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Es war ein höchst erstaunlicher Prozess, welcher im Verlauf von mehr als drei Jahrtausenden zur spirituell hoch entwickelten Philosophie des Hinduismus führte und der in den Upanishaden bis heute überliefert ist. Es begann mit magisch-rituellen Opfertexten, den Brahmanas. Nachträge zu diesen sind die Aranyakas. Bereits deren Bezeichnung ist aufschlussreich, denn das Sanskritwort Aranyaka heißt wörtlich “zum Walde gehörend”. So waren die Aranyakas heilige Texte für im Wald lebende Einsiedler. Nur dort, also in der Einsamkeit des Waldes, wurden ausgewählte Schüler in Inhalt und Sinn dieser Texte eingeweiht. Diese esoterischen Waldtexte - wie sie auch genannt werden - bildeten den Ausgangspunkt für die altindischen Upanishaden. (1) Die Herausbildung der Upanishaden aus den Brahmanas bzw. Arayakas sind Ausdruck einer geistigen Strömung, die - so der Upanishaden-Übersetzer Alfred Hillebrandt - “aus dem Dickicht des Götterglaubens hervorbricht und den Fragen nach dem Ursprung von Gott und Welt sich zuwendet”. Es sei, wie Hillebrandt meinte, ein Gedankenstrom, der sich von den mystischen Lehren des alten Indiens bis “zur Philosophie des großen deutschen Mystikers des neunzehnten Jahrhunderts, Schopenhauers” hinzöge.(2) Dieser Entwicklung lag nach den Worten des weithin als kompetent anerkannten Indologen Helmuth von Glasenapp “ein Streben zugrunde, das auch die westliche Philosophie seit ihren Anfängen aufs stärkste bestimmt hat: das Streben, die Welt aus einem Urprinzip abzuleiten und zu erklären”. (3) In seinem Buch Die Religionen Indiens beschrieb von Glasenapp kurz und durchaus verständlich den Weg von den Brahmanas über die Aranyakas und die Upanishaden zu der im Hinduismus höchst bedeutsamen Philosophie des Vedanta, das heißt die Entwicklung der Upanishaden zu einer - nicht nur von Arthur Schopenhauer, sondern auch von vielen anderen westlichen Wahrheitssuchern - hoch geschätzten und bewunderten Quelle indischer Weisheit: “Das arische Nordindien der ersten Hälfte des ersten vorchristlichen Jahrtausends war erfüllt von einem ungehemmten Drange nach letzter Erkenntnis. Mochte der ererbte Götterglaube in seiner einfachen Form die Menge befriedigen, mochte das komplizierte Opferwesen dem tüftelnden Geist der Techniker des Rituals Genüge leisten, die tieferen Gemüter strebten nach höherem, nach umfassenderem Wissen. Sie suchten nach einer Gottheit, die erhaben ist über die Götter mit ihren menschlichen Schwächen, mit ihrem Hunger nach Opferspeisen, ihrem Durst nach Somatrank; sie wollten wissen, welche Kraft letzthin dem Opfer seine Macht verleiht, Grundlage und Kern des Universums bildet. Vereinzelt hatten die Hymnendichter des Rigveda die große Frage nach dem unbekannten Gott aufgeworfen, der hinter und über den vergänglichen Göttern steht, die Opfermystiker der Brahmanas hatten über den Ursprung der Welt und der Riten nachgedacht und phantastische Mythen ersonnen, um das rätselhafte Dasein zu erklären. Jetzt, in der Zeit der Upanishaden, standen die Philosophen auf, Denker, die neue, kühnere Fragen stellten und neue, tiefere Probleme zu entwirren suchten. Die Philosophie Altindiens entstand im Anschluß an den Opferdienst; sie wurde aus der Spekulation über das Ritual geboren, trat aber dadurch gerade viefach in Gegensatz zu jenem. Ihre Verkündiger waren zum Teil Priester, welche den Zusammenhang zwischen Ritus und Weltgeschehen zu erforschen, den geheimnisvollen Sinn des Opferworts zu ergründen suchten, Brahmanen, die den Schatz ererbter Opferweisheit bereichern und vertiefen wollten. Neben ihnen aber begegnen uns andere, freiere Geister aus anderen Ständen, die, weniger gebunden durch Fesseln der Tradition, welche im Ritus des Lebens höchsten Ausdruck