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Die altindische Brihadaranyaka-Upanischad und der weise Seher Yajnavalkya

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Yajnavalkya ( Brihadaranyaka-Upanishad )

Obiges Bild zeigt, wie der weise Yajnavalkya am Hof des Königs Janaka seine Lehre verkündete. Dieses Ereignis ist in der Brihadaranyaka-Upanishad, die zu den ältesten Upanishaden gehört,(1) überliefert. Der dort erwähnte Yajnavalkya lebte vor mehr als 2700 Jahren.(2) Er war nicht bloß einer von vielen Weisheitslehrern im alten Indien, sondern ihm kommt eine ganz besondere Bedeutung zu, denn die Upanishaden sind, wie Friedrich Heiler in seinem Buch “Die  Religionen der Menschheit” feststellte, “die Schöpfung von mystischen Sehern, an deren Spitze Yajnavalkya, der eigentliche ´Pfadfinder`  der indischen Mystik”, stand.(3) Der weithin geschätzte Indologe Helmuth von Glasenapp hielt Yajnavalkya als Philosophen für so bedeutsam, dass er ihm in seinem Grundlagenwerk  ´Die Philosophie der Inder` ein besonderes Kapitel widmete. Dort schrieb er:

“In den alten Upanishaden treten uns eine Reihe von Denkern verschieden- ster Art entgegen, Brahmanen, die den Rätseln der Opfersymbolik nachgingen und zufrieden waren, wenn sie für diese bestimmte Formeln gefunden hatten, und andere, die mit intuitiver Kraft bis in die letzten Gründe des Seins vorzudringen suchten [...].

Es ist für den ganzen Veda [ also für die Upanishaden und somit auch für die Brihadaranyaka-Upanishad ] charakteristisch, daß er noch nicht einen einzelnen Seher in den Vordergrund aller Betrachtungen stellt und in ihm den Urheber aller Erkenntnisse und das unübertreffliche Vorbild alles sittlichen Handelns sieht, wie dies später der Buddhismus und Jainismus getan haben [...]. In einer alten Upanishad aber - charakteristischerweise aber nur in dieser  [dem Brihadaranyaka- Upanishad], bei völligem Schweigen der anderen - wird schon ein Denker als Ergründer und Verkünder höchster Wahrheiten geschildert, hinter dem alle anderen wie durch einen weiten Abstand getrennt, zurücktreten. Es ist der große Yajnavalkya.

Yajnavalkya erscheint im ´Brahmana der hundert Pfade` als ein hervorragender Kenner des Opferwesens. In der Brihadaranyaka-Upanishad hingegen ist er der größte Vertreter der Lehre vom Atman. [...] Die Lehren, welche Yajnavalkya im ´Brahmana der hundert Pfade` und in der zugehörigen Upanishad [Brihadaranyaka-Upanishad] vertritt, sind sehr verschiedenartig. Trotzdem steht der Annahme nichts im Wege, daß sie auf einen und denselben Mann zurückgehen, wenn man voraussetzt, daß Yajnavalkya im Verlaufe seines langen Lebens eine bedeutsame Entwicklung durchgemacht hat.

Zuerst war er ein Ritualist, der sich mit dem Opferwesen und seiner symbolischen Bedeutung befaßte; die Welt war für ihn - wie für die meisten Denker der vedischen Zeit - ein Zusammenspiel von vielen Göttern, Substanzen und Potenzen. Die neu aufgekommene Lehre von der Wiederverkörperung machte er sich in der Weise zu eigen, daß er lehrte, daß die Macht des Karma des ver- storbenen Individuums neue Daseinsfaktoren zu einem neuen Einzelwesen zusammenfügt. Dann zog ihn die All-Einheitslehre immer stärker in ihren Bann, er suchte alle Daseinskräfte  auf eine letzte [...] Urkraft zurückzuführen. In immer neuen  Wendungen bemühte er sich, ihr Wesen darzulegen, bis er sie schließlich als den Geist begreift, der das innere Licht der Menschen ist.

Auf der Grundlage der Theorie, daß der All-Geist der innerste Kern alles Existierenden ist, entwickelte er dann sein tiefsinniges System von den Manifesta- tionsstufen des Atman und gibt seiner Wiedergeburtslehre eine neue Fassung. In dem Gespräch, das er mit seiner Gattin Maitreyi führte, bevor er sich aus dem Weltleben in die Waldeinsamkeit zurückzog, erreichte sein Denken seinen Höhepunkt und folgerichtigen Abschluß.

