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Anmerkung
zu einem nicht ungetrübten Verhältnis

Bei aller Bewunderung, die Arthur Schopenhauer bis zu seinem Lebensende dem von ihm hoch verehrten Goethe entgegenbrachte, hatten sie zueinander ein nicht ganz ungetrübtes Verhältnis. Das zeigte sich nicht nur bei ihrer Zusammenarbeit in der Farbenlehre, sondern auch in ihren unterschiedlichen  Weltsichten. Der Schopenhauer-Forscher Arthur Hübscher meinte hierzu in seinem grundlegenden Werk zur Wirkungsgeschichte Schopenhauers Denker gegen den Strom:

“Und nun wurde ihm [Schopenhauer] am Beispiel Spinozas wohl zum erstenmal die pantheistische Naturanschauung Goethes gegenwärtig, der Glaube an die Einheit alles Lebens, die sich in der Vielheit von Gestaltungen auslebt und doch immer wieder zur Identität ihres Wesens zurückführt. Schopenhauer mochte diese Lehre von der All-Einheit bestimmen, nicht aber der optimistischen Ausprägung, die sie bei Goethe von Spinoza her gefunden hat und in seinen späteren Werken deutlich zutage tritt ... Das Übel, das Böse in der Welt als notwendiger Bestandteil einer ausgleichenden Harmonie, - das mußte dem jungen Philosophen, der schon damals das Übel, das Böse als herrschende Weltmacht begriffen hatte und die Ethik in die Mitte und an das Ende seines Denkens setzte, zuinnerst fremd sein.” (1)

So ist es dann verständlich, wenn Goethe 1816 über sein Verhältnis mit Schopenhauer schrieb:

“Dr. Schopenhauer trat als wohlwollender Freund an meine Seite. Wir verhandelten manches übereinstimmend untereinander, doch ließ sich zuletzt eine gewisse Scheidung nicht vermeiden, wie wenn zwei Freunde, die bisher miteinander gegangen, sich die Hand geben, der eine jedoch nach Norden, der andere nach Süden will, da sie dann sehr schnell einander aus dem Gesichte kommen.” (2)

Auch wenn sich Goethe und Schopenhauer voneinander entfernten, so galt das nicht für Schopenhauers Mutter und seiner Schwester Adele. Zwischen Adele Schopenhauer und Goethe bestand nach wie vor eine ziemlich nahe Beziehung, die fast einem Vater-Tochter-Verhältnis gleichkam, zumal Adele mit Goethes Schwiegertochter Ottilie eng befreundet war.

In ihrem Brief vom 5. Februar 1819 berichtete Adele ihrem Bruder Arthur, dass sie oft Goethe begegnen würde und teilte dem Bruder dabei auch mit,  wie dessen Werk Die Welt als Wille und Vorstellung von Goethe aufgenommen wurde:  

“ Nun laß uns von Deinem Werke reden. Ich erhielt es vor kurzem. Quandt's Vater ist todt, daher die Verzögerung. Goethe empfing es mit großer Freude, zerschnitt gleich das ganze dicke Buch in zwei Theile und fing augenblicklich an, darin zu lesen. Nach einer Stunde sandte er mir beiliegenden Zettel und ließ sagen: Er danke Dir sehr und glaube daß das ganze Buch gut sei. Weil er immer das Glück habe, in Büchern die bedeutendsten Stellen aufzuschlagen, so habe er denn die bezeichneten Seiten gelesen und große Freude daran gehabt. Darum sende er die Nummern, daß Du nachsehen könnest was er meine. Bald gedenkt er Dir selber weitläufiger seine Herzensmeinung zu schreiben; bis dahin solle ich Dir dies melden. Wenige Tage darauf sagte mir Ottilie, der Vater sitze über dem Buche und lese es mit einem Eifer, wie sie noch nie an ihm gesehen. Er äußerte gegen sie: auf ein ganzes Jahr habe er nun eine Freude; denn nun lese er es von Anfang zu Ende und denke wohl soviel Zeit dazu zu bedürfen. Dann sprach er mit mir und meinte, es sei ihm eine große Freude, daß Du noch so an ihm hingest, da ihr euch doch eigentlich über die Farbenlehre veruneinigt hättet, indem Dein Weg von dem seinen abgienge. In diesem Buche gefalle ihm vorzüglich die Klarheit der Darstellung und der Schreibart, obschon Deine Sprache von der der andern abweiche, und man sich erst gewöhnen müsse, die Dinge so zu nennen, wie Du es verlangst. Habe man aber einmal diesen Vortheil erlangt und wisse: daß Pferd nicht Pferd, sondern cavallo und Gott etwa dio oder anders heiße, dann lese man bequem und leicht. Auch gefalle ihm die ganze Einthcilung gar wohl - nur ließ ihm das ungraziöse Format keine Ruh, und er bildete sich glücklich ein, das Werk bestehe in zwei Theilen. Nächstens hoffe ich ihn wieder allein zu sprechen; vielleicht äußert er etwas Befriedigenderes. Wenigstens bist Du der einzige Autor, den Goethe auf diese Weise mit diesem Ernste liest; das, dünkt mich, muß Dich freuen  ... “ (3)

Diese nicht unfreundliche Aufnahme von Schopenhauers Hauptwerk durch Goethe ist bemerkenswert, reimte doch Goethe 1814 im Zusammenhang mit Schopenhauer: Trüge gern noch länger des Lehrers Bürden, wenn Schüler nur  nicht gleich Lehrer würden. (4)

Der “Schüler” Arthur Schopenhauer löste sich von seinem Lehrer. Wie sehr Schopenhauer ein selbständiger Denker wurde, zeigte sich einige Jahre später höchst eindrucksvoll in seinem Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung, welches  - laut  Schwester Adele -  Goethe “mit großer Freude” empfing.


Weiteres:
Welt - Wille - Vorstellung / Zur Lebensphilosophie von Arthur Schopenhauer > hier.


Zitatquellen:
(1)
Arthur Hübscher, Denker gegen den Strom. Schopenhauer: gestern-heute-morgen, 4. Aufl., Bonn 1988, S. 67.
(2) Ebd., S. 71.
(3) Arthur Hübscher, Adele an Arthur Schopenhauer,
Unbekannte Briefe I,
in: Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft 1977, S. 154.
(4) Zit. n. Hübscher, Denker, a. a. O., S.78.

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