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Arthur Schopenhauer

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Arthur Schopenhauer : Wille und Intellekt

Sehr anschaulich erläuterte Arthur Schopenhauer im folgenden Zitat eine Kernaussage seiner Philosophie, nämlich dass  der Wille allein das Wesentliche des Menschen sei, der  Intellekt aber bloß sein Werkzeug: 

“Wenn nun von einem Menschen gesagt wird: ´er hat ein gutes Herz, wiewohl einen schlechten Kopf`; von einem andern aber: ´er hat einen sehr guten Kopf, jedoch ein schlechtes Herz`; so fühlt Jeder, daß beim Ersteren das Lob den Tadel weit überwiegt; beim Andern umgekehrt.

Dem entsprechend sehen wir, wenn Jemand eine schlechte Handlung begangen hat, seine Freunde und ihn selbst bemüht, die Schuld vom Willen auf den Intellekt zu wälzen und Fehler des Herzens für Fehler des Kopfes auszugeben; schlechte Streiche werden sie Verirrungen nennen, werden sagen, es sei bloßer Unverstand gewesen, Unüberlegtheit, Leichtsinn, Thorheit; ja, sie werden zur Noth [...] momentane Geistesstörung und, wenn es ein schweres Verbrechen betrifft, sogar Wahnsinn vorschützen, um nur den Willen von der Schuld zu befreien.

Und eben so wir selbst, wenn wir einen Unfall oder Schaden verursacht haben, werden, vor Andern und vor uns selbst, sehr gern unsere stultitia [Torheit] anklagen, um nur dem Vorwurf der malitia [Bosheit] auszuweichen. Dem entsprechend ist, bei gleich ungerechtem Urtheil des Richters, der Unterschied, ob er geirrt habe, oder bestochen gewesen sei, so himmelweit.

Alles dieses bezeugt genugsam, daß der Wille allein das Wirkliche und das Wesentliche, der Kern des Menschen ist, der Intellekt aber bloß sein Werkzeug, welches immerhin fehlerhaft seyn mag, ohne daß er dabei betheiligt wäre. Die Anklage des Unverstandes ist, vor dem moralischen Richterstuhle, ganz und gar keine; vielmehr giebt sie hier sogar Privilegien.

Und eben so vor den weltlichen Gerichten ist es, um einen Verbrecher von aller Strafe zu befreien, überall hinreichend, daß man die Schuld von seinem Willen auf seinen Intellekt wälze, indem man entweder unvermeidlichen Irrthum, oder Geistesstörung nachweist: denn da hat es nicht mehr auf sich, als wenn Hand oder Fuß wider Willen ausgeglitten wären. [...]

Ueberall berufen sich Die, welche irgend eine Leistung zu Tage fördern, im Fall solche ungenügend ausfällt, auf ihren guten Willen, an dem es nicht gefehlt habe. Hiedurch glauben sie das Wesentliche, das, wofür sie eigentlich verantwortlich sind, und ihr eigentliches Selbst sicher zu stellen: das Unzureichende der Fähigkeiten hingegen sehen sie an als den Mangel an einem tauglichen Werkzeug.

Ist Einer dumm, so entschuldigt man ihn damit, daß er nicht dafür kann: aber wollte man Den, der schlecht ist, eben damit entschuldigen; so würde man ausgelacht werden. Und doch ist das Eine, wie das Andere, angeboren. Dies beweist, daß der Wille der eigentliche Mensch ist, der Intellekt bloß sein Werkzeug.

Immer also ist es nur unser Wollen was als von uns abhängig, d. h. als Aeußerung unsers eigentlichen Wesens betrachtet wird und wofür man uns daher verantwortlich macht. Dieserhalb eben ist es absurd und ungerecht, wenn man uns für unsern Glauben, also für unsere Erkenntniß, zur Rede stellen will: denn wir sind genöthigt diese, obschon sie in uns waltet, anzusehen als etwas, das so wenig in unserer Gewalt steht, wie die Vorgänge der Außenwelt.

Auch hieran also wird deutlich, daß der Wille allein das Innere und Eigene des Menschen ist, der Intellekt hingegen, mit seinen, gesetzmäßig wie die Außenwelt vor sich gehenden Operationen, zu jenem sich als ein Aeußeres, ein bloßes Werkzeug verhält.

Hohe Geistesgaben hat man allezeit angesehen als ein Geschenk der Natur, oder der Götter: eben deshalb hat man sie Gaben, Begabung [...], genannt, sie betrachtend als etwas vom Menschen selbst Verschiedenes, ihm durch Begünstigung Zugefallenes. Nie hingegen hat man es mit den moralischen Vorzügen, obwohl auch sie angeboren sind, eben so genommen: vielmehr hat man diese stets angesehen als etwas vom Menschen selbst Ausgehendes, ihm wesentlich Angehöriges, ja, sein eigenes Selbst Ausmachendes. Hieraus nun folgt abermals, daß der Wille das eigentliche Wesen des Menschen ist, der Intellekt hingegen sekundär, ein Werkzeug, eine Ausstattung.

Diesem entsprechend verheißen alle Religionen für die Vorzüge des Willens oder Herzens, einen Lohn jenseits des Lebens, in der Ewigkeit; keine aber für die Vorzüge des Kopfes, des Verstandes. Die Tugend erwartet ihren Lohn in jener Welt; die Klugheit hofft ihn in dieser; das Genie weder in dieser, noch in jener. Es ist sein eigener Lohn. Demnach ist der Wille der ewige Theil, der Intellekt der zeitliche.”*

Das obige Schopenhauer-Zitat zeigt sehr klar, welche zentrale Bedeutung dem “ewigen” (metaphysischen) Willen gegenüber dem Intellekt als nur zeitliche Erscheinungsform zukommt. Diese Erkenntnis in die Philosophie nachhaltig eingebracht zu haben, ist ein  Verdienst Arthur Schopenhauers. Der Philosoph Heinrich Hasse schrieb dazu:

“Die Konzeption des all-einen, all-umfassenden, all-durchdringenden Urwillens als Kernes und Trägers der Erscheinungswelt ist, als metaphysische Hypothese, eine Entdeckung ersten Ranges. Mit ihr ist, nach jahrhundertelanger Überlieferung eines einseitigen Intellektualismus, zum erstenmal in vollem Umfange dem Willen, als unbewußter Spontaneität, sein metaphysischer Vorrang, seine Rolle als Herz und Wurzel alles Seienden erstritten. Mag diese Lehre bei Augustinus, bei Duns Scotus, bei Jakob Böhme, bei Fichte, bei Schelling u. a. noch so stark vorklingen: der Ruhm, ihr die klassische philosophische Form gegeben zuhaben, bleibt Schopenhauer unverloren.”**
 

Weiteres > Erkenntnis und Wille.


Anmerkungen
*
  Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung II, Zürich 1977, S. 267-269.      ** Heinrich Hasse, Schopenhauer , München 1926, S. 433 f. Mehr über Hasse und seinem sehr empfehlenswerten Buch zu  Schopenhauers Leben und Philosophie  > hier.

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