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Arthur Schopenhauer

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Arthur Schopenhauer

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Kunst und Kunstwerk

Jedes Kunstwerk kann nur durch das Medium der Phantasie wirken.
Arthur Schopenhauer

Auszüge aus: Schopenhauer-Lexikon. Ein philosophisches Wörterbuch,
nach Arthur Schopenhauers sämmtlichen Schriften
 und handschriftlichem Nachlaß
bearb. v. Julius Frauenstädt,  Bd. 2, Leipzig 1871, S. 21 ff.
(Stichworte: Kunst , Kunstwerk ):

Nicht bloß die Philosophie, sondern auch die schönen Künste arbeiten im Grunde darauf hin, das Problem des Daseins zu lösen. Denn das wahre Wesen der Dinge, des Lebens, des Daseins hat allein Interesse für den von den Zwecken des Willens frei gewordenen Intellekt. Deshalb ist das Ergebnis jeder rein objektiven, also auch jeder künstlerischen Auffassung der Dinge ein Ausdruck mehr vom Wesen des Lebens und Daseins, eine Antwort mehr auf die Frage:  Was ist das Leben?

Aber die Künste reden nur die naive und kindliche Sprache der Anschauung, nicht die abstrakte und ernste der Reflexion; ihre Antwort ist daher ein flüchtiges Bild, nicht eine bleibende allgemeine Erkenntnis. Sie gewähren immer nur ein Fragment, ein Beispiel, statt der Regel, nicht das Ganze, als welches nur in der Allgemeinheit des Begriffes gegeben werden kann. Für diesen daher, also für die Reflexion und in abstracto, eine eben deshalb bleibende und auf immer genügende Beantwortung jener Frage zu geben, - ist die Aufgabe der Philosophie. (W II, 461 fg.)

Eine Wissenschaft kann Jeder erlernen, wenn auch der Eine mit mehr, der Andere mit weniger Mühe. Aber von der Kunst erhält Jeder nur so viel, als er, nur unentwickelt, mitbringt. Was helfen einem Unmusikalischen Mozart'sche Opern? Was sehen die Meisten an der Rafael'schen Madonna? Und wie Viele schätzen Göthes Faust nicht bloß auf Auktorität? - Denn die Kunst hat es nicht, wie die Wissenschaft, bloß mit der Vernunft zu tun, sondern mit dem innersten Wesen des Menschen, und da gilt Jeder nur so viel, als er wirklich ist. (H, 301.)

Die Wissenschaften gehen dem Satz vom Grunde in seinen verschiedenen Gestaltungen nach und ihr Thema bleibt die Erschei- nung, deren Gesetze, Zusammenhang und daraus entstehendes Verhältnis. Die Kunst hingegen, das Werk des Genius, betrachtet das außer und unabhängig von aller Relation bestehende, allein eigentlich Wesentliche der Welt, den wahren Gehalt ihrer Erscheinungen, das keinem Wechsel Unterworfene, die Ideen. Sie wiederholt die durch reine Kontemplation aufgefassten ewigen Ideen. Ihr einziger Ursprung ist die Erkenntnis der Ideen; ihr einziges Ziel Mitteilung dieser Erkenntnis. Wir können sie geradezu bezeichnen als die Betrachtungsart der Dinge unabhängig vom Satze des Grundes, im Gegensatz der gerade diesem nachgehenden Betrachtung, welche der Weg der Erfahrung und Wissenschaft ist.
(W I, 217 fg.; II, 414; P II, 449 fg.; H, 302.)

Zweck der Kunst ist die Erleichterung der Erkenntnis der Ideen der Welt (im platonischen Sinne). (W II, 464.)

Die Kunst ist, da die Idee ihr Gegenstand ist, nicht Nachahmung der Natur, des Wirklichen, sondern sie übertrifft die Natur, indem der Künstler durch Antizipation [Vorwegnahme] dessen, was die Natur darzustellen sich bemüht hat, durch Erkenntnis der Idee im einzelnen Dinge, das Schöne schaut, so wie der Dichter das Charakteristische. (W I, 261-263; H, 364-368.)

Der Künstler lässt uns durch seine Augen in die Welt blicken. Dass er diese Augen hat, dass er das Wesentliche, außer allen Relationen Liegende der Dinge erkennt, ist die Gabe des Genius, das Angeborene; dass er aber im Stande ist, auch uns diese Gabe zu leihen, uns seine Augen aufzusetzen, dies ist das Erworbene, das Technische der Kunst. (W I, 230.)

Jedes Kunstwerk kann nur durch das Medium der Phantasie wirken, daher es diese anregen muss und sie nie aus dem Spiel gelassen werden und untätig bleiben darf. Dies ist eine Bedingung der ästhetischen Wirkung und daher ein Grundgesetz aller schönen Künste.

Aus demselben aber folgt, dass durch das Kunstwerk nicht Alles geradezu den Sinnen gegeben werden darf, vielmehr nur so viel, als erfordert ist, die Phantasie auf den rechten Weg zu leiten; ihr muss immer noch etwas und zwar das Letzte zu tun übrig bleiben. Daher bringen Wachsfiguren, obgleich gerade in ihnen die Nachahmung der Natur den höchsten Grad erreichen kann, nie eine ästhetische Wirkung hervor und sind nicht eigentliche Werke der schönen Kunst. Denn sie lassen der Phantasie nichts zu tun übrig. (W II, 463 fg.)


Nachwort der Redaktion:

Schopenhauers Schriftstellerei ist, wie die Redaktion meint, selbst Kunst und seine Werke in ihrer Gesamtheit ein Kunstwerk! In diesem Sinne ist wohl auch Thomas Mann zu verstehen, der in einem Essay über Schopenhauer dessen Werke als Kunstwerk hervorhebt:

“Die Philosophie Arthur Schopenhauers ist immer hervorragend künsterisch, ja als Künstlerphilosophie par excellence empfunden worden. Nicht [...] weil ihre Komposition von so vollendeter Klarheit, Durchsichtigkeit, Geschlossenheit, ihr Vortrag von einer Kraft, Eleganz, Treffsicherheit, einem leidenschaftlichen Witz, einer klassischen Reinheit und großartig heiteren Strenge des Sprachstils ist, wie dergleichen nie vorher in deutscher Philosophie gewahrt worden war: dies alles ist nur ´Erscheinung`, [...] die gar nicht anders als in Schönheitsformen, nicht anders denn als persönliche, durch die Kraft ihrer Erlebtheit, Erlittenheit überzeugende Wahrheitsschöpfung sich offenbaren kann.

So kommt es, daß diese Philosophie ganz vorzugsweise unter Künstlern und Eingeweihten der Kunst ihre Bewunderer, Zeugen, enthusiastischen Bekenner gefunden hat.”*

Daher nannte Thomas Mann die Philosophie Arthur Schopenhauers “eine künstlerische Weltkonzeption, an welcher nicht bloß der Kopf, sondern der ganze Mensch mit Herz und Sinn, mit Leib und Seele beteiligt ist”.
(Zit. aus: Über Arthur Schopenhauer .
Hrsg. v. Gerd Haffmans, 3. Aufl.,Zürich 1981, S. 88 f.)

* Beispiele s. > Schopenhauerianer .

                      > Arthur Schopenhauer und die Musik

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