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Isha-Upanishad : Das rechte Handeln

Texte zur Ethik der Upanishaden ( Hinduismus )

Ich bin jetzt zu der Überzeugung gelangt: Wenn alle Upanishaden und alle anderen heiligen Schriften plötzlich zu Asche würden und nur der erste Vers der Isha - Upanishad den Hindus im Gedächtnis bliebe, dann würde der Hinduismus für immer lebendig bleiben.(1)

Obiges Zitat aus einer Rede, die Mahatma Gandhi 1937 in Quilon gehalten hatte, zeigt eindrucksvoll die Bedeutung der Isha-Upanishad im Hinduismus. Die Isha-Upanishad, welche “die älteste und - mit Recht - angesehenste der Vers-Upanishaden” (2) ist, enthält “eine Reihe wertvoller und neuer Gedanken”(3), darunter auch die Erkenntnis, die in den Upanishaden immer wichtiger wurde, nämlich “der Einheit des Selbst mit allen Wesen”(4). Gerade diese Erkenntnis, die an vielen Stellen der Upanishaden hervorgehoben wird, ist die spirituelle Grundlage für die Ethik des Hinduismus.

Die folgenden Verse 1-3 der Isha-Upanishad sind Übersetzungen aus dem Sanskrit mit Erläuterungen von Paul Thieme:

Isha-Upanishad 1 (Sprecher A:)

Wohnung des Herrn ist alles, was sich nur hier auf der Erde bewegt. Deshalb sollst du dich von freiwillig Überlassenem nähren!
Giere nicht nach irgend jemandes Besitz!

Eine Vorschrift für das Leben eines Asketen, der nur von Bettelspeisen oder von ohne Gewaltanwendung Genommenem, z. B. abgefallenen Früchten, aufgelesenen Ähren u. dgl., sein Leben fristen soll. Mit ,Herr‘ ist ,das große Selbst‘ gemeint, das in dieser dem Pantheismus nahestehenden Philosophie die Stelle Gottes einnehmen kann. 
Vgl. z. B. Brihadaranyaka-Upanishad  4.4.24:
,Wahrlich, dieses große, ungeborene Selbst   . . . ist der Herr von allem, der Gebieter von allem, der Oberherr von allem, . . . er ist der Oberherr der Lebewesen, der Herr der Welten, der Beschützer der Welten . . .;
Brihadaranyaka-Upanishad 1.4.16: Dieses Selbst ist in den Körper der Lebewesen eingegangen bis zu den Nagelspitzen, wie wenn ein Messer in seine Scheide hinein- gesteckt ist . . .

Zur Begründung der im zweiten Satz vorgeschriebenen Gewaltlosigkeit, die im ersten Satz gegeben ist, vgl. 1. Korinther 3.16,6.19, 2. Korinther 6.16. Der Unterschied ist, daß der christliche Autor nur den Menschen als ,Tempel‘ Gottes ins Auge faßt, während der indische an alle Lebewesen, wohl auch Pflanzen und Bäume ...denkt.

Isha-Upanishad 2 (Sprecher B:)

Trachte hundert Jahre (d. h. dein volles Leben) auf dieser Erde zu leben, indem du Handlungen lediglich ausführst. So - nicht anders als so - färbt dein Handeln nicht auf dich ab (auf deine Person / Seele)

... Handlungen lediglich ausführen heißt: ohne Begierde, ohne Wünsche, ohne gefühlsmäßiges ,Haften‘ (also ohne Zuneigung oder Abneigung) handeln. Brihadaranyaka-Upanishad 4.4.8: ,,Aber wer ohne zu begehren, ohne Begierde, frei von Begierde . . . ist, dessen Lebenskräfte verlassen ihn nicht in der Todesstunde. Das brahman seiend, geht er ins brahman ein“;
Brihadaranyaka-Upanishad 4.4.9: ,,Wenn von dem Sterblichen alle Begierden, die in seinem Herzen sich eingenistet haben, aufgegeben werden, dann wird er unsterblich. Indem er sie aufgibt, erreicht er das brahman." Die Idee ist eines der Hauptprinzipien der Bhagavad-Gita. Vgl. z. B. 5.10: Wer handelt, nachdem er alles Halten aufgegeben hat, der wird vom bösen Handeln nicht befleckt, wie ein Lotosblatt nicht vom Wasser.

