Was überhaupt ist Ethik? - fragte Thomas Mann in einem Essay über Arthur Schopenhauer . Seine Antwort, veröffentlicht als Vorwort für eine Schopenhauer - Auswahl, war ganz im Sinne von Schopenhauer : “ Ethik “, so Thomas Mann, ” ist die Lehre von den Handlungen der Menschen, die Lehre vom Guten und Bösen. Die Lehre? War denn der blinde, grund- und sinnlose Wille belehrbar? Selbstverständlich nicht. Selbstverständlich war die Tugend nicht zu lehren, sowenig wie die Kunst es war. Sowenig jemand zum Künstler wurde dadurch, daß man ihm das Wesen des ästhetischen Zu- standes erklärte, sowenig wurde einer gut und mied das Böse, weil man ihm Sinn und Bedeutung des einen und anderen erläuterte ...” ( Zit. aus: Über Arthur Schopenhauer, hrsg. v. Gerd Haffmans, 3. Aufl. 1981, dort: Thomas Mann, Schopenhauer, S. 103 f.)
Diese, von Thomas Mann formulierte Schopenhauersche Erkenntnis dürfte vielen Morallehrern nicht angenehm sein, erklärt sie doch, warum ihrem Bemühen, soweit es nicht ohnehin erfolglos bleiben muss, enge Grenzen gesetzt sind. Schopenhauer hatte es deshalb von vornherein vermieden, Moral zu predigen. Stattdessen gab er, was weit schwieriger ist, in seinen Schriften eine sehr tiefe, aber dennoch verständliche Begründung für Ethik.
Moral und Ethik sind in Schopenhauers Philosophie zwei zentrale, kaum voneinander zu unterscheidende Begriffe. Arthur Schopenhauer brachte das bereits im Titel, unter welchem er zwei seiner Schriften zusammenfasste, zum Ausdruck, nämlich “ Die Grundprobleme der Ethik, behandelt in zwei akademischen Preisschriften “. Die zweite dieser “ Preisschriften ” trägt die Überschrift “ Über das Fundament der Moral ”.
Auch in philosophischen Nachschlagewerken ist schwer erkennbar, worin eigentlich der wesentliche Unterschied zwischen Ethik und Moral besteht: So erklärt das Philosophische Wörterbuch (21. Aufl. - Stuttgart 1982, S. 169) Ethik als “ Sittenlehre ”. Sie sei “praktische Philosophie, denn sie sucht nach einer Antwort auf die Frage; was sollen wir tun?”. Moral sei “ derjenige Ausschnitt aus dem Reich der ethischen Werte, dessen Anerkennung und Verwirklichung bei jedem erwachsenen Menschen zunächst angenommen wird” (S. 465).
Die vorstehende Definition von Ethik, die sich auf das “Sollen” bezieht, zeigt erhebliche Unterschiede zu Arthur Schopenhauer, wie in der folgenden Zusammenstellung aus seinen Werken ersichtlich ist:
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