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Determinismus und Freiheit

Das Verhältnis von Determinismus und Freiheit ist eines der schwierigsten Themen in Arthur Schopenhauers Philosophie, denn beide Begriffe  schließen sich einander aus.  Die Frage, Determinismus oder Freiheit, war für Schopenhauer ein metaphysisches Problem, zu dem er  ausführlich und sehr tiefgründig Stellung nahm. Doch zunächst ist zu fragen: Was bedeutet “Determinismus”?

Determinismus ist laut dem Wörterbuch der philosophischen Begriffe “in den Naturwissenschaften die Voraussetzung eines durchgängigen Kausalzusammenhangs aller Vorgänge in der Welt, auch der seelischen Erlebnisse und Willenshandlungen, in der Ethik die Annahme einer Bestimmung des Willens durch innere und äußere Ursachen, die die Freiheit des Willens ausschließt, in der Theologie die Lehre, daß das menschliche Wollen vollständig durch Gott bewirkt und bestimmt wird”.*

Dementsprechend geht es hier um die höchst bedeutsame Frage der Willensfreiheit. Schopenhauer schrieb hierzu im zweiten Band seines Hauptwerkes, und zwar im Kapitel Transcendente Betrachtungen über den Willen als Ding an sich:

“Erinnern wir uns jetzt an eine Wahrheit, deren ausführlichsten und gründlichsten Beweis man in meiner Preisschrift über die Freiheit des Willens findet, an diese nämlich, daß, kraft der ausnahmslosen Gültigkeit des Gesetzes der Kausalität, das Thun oder Wirken aller Wesen dieser Welt, durch die dasselbe jedesmal hervorrufenden Ursachen, stets streng necessitirt [notwendig bedingt] eintritt; in welcher Hinsicht es keinen Unterschied macht, ob es Ursachen im engsten Sinne des Worts, oder aber Reize, oder endlich Motive sind, welche eine solche Aktion hervorgerufen haben; indem diese Unterschiede sich allein auf den Grad der Empfänglichkeit der verschiedenartigen Wesen beziehen.

Hierüber darf man sich keine Illusion machen: das Gesetz der Kausalität kennt keine Ausnahme; sondern Alles, von der Bewegung eines Sonnenstäubchens an, bis zum wohlüberlegten Thun des Menschen, ist ihm mit gleicher Strenge unterworfen. Daher konnte nie, im ganzen Verlauf der Welt, weder ein Sonnenstäubchen in seinem Fluge eine andere Linie beschreiben, als die es beschrieben hat, noch ein Mensch irgend anders handeln, als er gehandelt hat: und keine Wahrheit ist gewisser als die, daß Alles was geschieht, sei es klein oder groß, völlig nothwendig geschieht.

Demzufolge ist, in jedem gegebenen Zeitpunkt, der gesammte Zustand aller Dinge fest und genau bestimmt, durch den ihm soeben vorhergegangenen; und so den Zeitstrom aufwärts, ins Unendliche hinauf, und so ihn abwärts, ins Unendliche herab.

Folglich gleicht der Lauf der Welt dem einer Uhr, nachdem sie zusammengesetzt und aufgezogen worden: also ist sie, von diesem unabstreitbaren Gesichtspunkt aus, eine bloße Maschine, deren Zweck man nicht absieht.

Auch wenn man, ganz unbefugter Weise, ja, im Grunde, aller Denkbarkeit, mit ihrer Gesetzlichkeit, zum Trotz, einen ersten Anfang annehmen wollte; so wäre dadurch im Wesentlichen nichts geändert. Denn der willkürlich gesetzte erste Zustand der Dinge, bei ihrem Ursprung, hätte den ihm zunächst folgenden, im Großen und bis auf das Kleinste herab, unwiderruflich bestimmt und festgestellt, dieser wieder den folgenden, und so fort, per secula seculorum [in alle Ewigkeit) da die Kette der Kausalität, mit ihrer ausnahmslosen Strenge, - dieses eherne Band der Nothwendigkeit und des Schicksals, - jede Erscheinung unwiderruflich und unabänderlich, so wie sie ist, herbeiführt. Der Unterschied liefe bloß darauf zurück, daß wir, bei der einen Annahme, ein ein Mal aufgezogenes Uhrwerk, bei der andern aber ein perpetuum mobile [sich ewig bewegendes Ding] vor uns hätten, hingegen die Nothwendigkeit des Verlaufs bliebe die selbe.