sah, selbständig in den Grund des Daseins einzudringen suchten. Es ist ein bezeichnender Wesenszug dieser Periode der indischen Religionsgeschichte, daß in ihr Krieger, ja sogar Shudras [Arbeiter und Diener, also Angehörige der untersten Kaste], mit den Brahmanen in Wettbewerb treten in dem Ringen nach höchster Erkenntnis. Es wird uns berichtet, daß sie die Priester beschämten durch ihre Weisheit, so daß jene bei ihnen in die Lehre gehen mußten ... Die Upanishaden (“ Geheimlehre “ ), in welchen uns die Gedanken der Wahrheitssucher jener Tage überliefert sind, sind den Brahmanas eingebettet oder angehängt. Der Übergang zwischen diesen beiden, in mancher Hinsicht verschiedenartigen Schriften ist zumeist kein unmittelbarer; auf den Brahmanas folgt vielmehr in der Regel ein Aranyaka, ein Waldbuch, d. h. Werk, das, da für Unberufene voll von magischen Gefahren, außerhalb des Dorfes ... studiert werden sollte. Das Aranyaka enthält dann die Upanishad oder läuft in sie aus. Es bildet nicht nur seiner Stellung, sondern auch in seinem Inhalt nach einen Übergang: es gibt keine Darstellung des Rituals, sondern eine spekulative Ausdeutung derselben und vermittelt damit gleichsam zwischen dem Ritualismus der Brahmanas und der Philosophie der Upanishaden. Als Anhang zu den Brahmanas stehen die Upanishaden am Schluß des Veda; sie sind somit das Veda-Ende, der Vedanta, und werden oft deshalb mit diesem Worte bezeichnet. Ihrem Wesen als einer philosophischen Lehre nach sind sie jedoch das “Endziel des Veda”, und in diesem Sinne ist das Wort Vedanta der Name eines philosophischen Systems - oder richtiger einer Anzahl von philosophischen Systemen - geworden, die den Anspuch erheben, sich auf die Lehre der Upanishaden zu gründen. Die enge Verbindung, die zwischen den Upanishaden und den Brahmanas besteht, tritt an zahlreichen Stellen in ihnen aufs klarste in die Erscheinung. Denn vieles in den Traktaten atmet ganz und gar den Geist brahmanischer Opferweisheit ... Unmittelbar neben derartigen Stellen, in denen uralter Glaube und Aberglaube [?] sein Recht fordert, stehen Abschnitte, in denen noch unbeholfenes Denken die ersten tastenden Versuche unternimmt, um zur Bestimmung metaphysischer Begriffe zu gelangen, und dann wieder Aussprüche und Strophen, in denen tiefinnerliches Schauen mit der Kraft weltentrückten Sehertums, Unvergängliches, Allgemeingültiges über die mystische Einheit von Einzel- und Weltseele verkündet. Die Stellen der letztgenannten Art sind es, die den Upanishaden einen bleibenden Wert sichern, nicht nur in der Geschichte des indischen Denkens, das sie aufs tiefste beeinflußt haben, sondern in der Geschichte des religiösen Bewußtseins der Menschheit. Sie gehören unstreitig zu dem Erhabensten und Bedeutendsten, das die mystische Dichtung aller Zeiten hervorgebracht hat und stehen den schönsten Abschnitten in den Werken neuplatonischer und islamischer Mystiker, in den Schriften eines Eckehart oder Angelius Silesius ebenbürtig zur Seite. Mit vollem Recht haben deshalb so verschiedenartige Geister wie Schelling und Schopenhauer die Upanishaden als höchste Erzeugnisse mystischer Weisheit bewundert und gepriesen.” > Upanishaden / Vedanta und Schopenhauer > Advaita-Vedanta und Schopenhauers Philosophie > Shankara - Upanishaden -Schopenhauer Anmerkungen (1) Vgl. Lexikon der östlichen Weisheitslehren (dort: Hinduismus, bearb. von Kurt Friedrichs, Orientalist; Präsident der deutschen Vedanta-Gesellschaft) Bern-München-Wien 1986, S. 20 (Stichwort: Aranyaka ). (2) Upanishaden . Die Geheimlehre der Inder. Übertr. und eingeleitet von Alfred Hillebrandt. Köln 1977, S. 12. (3) Zu diesem und dem folgenden Zitat: Helmuth von Glasenapp , Die Religionen Indiens, Stuttgart 1943, S. 97 ff. |
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