Willst du etwas wissen, so frage einen Erfahrenen und keinen Gelehrten.
Diese chinesische Lebensweisheit könnte auch von Arthur Schopenhauer sein, denn sie ist - wie unten die Zitathinweise zeigen - ganz im Sinne Schopenhauers, der > Erfahrung weit höher schätzte als nur angelesenes Buchwissen.
Bei Gelehrten dachte Schopenhauer vor allem an jene, die im Rahmen ihrer Ämter, zum Beispiel Professuren, ihr Wissen verbreiteten. So schrieb er mit dem ihm eigenen bissigen Humor, dabei aber durchaus mit einem Kern von Wahrheit im Kapitel Ueber Gelehrsamkeit und Gelehrte :
Im Ganzen genommen, ist die Stallfütterung der Professuren am geeignetesten für die Wiederkäuer. Hingegen die, welche aus den Händen der Natur die eigene Beute empfangen, befinden sich besser im Freien. (P II 519)
Deshalb wird, wer nicht nur bloße Gelehrsamkeit, sondern lebensnahe Erkenntnis anstrebt, diese weniger innerhalb als vielmehr außerhalb des Studierzimmers suchen. Dort, “im Freien”, ist eher die Möglichkeit zur Anschauung, die laut Pestalozzi das Fundament der Erkenntnis ist. Schopenhauer gab dazu eine tiefere Begründung:
Das mit Hilfe anschaulicher Vorstellungen operierende Denken ist der eigentliche Kern aller Erkenntnis, indem es zurückgeht auf die Urquelle. auf die Grundlage aller Begriffe. Daher ist es der Erzeuger aller wahrhaft originellen Gedanken, aller ursprünglichen Grundansichten und aller Erfindungen ... (G 103 f.)
Bei aller Kritik, die Arthur Schopenhauer über Gelehrte und Gelehrsamkeit äußerte, ist zu bedenken, dass er selbst ein Gelehrter war, und zwar mit einem geradezu enzyklopädischen Wissen. Doch er war noch weit mehr, nämlich ein Lebensphilosoph, ein Weiser. So zielte sein Spott, der in den folgenden Zitathinweisen zum Ausdruck kommt, vor allem auf die trockenen Buchstabengelehrten, die mit bloßer Begriffsakrobatik ihr Geld “verdienen”. Der Wahrheitssucher, dem es wirklich nur um Einsicht geht, muss sich davon nicht betroffen fühlen, ja vielleicht wird sogar mancher Gelehrter aus eigenen Erfahrungen mit seinen Kollegen Schopenhauers bissigen Bemerkungen nicht widersprechen. Weitere Zitathinweise (aus Wagners > Schopenhauer - Register , Stichwort Gelehrte ):
- Die mehr oder minder große Kenntnis der besonderen Sätze einer Wissenschaft vermehrt nicht die Gründlichkeit, sondern den Umfang der Gelehrsamkeit.
> W I 75.
Das Wissen der meisten Gelehrten ist tot, weil es aus lauter abstrakten Erkenntnissen besteht, zu welchen ihnen die anschauliche Erkenntnis fehlt; oft ist ihr Wissen bloßer Wortkram. > W I 72; W II 84, 159; P II 664 (Anm.).
Das unaufhörliche Lesen trägt viel bei zum Mangel an Originalität der Gelehrten. > W II 85.
Sie lesen sich dumm. > P II 527, 529, 587.
Das viele Schreiben und Lehren entwöhnt von der Gründlichkeit des Wissens und Verstehens; es lässt zum Lernen keine Zeit. > E 540, 182; P II 514.
Ihre Lesewut ist eine Art von Flucht vor der Gedankenleere. > W II 85.
Wie wenig muss doch einer zu denken gehabt haben, damit er so viel hat lesen können! > P II 514.
- Dem Erlangen wirklicher Einsichten steht auch im Wege, dass die Gelehrten gezwungen sind, sich für denkende Wesen auszugeben und auf alle ersinnlichen Fragen Antworten bereit haben müssen.
> W II 159; P I 163.
- Die überraschende Unwissenheit vieler Gelehrter hat zum Grunde ihren Mangel an objektivem Interesse für ihr Fach.
> P II 56, 526.
Die Wissenschaft ist ihnen ( diesen Gelehrten ) Mittel, nicht Zweck. > P II 516 ff.
Sie streben nicht nach Weisheit, sondern lehren, um Geld zu verdienen. > P II 513, 688.
Sie gehen nur auf Kunde, nicht auf Einsicht aus. > P II 513 f.; P I 172 f.
Es ist wichtiger, mehr nach Erlangung richtiger Einsicht als nach Gelehrsamkeit zu streben. > W II 154 f.
- Gelehrsamkeit ersetzt das Genie nicht, weil sie bloße Begriffe liefert.
> W II 80.
Die Gelehrsamkeit ist die Ausstattung mit einer großen Menge fremder Gedanken. Sie verhält sich zum Genie wie der Kommentar zum alten Klassiker. > P II 515, 82; W II 79.
Ein Gelehrter ist, wer viel gelernt hat; ein Genie der, von dem die Menschheit lernt, was er von keinem gelernt hat. > P II 82.
- Der Unterschied zwischen Gelehrten und Denkern beruht darauf, dass jene bloß in den Büchern, diese aber im Buche des Lebens gelesen haben.
> P II 527.
Gelehrte reden nur von dem, was sie gelesen habe, der Denker hingegen von dem, was er gedacht hat. > W II 86.
Der Denker verhält sich zum Gelehrten wie der Augenzeuge zum Geschichtsforscher. > P II 530 f.
Sie ( die Gelehrten ) brauchen immer Gesellschaft und, wann sie allein sind, ein Buch; der Denker ist gern allein mit der Natur. > W I 233.
- Alle Gelehrsamkeit ist relativ: die Gelehrten der Vorzeit sind Kinder gegen uns: hingegen können Weise zu jeder Zeit leben und bleiben es für alle kommenden Geschlechter.
> W II 87.
> Erfahrung und Erkenntnis
|