Die einzelnen Stadien seines philosophischen Werdegangs erscheinen im Yajnavalkya - Abschnitt der Brihadaranyaka-Upanishad (3-4) in wenige Gespräche zusammengefaßt. Das ist nicht nur eine literarische Fiktion, sondern hat zugleich einen tiefen Sinn: denn alle Anschauungen, die er in diesen Dialogen darlegt, sind ja nicht widerspruchsvoll, sondern stellen die verschiedenen Stufen dar, auf welchen der Wahrheitssucher von der pluralistischen Weltauffassung des Ritualismus zur letzten Erkenntnis des einen transzendenten Absoluten fortschreitet.”(4)

Der Werdegang des altindischen Weisen Yajnavalkya, wie er von Glasenapp oben in großen Zügen geschildert wurde, zeigt gleichsam in personifizierter Form die Entwicklung vom Ritualwesen zur Philosophie, von der Magie zur Mystik,(5) die  sich in der Brihadaranyaka-Upanishad und den anderen älteren Upanishaden widerspiegelt. Es war ein höchst bemerkenswerter Vorgang, der zu Erkenntnissen führte, die denen in Arthur Schopenhauers Philosophie sehr nahe kommen, vielleicht sogar mit ihnen letztlich identisch sind.

Wenn, wie anzunehmen ist, Yajnavalkya etwa 100 bis 200 Jahre vor Buddha lebte, dann waren der weise Seher aus dem alten Indien und Arthur Schopenhauer, der Philosoph aus Frankfurt, durch mehr als 2500 Jahre voneinander getrennt.(6) Um so erstaunlicher ist die große und tiefe Übereinstimmung zwischen der All- Einheitslehre Yajnavalkyas und der monistischen Philosophie Schopenhauers.(7) Deshalb würde wohl auch der folgende Vers - ein Ausspruch Yajnavalkyas im  Brihadaranyaka-Upanishad - die Zustimmung Schopenhauers finden, denn er kommt in seiner Grundaussage dessen Philosophie nahe:

Im Geiste sollen merken sie:
          Nicht ist hier Vielheit irgendwie;
          Von Tod zu Tode wird verstrickt
          Wer eine Vielheit hier erblickt.
(8)

Der eben zitierte Vers wird von manchen Lesern kaum verstanden werden. Wer jedoch Schopenhauers Philosophie in ihrer ganzen Tiefe erfasst hat, dem dürfte es eher möglich sein, diesen höchst aufschlussreichen Vers zutreffend  zu deuten. Da - wie bereits erwähnt - die Brihadaranyaka-Upanishad eine der ältesten, vermutlich  sogar die älteste, der Upanishaden ist, kommt diesem Vers auch deshalb besondere Bedeutung zu, weil er zeigt, dass schon in sehr früher Zeit die All-Einheitslehre in der indischen Philosophie vertreten wurde.  

Die im Brihadaranyaka-Upanishad verkündete Lehre Yajnavalkyas und die Philosophie Schopenhauers sind in ihrem Kern Erlösungsmystik. Für die Mystik aber gilt Schopenhauers Erkenntnis, die Gustav Friedrich Wagner in seinem “Schopenhauer-Register” so zusammenfasste:

“Die überraschende Übereinstimmung der Mystiker aller Zeiten und Länder im innern Sinn und Geiste ihrer Lehren, sowie in ihrer Handlungsweise, bei der großen Verschiedenheit ihrer sonstigen Ansichten, bezeugt die Wahrheit ihrer Aussagen.”.(9)

Somit konnte Arthur Schopenhauer mit der in seiner Philosophie enthaltenen Erkenntnis der All-Einheit (10) sich auch durch die im Brihadaranyaka-Upanishad dargelegten,  vom weisen Seher Yajnavalkya geschauten Wahrheiten, jedenfalls im wesentlichen, bestätigt finden.

> Arthur Schopenhauer : Die Rishis (weisen Seher) der Upanishaden


Anmerkungen
(1)   Eine Zusammenstellung der wichtigsten Upanishaden nach ihrem
        ungefähren Alter ist  > hier.
(2)   “Über die Zeit, welcher der  Weise [ Yajnavalkya ] angehörte,
        wissen wir auch nichts Genaues, wahrscheinlich ist sie ein oder
        zwei Jahrhunderte vor Buddha anzusetzen”, so Helmuth von
        Glasenapp, Die Philosophie der Inder, 3. Aufl., Stuttgart 1974,
        S. 102.
(3)   Friedrich Heiler, Die Religionen der Menschheit, 3. Aufl.,
        Stuttgart 1980, S. 149.
(4)   Helmuth von Glasenapp, a. a. O., S. 100-104.
(5)   Weiteres dazu: Zwischen Magie und Mystik - die Upanishaden
       
> hier.
(6)   Zu den Zeitangaben, die sich auf Yajnavalkya beziehen,
        s. Anm. (1).
(7)   S. dazu auch:
        Der Monismus, die Lehre von der Alleinheit, in den Upanishaden
        und der Philosophie Arthur Schopenhauers
> hier.
(8)   Brihadaranyaka-Upanishad 4,4,19, zit. nach Paul Deussen,
        Die Geheimlehre des Veda. Ausgewählte Texte der Upanishad´s.
        6. Aufl., Leipzig 1921, S. 65.
(9)   Gustav Friedrich Wagner, Schopenhauer-Register, neu hrsg. von
        Arthur Hübscher,  Stuttgart-Bad Cannstatt 1960, S. 290.
(10) Vgl. > Arthur Schopenhauer über die All-eins-Lehre.

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