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Arthur Schopenhauer

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Arthur Schopenhauer

über

Gnade und Gnadenwirkung

Aus: Schopenhauer-Lexikon.
Ein philosophisches Wörterbuch,
nach Arthur Schopenhauers sämmtlichen Schriften und handschriftlichem Nachlaß
bearbeitet von Julius Frauenstädt. Band 1, Leipzig 1871, S. 299 f.

Notwendigkeit ist das Reich der Natur, Freiheit ist das Reich der Gnade. Natur ist die Bejahung des Willens zum Leben, Gnade die Verneinung des Willens, die Erlösung. (W I, 478 f., 483)

Weil die Selbstaufhebung des Willens von der Erkenntnis ausgeht, alle Erkenntnis und Einsicht aber als solche von der Willkür unabhängig ist; so ist auch die Verneinung des Willens, der Eintritt in die Freiheit, nicht durch Vorsatz zu erzwingen, sondern geht aus dem innersten Verhältnis des Erkennens zum Wollen im Menschen hervor, kommt daher plötzlich und wie von Außen angeflogen. Daher eben nannte die Kirche sie Gnadenwirkung. Und weil in Folge solcher Gnadenwirkung das ganze Wesen des Menschen von Grund aus geändert und umgekehrt wird, so dass er nichts mehr will von Allem, was er bisher so heftig wollte, also wirklich gleichsam ein neuer Mensch an die Stelle des alten tritt, nannte sie diese Folge der Gnadenwirkung die Wiedergeburt. (W I, 478 f.) Die gänzliche Sinnesänderung des Menschen (Wiedergeburt) ist nicht die Wirkung abstrakter Erkenntnis (Ethik), sondern intuitiver Erkenntnis (Gnadenwirkung). (W I, 625)

Der christlichen Lehre von der Gnadenwahl gab die Einsicht den Ursprung, dass der Hauptsache und dem Inneren nach die Tugend gewissermaßen, wie der Genius, angeboren ist, und dass so wenig als abstrakte Ästhetik Einem die Fähigkeit genialer Produktion beibringen kann, eben so wenig abstrakte Ethik einen unedlen Charakter zu einem tugendhaften, edlen umzuschaffen vermag. (W I, 624 f.; P II, 243)
 

Nachwort der Redaktion

Bei diesem, für seine Philosophie, und zwar insbesondere für seine Lehre vom metaphysischen Willen und die damit verbundenen Frage nach der Willensfreiheit wichtigen Thema ist Arthur Schopenhauer in weitgehender Übereinstimmung mit einem Vers aus den von ihm hoch geschätzten altindischen Upanishaden. So heißt es im Kathaka-Upanishad 2.23:

Nicht durch Belehrung wird erlangt der Atman,
Nicht durch Verstand und viele Schriftgelehrtheit :
Nur wen er wählt, von dem wird er begriffen :
Ihm macht der Atman offenbar sein Wesen.
Aus: Paul Deussen: Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishad´s.,
6. Aufl., Leipzig 1921, S. 159.
Zur Gnadenwahl in den Upanishaden vgl. auch:
Johannes Hertel: Upanischaden. Die alte Weisheit Indiens.
Eine Auswahl aus den ältesten Texten. Neuausgabe, München 2005, S. 38.

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