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OUM : Symbol der Veden bzw. Upanishaden

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Die Veden - eine Quelle altindischer Weisheit -
und
 Arthur Schopenhauers Philosophie

Die Veden (Sanskrit Veda, wörtlich Wissen) sind die Gesamtheit der ältesten heiligen Texte des Hinduismus. Sie haben den sechsfachen Umfang der Bibel! (1) Aber nicht nur für den indischen Kulturbereich sind die Veden höchst bedeutsam, denn, wie der Religionswissenschaftler und Indologe Helmuth von Glasenapp hervorhob, die “einzigartige Bedeutung des Veda für die Geistesgeschichte der Menschheit beruht darauf, daß hier Vorstellungen ihren literarischen Niederschlag gefunden haben, die bei anderen Völkern verloren gingen”.(2)

Die Veden, die während eines langen Zeitraums entstanden und weit älter als der Buddhismus sind, wurden zunächst nur mündlich von Generation zu Generation übermittelt. ”Über die Ursprünge der Veden gibt es verschiedene Versionen, aber alle sind sich darin einig, daß ihre Erkenntnisse den Rishis in tiefer Kontemplation enthüllt wurden. Daher werden die Veden auch Shruti (´Was offenbart wurde`) genannt.”(3)  

Trotz ihres Alters - oder vielleicht sogar gerade  deswegen - sind die Veden auch heute noch eine Quelle spiritueller Weisheit. Das gilt besonders für ihren mehr philosophischen Teil, nämlich die ihnen anhängenden Upanishaden, welche zur wichtigsten Grundlage der Philosophie des sich aus dem Brahmanismus herausbildenden  Hinduismus wurden.

Die Upanishaden wurden  aber nicht nur für den Hinduismus,  sondern auch, wie Arthur  Schopenhauer 1816 in eines seiner Manuskripte schrieb, zur Grundlage seiner Philosophie. Er nannte dort die Upanishaden  sogar noch vor den anderen Quellen seiner Philosophie, nämlich Platon und Kant.(4)  

Wie eng der Zusammenhang zwischen seiner Philosophie und den Lehren der Veden, insbesondere der Upanishaden, ist, betonte Schopenhauer schon in seinen Vorlesungen an der Berliner Universität zur Geschichte der Philosophie. Hierbei verglich er seine eigene Philosophie mit der des alten Indiens: 

“Da Philosophie zwar die Erfahrung im Allgemeinen, aber doch keine specielle Erfahrung voraussetzt, wie z. B. Physik und Astronomie thun: so ließe es sich, ungeachtet der erwähnten notwendigen Entwicklung in ihrem Gange, doch nicht leugnen, daß vielleicht durch besondere Begünstigung des Schicksals, durch die Geburt der ausgezeichnetsten Geister und ihr Zusammentreffen in derselben Zeit die Fortschritte sehr viel schneller hätten seyn können, ja vielleicht die Wahrheit, gesetzt daß sie gefunden werden könne, gleich Anfangs getroffen wäre.

Vielleicht ist Letzteres sogar in gewissem Sinne wirklich der Fall gewesen, jedoch in einem Lande, dessen Kultur von der europäischen ganz getrennt gewesen ist, in Hindostan. Nämlich die Resultate dessen, was ich Ihnen vorzutragen gedenke, stimmen überein mit der ältesten aller Weltansichten, nämlich den Veda's. Doch ist dies nicht so zu verstehen, als ob, was ich lehre, dort schon stehe.

Die Veda's, oder vielmehr die Upanishaden, d. i. der dogmatische Theil im Gegensatz des Liturgischen, haben keine wissenschaftliche Form, keine nur irgend systematische Darstellung, gar keine Fortschreitung, keine Entwicklung, keine rechte Einheit. Es ist kein Grundgedanke darin ausgesprochen; sondern sie geben bloß einzelne, sehr dunkele Aussprüche, allegorische Darstellungen, Mythen u. dgl. Den Einheitspunkt, aus dem dies Alles fließt, wissen sie gar nicht auszusprechen, noch weniger ihre Aussprüche durch Gründe zu belegen, nicht einmal sie in irgend einer Ordnung zusammenzustellen: sondern sie geben gleichsam nur Orakelsprüche voll tiefer Weisheit, aber dunkel, ganz vereinzelt und bildlich.

