicht ausrotten kann, nicht den Trieb lähmen, diejenigen Leiden zu verhüten, die wir verhüten können; ja, gerade eine pessimistische Weltanschauung führt oft zu dem Verzicht auf eigenes Glück, der alle Kräfte frei macht zum Wirken für andere.

Während also die Furcht vor dem Pessimismus Schopenhauers in den meisten Fällen einer kurzsichtigen Denkweise entspringt, haben einige seiner politischen Ansichten und seiner Ansichten über die Frauen gerade viele derjenigen Menschen von einer Prüfung seiner Werke zurückgehalten, denen Schopenhauer eine Klärung und Vertiefung ihrer eigenen Anschauungen und eine erhebende, tröstende und stärkende Erbauung geben könnte. Wie die Werke jedes andern philosophischen Genies, sind auch die Schopenhauers nicht frei von Fehlern; und zu diesen rechne ich hauptsächlich einige seiner politischen Ansichten und seiner Ansichten über die Frauen. Aber den wenigen einseitigen und übertreibenden Urteilen steht in Schopenhauers Werken eine Fülle der tiefsinnigsten Lehren gegenüber, wie wir sie kaum in den Werken irgend eines andern Menschen finden.

Auch seine Moral-Philosophie gehört zu dem Wertvollsten, was je ein Genie der Menschheit gegeben hat. Es würde einen höchst segensreichen Einfluß auf die sittliche Entwicklung der Menschheit ausüben, wenn diese Lehre allgemeine Anerkennung fände. Insbesondere die Erkenntnis, daß wir den Antrieb zu allem moralischen Handeln nicht durch ein Gebot der Vernunft, sondern durch das Mitleid empfangen, würde die Menschen befähigen, sowohl die Handlungen des Einzelnen, wie die politischen und sozialen Verhältnisse und die Bestrebungen ethischer Vereine mit tieferem moralischem Verständnis zu beurteilen. Sie würde auch bewirken, daß die Menschen jedes Wesen nicht nach dem Grade seiner Fähigkeit zum abstrakten Denken, sondern nach dem Grade seines Mitgefühls schätzen und lieben, und daß sie an den Leiden und Freuden aller Wesen, nicht nur der Menschen, inniger teilnehmen. Damit wäre auch die Scheidewand niedergerissen, welche der Mensch hochmütig zwischen sich und der Tierwelt aufgerichtet hat; denn wenn auch die Erkenntniskraft, des Menschen die der Tiere weit überragt, so sehen wir doch bei unbefangener Beobachtung, daß die Tiere ebensosehr wie wir Lust und Schmerz fühlen, und daß sie heute durch die Schuld des Menschen schwer leiden. Die Änderung der Ansichten von den Tieren und die dadurch bewirkte Verstärkung der Bestrebungen zum Schutze der Tiere, insbesondere des Vegetarismus, des Kampfes gegen die Vivisektion und des Kampfes gegen das Jagdvergnügen, würden aber nicht nur eine ungeheure Menge von Qualen unschuldiger Wesen beseitigen, sondern auch sowohl die Lebensführung wie die Anschauungen der Menschheit wesentlich umgestalten und veredeln. Alle diese und ähnliche Bestrebungen finden ihre wissenschaftliche Begründung und damit ihre kräftigste Stütze in der Philosophie Schopenhauers.”

> Magnus Schwantje : Arthur Schopenhauer und der Tierschutz

> Arthur Schopenhauer : Tiere

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