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Zufriedenheit und innerer Friede

Zufriedenheit und innerer Friede sind weit mehr als nur eine gute Stimmung, denn sie gehören zum Höchsten, was der Mensch in seinem Leben erfahren kann. Arthur Schopenhauer ist deshalb auf dieses für jeden Menschen überaus wichtige Thema in seiner Lebensphilosophie näher eingegangen:

“Die Gränze unserer vernünftigen Wünsche hinsichtlich des Besitzes zu bestimmen ist schwierig, wo nicht unmöglich. Denn die Zufriedenheit eines Jeden, in dieser Hinsicht, beruht nicht auf einer absoluten, sondern auf einer bloß relativen Größe, nämlich auf dem Verhältnis zwischen seinen Ansprüchen und seinem Besitz ...

Die Güter, auf welche Anspruch zu machen einem Menschen nie in den Sinn gekommen ist, entbehrt er durchaus nicht, sondern ist, auch ohne sie, völlig zufrieden; während ein Anderer, der hundert Mal mehr besitzt als er, sich unglücklich fühlt, weil ihm Eines abgeht, darauf er Anspruch macht.

Jeder hat, auch in dieser Hinsicht, einen eigenen Horizont des für ihn möglicherweise Erreichbaren: so weit wie dieser gehn seine Ansprüche. Wann irgend ein innerhalb desselben gelegenes Objekt sich ihm so darstellt, daß er auf dessen Erreichung vertrauen kann, fühlt er sich glücklich; hingegen unglücklich, wann eintretende Schwierigkeiten ihm die Aussicht darauf benehmen. Das außerhalb dieses Gesichtskreises Liegende wirkt gar nicht auf ihn. ...

Die Quelle unserer Unzufriedenheit liegt in unsern stets erneuerten Versuchen, den Faktor der Ansprüche in die Höhe zu schieben. “(1)

Zufriedenheit ist zumeist kein andauerndes Gefühl, denn, so zeigt die Lebenserfahrung, die Stimmung kann sich schnell ändern. Aber auch der Wechsel der Stimmung kann, wie Schopenhauer begründete,  sich durchaus positiv auswirken:

“Der vielfache Wechsel unsrer Stimmung und Laune, vermöge dessen wir die Dinge täglich in einem andern Lichte erblicken”, leiste uns, wie Schopenhauer meinte, “zu allen Zeiten” einen Dienst, weil er verringere “die Monotonie unsers Bewußtseyns und Denkens, indem er auf dasselbe wirkt, wie auf eine schöne Gegend die stets sich ändernde Beleuchtung, mit ihren unerschöpflich mannigfaltigen Lichteffekten, in Folge welcher die hundert Mal gesehene Landschaft uns aufs Neue entzückt. So erscheint einer veränderten Stimmung das Bekannte neu und erweckt neue Gedanken und Ansichten.”(2)

Es gibt viele sehr unterschiedliche Faktoren, welche die Stimmung und damit auch die Leistungsfähigkeit eines Menschen beeinflussen können, denn so schrieb Schopenhauer in seinen Aphorismen zur Lebensweisheit:

“Ueberhaupt aber hat Gesundheitszustand, Schlaf, Nahrung, Temperatur, Wetter, Umgebung und noch viel anderes Aeußerliches auf unsere Stimmung, und diese auf unsere Gedanken, einen mächtigen Einfluß. Daher ist, wie unsere Ansicht einer Angelegenheit, so auch unsere Fähigkeit zu einer Leistung so sehr der Zeit und selbst dem Orte unterworfen. Darum also Nehmt die gute Stimmung wahr, Denn sie kommt so selten."(3)

Wenn die gute Stimmung, wie Schopenhauer meinte, “so selten” ist, dann hat das tiefer liegende Gründe. Schopenhauer, der mitfühlend, und zwar nicht nur mit Menschen, sondern auch mit Tieren war, schrieb hierzu in eines seiner Manuskriptbücher:

Arthur Schopenhauer :  Stimmung

Die dem Menschen angemessene Stimmung ist eine gedrückte, wie die Pietisten sie zeigen. Denn er befindet sich in einer Welt voll Jammer, aus der kein andrer Ausweg führt, als die unendlich schwere Verleugnung seines ganzen Wesens, die Weltüberwindung. (4)

Die “Welt voll Jammer”, wie sie sich tagtäglich im unermesslichen Leid von Mensch und Tier äußert, lässt in  Menschen, die mitfühlend sind, kaum dauerhafte Zufriedenheit aufkommen.  Doch diese Welt zu überwinden, ist unendlich schwer. Zu den Wenigen, welche es dennoch schafften, fand Schopenhauer wunderbare Worte:

“Wenden wir aber den Blick von unserer eigenen Dürftigkeit und Befangenheit auf Diejenigen, welche die Welt überwanden, ... so zeigt sich uns, statt des rastlosen Dranges und Treibens, statt des steten Ueberganges  von Wunsch zu Furcht und von Freude zu Leid, statt der nie befriedigten und nie ersterbenden Hoffnung, daraus der Lebenstraum des wollenden Menschen besteht , jener Friede, der höher ist als alle Vernunft, jene gänzliche Meeresstille des Gemüths ...”(5)

Jener innere Friede, den Arthur Schopenhauer so eindrucksvoll beschrieb, bedeutet mehr als bloße Zufriedenheit, ist aber  leider die seltene Ausnahme. Jedoch selbst wenn es den Menschen in ihrem Leben nicht beschieden ist, diese “gänzliche Meeresstille des Gemüts” zu erfahren, sollten sie sich glücklich schätzen, in einer “Welt voll Jammer” wenigstens Augenblicke der Zufriedenheit erleben zu können.

Allerdings setzt das voraus, überhöhte Ansprüche zu reduzieren und nicht zu viel vom Leben zu erwarten, also: Mehr Zufriedenheit durch etwas mehr Bescheidenheit -  eine Weisheit, die durchaus Arthur Schopenhauers Lebensphilosophie entspricht.


Weiteres zu > Schopenhauers Lebensphilosophie .


Anmerkungen

(1)
Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), Band VIII:
Parerga und Paralipomena I / Aphorismen zur Lebensweisheit , S. 378 f.

(2) Arthur Schopenhauer, a. a. O., Band IX:
Parerga II, S. 66.

(3) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band VIII:
Aphorismen, S. 475. In dieser Quelle heißt es: Nehmt die ernste Stimmung ...”, wogegen es in mehreren anderen Ausgaben (z. B. in der von Ludger Lütkehaus, Arthur Schopenhauers Werke in fünf Bänden, Zürich 1988, Band IV, S. 430) heißt: “Nehmt die gute Stimmung ...”, was jedoch ein wesentlicher Unterschied bedeutet.

(4) Arthur Schopenhauer ,
Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, München 1985, Band 3:  Adversaria (1829), S. 604 (im MS, S. 283). Der vorstehende Bildausschnitt ist aus dem digitalisierten Nachlass in der Univ.-Bibl. Frankfurt a. M. (> hier / Stand: 01.10.2020).

(5) Arthur Schopenhauer , a. a. O., Band II:
Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 507.

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