Hat man jedoch die Lehre, welche ich vorzubringen habe, inne; so kann man nachher alle jene uralten Indischen Aussprüche als Folgesätze daraus ableiten und ihre Wahrheit nun erkennen; so daß man annehmen muß, daß was ich als Wahrheit erkenne, schon auch von jenen Weisen der Urzeit der Erde erkannt und nach ihrer Art ausgesprochen, aber doch nicht in seiner Einheit ihnen deutlich geworden war; so daß sie ihre Erkenntniß nur in solchen abgerissenen Aussprüchen, welche das Bewußtseyn ihrer hellsten Augenblicke ihnen eingab, nicht aber im Ganzen und im Zusammenhang an den Tag legen konnten. ...

So also steht, was ich hier vorzubringen habe, obwohl es mit den uralten indischen Aussprüchen sehr genau übereinstimmt, dennoch im Zusammenhang mit der ganzen Entwicklung der Philosophie im Occident und reihet sich an die Geschichte derselben an, ergiebt sich gewissermaaßen als ein Resultat daraus.”(5)

 So trugen zwar die Weisheiten der altindischen Veden, insbesondere der Upanishaden, zwar sehr wesentlich zum Entstehen von Schopenhauers Philosophie bei, aber deren wissenschaftliche Ausarbeitung und Begründung erfolgte in Anlehnung an Platon und Kant. Dennoch war es für Arthur Schopenhauer eine Tatsache, dass das Ergebnis seiner Philosophie, wie oben zitiert,  “mit den uralten indischen Aussprüchen sehr genau übereinstimmt”.

Arthur Schopenhauer sah sich als Vollender der Philosophie Kants, wobei er jedoch schon in seinen frühesten Aufzeichnungen (1810) kritisierte: “Es ist vielleicht der beste Ausdruck für Kants Mängel, wenn man sagt: er habe die Kontemplation nicht gekannt.”(6) Andererseits sind, wie oben erwähnt, nach Auffassung des Hinduismus die Erkenntnisse der Veden “den Rishis in tiefster Kontemplation enthüllt” worden. Hieraus wird deutlich, dass es zwischen dem westlichen, an Kant orientierten Denken und der Spiritualität der Veden, die auf Kontemplation beruht, wesentliche Unterschiede gibt. In diesem Sinne ist wohl Schopenhauer zu verstehen, wenn er meinte, dass man die “occidentale”, also die westliche Philosophie, “gänzlich unterscheiden” müsse von der “Orientalischen in Hindostan”(7), das heißt vom Hinduismus, der philosophisch auf den Veden gegründet ist. 

Schopenhauer hat mit seiner Willensmetaphysik die Philosophie Kants entscheidend fortentwickelt, ja vollendet und dabei die Bedeutung der Kontemplation hervorgehoben. So kam Schopenhauers Metaphysik zu Ergebnissen, die  mit denen der Veden übereinstimmen. Das zeigt sich besonders  in der Auslegung der Veden durch den im Hinduismus höchst bedeutsamen Philosophen Shankara. Wie Schopenhauers Philosophie ist  die von Shankara geprägte Lehre des Advaita-Vedanta strenger Monismus, wonach alles in dieser Welt nur Erscheinungsformen einer nicht näher zu beschreibenden Einheit sind - in den Upanishaden Brahman, von Schopenhauer Wille genannt.

East is East, and West is West, and never the twain shall meet - heißt es in einem Poem von Rudyard Kipling. (8) Zumindest was die Philosophie angeht, hat Arthur Schopenhauer diese Aussage widerlegt, denn seine Philosophie wurde zur Brücke, auf der Ost und West, indische und europäische Geisteskultur sich treffen und - was wohl noch wichtiger ist - einander verstehen können.


Anmerkungen

(1) Lexikon der östlichen Weisheitslehren; Bern-München-Wien 1986, S. 428 (Stichwort:
Veden). Der Verfasser der Beiträge im Lexikon zum Hinduismus, Kurt Friedrichs, war Orientalist und Präsident der deutschen Vedanta-Gesellschaft.

(2) Helmuth von Glasenapp, Die Philosophie der Inder, 3. Aufl., Stuttgart 1974, S. 24 f.

(3) Lexikon, a. a. O., S. 428.

(4) Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 1, München 1985, S. 422.

(5) Arthur Schopenhauer´s handschriftlicher Nachlaß, hrsg. von Eduard Grisebach, 2. Band: Vorlesungen und Abhandlungen, Einleitung in die Philosophie, Leipzig o. J., S. 29 ff.

(6) Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher, Band 1, München 1985, S. 13.

(7) Arthur Schopenhauer´s handschriftlicher Nachlaß, hrsg. von Eduard Grisebach, 2. Band: Vorlesungen und Abhandlungen, Einleitung in die Philosophie, Leipzig o. J., S. 32.

(8) Vgl. >  www.kiplingsociety.co.uk/poems_eastwest.htm
(Stand: 15.08.2019).

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