Daß das Thun des Menschen dabei keine Ausnahme machen kann, habe ich in der angezogenen Preisschrift unwiderleglich bewiesen, indem ich zeigte, wie es aus zwei Faktoren, seinem Charakter und den eintretenden Motiven, jedesmal streng nothwendig hervorgeht: jener ist angeboren und unveränderlich, diese werden, am Faden der Kausalität, durch den streng bestimmten Weltlauf nothwendig herbeigeführt.

Demnach also erscheint, von einem Gesichtspunkt aus, welchem wir uns, weil er durch die objektiv und a priori gültigen Weltgesetze festgestellt ist, schlechterdings nicht entziehen können, die Welt, mit Allem was darin ist, als ein zweckloses und darum unbegreifliches Spiel einer ewigen Nothwendigkeit, einer unergründlichen und unerbittlichen Αναγχη [Notwendigkeit].

Das Anstößige, ja Empörende dieser unausweichbaren und unwiderleglichen Weltansicht kann nun aber durch keine andere Annahme gründlich gehoben werden, als durch die, daß jedes Wesen auf der Welt, wie es einerseits Erscheinung und durch die Gesetze der Erscheinung nothwendig bestimmt ist, andererseits an sich selbst Wille sei, und zwar schlechthin freier Wille, da alle Nothwendigkeit allein durch die Formen entsteht, welche gänzlich der Erscheinung angehören, nämlich durch den Satz vom Grunde in seinen verschiedenen Gestalten: einem solchen Willen muß dann aber auch Aseität [vollkommenes Durchsichselbstsein] zukommen, da er, als freier, d. h. als Ding an sich und deshalb dem Satz vom Grunde nicht unterworfener, in seinem Seyn und Wesen so wenig, wie in seinem Thun und Wirken, von einem Andern abhängen kann.

Durch diese Annahme allein wird so viel Freiheit gesetzt, als nöthig ist, der unabweisbaren strengen Nothwendigkeit, die den Verlauf der Welt beherrscht, das Gleichgewicht zu halten.

Demnach hat man eigentlich nur die Wahl, in der Welt entweder eine bloße, nothwendig ablaufende Maschine zu sehen, oder als das Wesen an sich derselben einen freien Willen zu erkennen, dessen Aeußerung nicht unmittelbar das Wirken, sondern zunächst das Daseyn und Wesen der Dinge ist.

Diese Freiheit ist daher eine transscendentale, und besteht mit der empirischen Nothwendigkeit so zusammen, wie die transscendentale Idealität der Erscheinungen mit ihrer empirischen Realität. Daß allein unter Annahme derselben die That eines Menschen, trotz der Nothwendigkeit, mit der sie aus seinem Charakter und den Motiven hervorgeht, doch seine eigene ist, habe ich in der Preisschrift über die Willensfreiheit dargethan: eben damit aber ist seinem Wesen Aseität beigelegt.

Das selbe Verhältniß nun gilt von allen Dingen der Welt. - Die strengste, redlich, mit starrer Konsequenz durchgeführte Nothwendigkeit und die vollkommenste, bis zur Allmacht gesteigerte Freiheit mußten zugleich und zusammen in die Philosophie eintreten: ohne die Wahrheit zu verletzen konnte dies aber nur dadurch geschehen, daß die ganze Nothwendigkeit in das Wirken und Thun (Operari) die ganze Freiheit hingegen in das Seyn und Wesen (Esse) verlegt wurde.