Im Gegensatz zu Vers 1 wird also in Vers 2 der Isha-Upanishad behauptet, daß auch böses Handeln, also auch Rauben oder gar Töten, ohne Schaden geschehen kann, wenn es ohne ,Haften‘ getätigt wird.

Isha-Upanishad 3 (Sprecher A:)

 “Dämonisch” heißen die Welten, mit blinder Finsternis bedeckt - in die gehen nach dem Tode ein alle die, die ein Selbst (= eine Seele, ein lebendes Wesen) töten.

Der Auffassung von Sprecher B wird entgegengehalten, daß es für die, die töten - auch wenn sie es ohne ,Haften‘ tun -, nicht nur keine Erlösung (Eingehen in das brahman) geben kann, sondern auch, daß sie an einen besonderen Strafort, in eine Hölle gelangen ...(5)

Im obigen Kommentar zu seiner Übersetzung des ersten Verses der Isha-Upanishad erklärte Paul Thieme, dass die Philosophie dieser Upanishad dem Pantheismus nahe steht.  Obgleich die Lehre des Buddhismus wie auch die Philosophie von Arthur Schopenhauer nicht pantheistisch, sondern atheistisch sind, zeigt deren Ethik viel Übereinstimmendes mit der in den Upanishaden. Das gilt z. B. auch im Hinblick darauf, dass dort die Ethik allumfassend ist und somit auch die Tiere mit einschließt. Thieme hat hierzu durchaus mit Recht auf den fundamentalen Unterschied zum Christentum hingewiesen, was übrigens auch Schopenhauer, und zwar nachdrücklicher, bereits 150 Jahre vor ihm getan hatte.

So findet die Ethik der Gewaltlosigkeit gegenüber Mensch und Tier schon in den alten Upanishaden eine überaus tiefe spirituelle Begründung. Ihre Ethik kommt besonders deutlich in der Ahimsa (Sanskrit, wörtlich: Nichtverletzen) zum Ausdruck. Dieses Ideal wurde vor allem durch Mahatma Gandhi weltbekannt.

Leider besteht überall in der Welt - also auch in Indien -  immer noch ein Abgrund zwischen Ideal und Wirklichkeit, und das obwohl die Isha-Upanishad mit ihrer Ethik inzwischen weit mehr als 2000 Jahre alt ist. Wo ist da der Fortschritt? Arthur Schopenhauer war in dieser Hinsicht skeptisch. Als Realist, der die Welt so sah wie sie ist, fehlte ihm der ansonsten weit verbreitete naive Fortschrittsglaube. Jedoch sollte man hierbei bedenken: In den Upanishaden geht es ebenso wie im Buddhismus und in Schopenhauers Philosophie nicht um bloße Weltverbesserung, sondern in ihrem Kern um Erlösung. Gerade dadurch können sie für die, welche  am Leid der Welt fast verzweifeln, eine Quelle sein, in der viel Hoffnung und Trost zu schöpfen ist.
                                                                                                                                   
Anmerkungen

(1)  Zitat aus: Die Weisheit der Upanischaden.
Klassiker indischer Spiritualität. Übers. u. hrsg. von Hans-Georg Türstig. Frankfurt a. M.: Fischer, 1996, S.17.

(2)  Upanischaden. Aus dem Sanskrit übertr. u. erläutert  von Paul Thieme, Stuttgart: Reclam, 1979, S. 77.

(3)  Upanishaden. Die Geheimlehre der Inder (übertr. u. eingeleitet von Alfred Hillebrandt). Köln 1983, S. 168.

(4)  Ebd.

(5)  Paul Thieme, s. o. (2), S. 77 ff.

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