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Wille und Leib - Der Analogieschluss

Wille ist, worauf schon der Titel von Arthur Schopenhauers Hauptwerk Die Welt als Wille und Vorstellung hinweist, ein zentraler Begriff in Schopenhauers Philosophie.

Dass der Mensch, wie wohl jedes höher entwickelte Lebewesen, einen individuellen Willen hat, ist nicht zu bestreiten. Aber gibt es auch einen ihm übergeordneten, also gewissermaßen metaphysischen Willen,  den man vielleicht als  Weltwillen bezeichnen  könnte? Lässt sich durch Analogieschluss von  einem individuellen auf einen solchen überindividuellen, allumfassenden und sich überall manifestierenden Willen schließen?

Analogieschluss ist laut Philosophischem Wörterbuch  ein Schluss  “von der Übereinstimmung oder Ähnlichkeit zweier Dinge in einigen Punkten (Analogie) auf Gleichheit oder Ähnlichkeit auch in anderen Punkten [...] Analogieschlüsse führen nur zu Wahrscheinlichkeiten. Trotzdem kommt ihnen im praktischen wie wissenschaftlichen Leben große Bedeutung zu”.(1)

 Schopenhauer scheint sich schon in jungen Jahren mit diesem Problem im Zusammenhang mit seinen Aussagen über das Verhältnis von Wille und Leib auseinandergesetzt zu haben. Hierauf deuten Eintragungen in seinen frühen Manuskripten hin:   

Bereits 1814 hatte der erst 26-jährige Schopenhauer dort eine für seine spätere Philosophie höchst bedeutsame Erkenntnis  vermerkt:

Der Leib, (der körperliche Mensch) ist nichts als der sichtbar gewordne Wille. (2)

Noch im gleichen Jahr  notierte er in sein Manuskript:

Jedes unmittelbare Objekt des Erkennens, ist auch Objekt eines Willens, ja nur die Materiale Erscheinung eines Willens. Es scheint also als könnte kein Objekt seyn, wenn es nicht Ausdruck eines Willens ist.  [...]

Es ist merkwürdig, wie jede vollkommne Organisation die unvollkommneren zu ihrer Nahrung voraussetzt: nun ist eine jede  doch nur Ausdruck und Sichkundmachung eines Willens. Sollte wie mein Körper den der Thiere  und Pflanzen voraussetzt und fordert, so mein Wille auch mit dem ihrigen zusammenhängen  [...] ? (3)

So kam Schopenhauer bereits  1814, wie Arthur Hübscher   mit Hinweis auf diese Manuskripteinträge in seinem sehr aufschlussreichen Schopenhauer-Buch  “Denker gegen den Strom” feststellte,  zur Erkenntnis, “daß der Welt derselbe Wille zugrunde liegt wie dem Leibe: Der sogenannte Analogieschluß, der die ganze Betrachtung zusammenschließt, ist geboren, das Hauptwerk [1819 veröffentlicht] kann zum erstenmal die naturphilosophischen Gedankengänge Schopenhauers in zusammenhängender Folge entwickeln.” (4)

Zu Schopenhauers in der Philosophie berühmtem, aber mitunter auch kritisiertem  Analogieschluss, nämlich vom Leib, also dem induviduellen  Körper, auf das Weltganze, sei an eine zutiefst spirituelle Erfahrung des von ihm sehr verehrten Buddha erinnert:  

Aus dem Willen stammt das Übel, aus dem Willen stammt das Leiden. (5)

Doch nicht kann man, Bruder - das sag´ ich - ohne der Welt Ende erreicht zu haben, dem Leiden ein Ende machen. Das aber verkünde ich, Bruder: In eben diesem sechs Fuß hohen, mit Wahrnehmung und Denken behafteten Körper, da ist die Welt enthalten, der Welt Entstehung, der Welt Ende und der zu der Welt Ende führende Pfad. (6)

Wenn, wie der Buddha erkannte, jeder Körper, jeder Leib “die Welt” enthält, ist dann nicht auch Schopenhauers Analogieschluss, also der Schluss vom individuellen Willen auf das Vorhandensein eines Weltwillens, der sich überall und somit auch in jedem Individualwillen manifestiert, berechtigt? Die Bejahung dieser Frage ist keinesfalls nebensächlich, denn sie betrifft den Kern der Philosophie Arthur Schopenhauers. (7)

S. auch > Arthur Schopenhauer : Der metaphysische Wille .


Anmerkungen
(1)
  Philosophisches Wörterbuch, begr. von Heinrich Schmidt, 21. Aufl., neu bearb. von Georgi Schischkoff, Stuttgart 1982, S. 21.
(2) Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, Band 1: Frühe Manuskripte (1804-1818,  München 1985, Nr. 191 (S. 106).
(3)  Ebd., Nr. 240 (S. 141 f.).
(4) Arthur Hübscher, Denker gegen den Strom: Schopenhauer : gestern - heute - morgen-, S. 53.
(5) Samyutta-Nikaya 1, 34, 3, zit. aus: Pfad zur Erleuchtung, buddhistische Grundtexte, übers. u. hrsg. v. Helmuth von Glasenapp, Düsseldorf/Köln 1974, S. 85.
(6) Anguttara-Nikaya IV, 45, zit. aus: Georg Grimm, Die Lehre des Buddho, hrsg. v. M. Keller-Grimm u. Max Hoppe, Wien 1979, S. 64.
(7) Ergänzend zu obigen Ausführungen sei auch auf Schopenhauers Schrift Ueber den Willen in der Natur hingewiesen, die, wie er am Beginn seiner Vorrede zu deren 1854 herausgegebenen 2. Auflage betonte, “für meine Philosophie von besonderer Wichtigkeit ist”, und wo er “unmittelbar zum eigentlichen Kern meiner Metaphysik” gelange. Dort  liefere er “gewissermaßen die Rechnungsprobe zu meinem Fundamentaldogma, welches eben dadurch sowohl seine nähere und speciellere Begründung erhält, als auch deutlicher, faßlicher und genauer als irgendwo, in das Verständniß tritt” (Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977, Zürcher Ausgabe, Band V: Kleinere Schriften I, S. 183).

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