Dadurch löst sich ein Räthsel, welches nur deshalb so alt ist wie die Welt, weil man bisher es immer gerade umgekehrt gehalten hat und schlechterdings die Freiheit im Operari, die Nothwendigkeit im Esse suchte.

Ich hingegen sage: jedes Wesen, ohne Ausnahme, wirkt mit strenger Nothwendigkeit, dasselbe aber existirt und ist was es ist, vermöge seiner Freiheit. Bei mir ist also nicht mehr und nicht weniger Freiheit und Nothwendigkeit anzutreffen, als in irgend einem frühem System; obwohl bald das Eine, bald das Andere scheinen muß, je nachdem man daran, daß den bisher aus reiner Nothwendigkeit erklärten Naturvorgängen Wille untergelegt wird, oder daran, daß der Motivation die selbe strenge Nothwendigkeit, wie der mechanischen Kausalität, zuerkannt wird, Anstoß nimmt. Bloß ihre Stellen haben beide vertauscht: die Freiheit ist in das Esse versetzt und die Nothwendigkeit auf das Operari beschränkt worden.

Kurzum, der Determinismus steht fest: an ihm zu rütteln haben nun schon anderthalb Jahrtausende vergeblich sich bemüht, dazu getrieben durch gewisse Grillen, welche man wohl kennt, jedoch noch nicht so ganz bei ihrem Namen nennen darf. In Folge seiner aber wird die Welt zu einem Spiel mit Puppen, an Drähten (Motiven) gezogen; ohne daß auch nur abzusehen wäre, zu wessen Belustigung: hat das Stück einen Plan, so ist ein Fatum, hat es keinen, so ist die blinde Nothwendigkeit der Direktor.

- Aus dieser Absurdität giebt es keine andere Rettung, als die Erkenntniß, daß schon das Seyn und Wesen aller Dinge die Erscheinung eines wirklich freien Willens ist, der sich eben darin selbst erkennt: denn ihr Thun und Wirken ist vor der Nothwendigkeit nicht zu retten. Um die Freiheit vor dem Schicksal oder dem Zufall zu bergen, mußte sie aus der Aktion in die Existenz versetzt werden. - “

Im Anschluss an diesen Teil seiner “trancendenten Betrachtungen” wiederholte Schopenhauer  seine oben ausführlich begründete Feststellung, wonach “die Nothwendigkeit nur der Erscheinung, nicht aber dem Dinge an sich, d. h. dem wahren Wesen der Welt zukommt”.  Somit ist jenseits der Erscheinungswelt Willensfreiheit, d. h. der (metaphysische) Wille ist frei, aber überall dort, wo sich dieser Wille manifestiert, also in der Welt der Erscheinungen, herrscht strengster Determinismus.

Schopenhauer hatte mit dieser im Grunde metaphysischen Erklärung die Willensfreiheit verlagert und in diesem Sinne nicht völlig verneint. So konnte er die Verantwortlichkeit des Menschen, die Willensfreiheit voraussetzt und auf der jede Ethik beruht, bejahen.  Auch hieran wird deutlich, wie sehr  Schopenhauers Ethik letztlich metaphysisch begründet ist.

Für Arthur Schopenhauer war das alles Leben umfassende Mitleid  die Grundlage der Ethik. Er bezeichnete das Mitleid als das große Mysterium.*** Ist damit nicht auch die Willensfreiheit in jenem Bereich außerhalb der Erscheinungswelt, wo Freiheit und kein Determinismus herrscht,  ein tiefes Mysterium, das sich jeder weiteren Nachforschung entzieht?


Anmerkungen
* Wörterbuch der philosophischen Begriffe,
hrsg. v. Johannes Hoffmeister, 2. Aufl., Hamburg 1955,
 S. 161 (Stichwort: Determination ).
** Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977,
Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung,
Kap. 25: Trancendente Betrachtungen über den Willen als Ding an sich, S. 373-376.
*** Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band VI: Die beiden Grundprobleme der Ethik, dort: Preisschrift über die Grundlage der Moral, S. 248.  

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