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Upanishaden und  Buddhismus

Upanishaden als Vorläufer des Buddhismus

 aus Sicht von Hermann Oldenberg

Hermann Oldenberg (1854-1920) war einer der bedeutendsten Indologen seiner Zeit und Verfasser auch heute noch wichtiger Werke über den  Buddhismus und die Veden (Sanskrit: Veda ), zu denen die  Upanishaden gehören. Insofern dürften seine Ausführungen im folgenden Zitat auch   im Hinblick auf Arthur Schopenhauer und dessen Philosophie von Interesse sein.

Das Zitat ist m. E. nicht immer einfach zu verstehen, was auch am Schreibstil Oldenbergs liegen mag. Dennoch wurde es hier ausgewählt, weil darin von einem kompetenten Indologen zum Ausdruck gebracht wird, wie sehr die Upanishaden für die Entwicklung des Buddhismus von Bedeutung waren.

Hermann Oldenberg:

“Innerhalb des Veda sind es die Upanishaden, in denen vor allem wir die Ansatzpunkte für diese Entwicklung ( zum Buddhismus ) zu suchen haben.

Was die Upanishaden sind, braucht heute auch weiteren Leserkreisen kaum mehr gesagt zu werden. Sie haben ja längst Bürgerrecht in unsrer eignen geistigen Welt erworben, diese Schöpfungen wundervoll kühnen Denkens, das aus allem Dasein und Geschehen als das allein Wertvolle, Lebenspendende das Brahma hervorhebt und zum Menschen spricht:

                                                    Tat tvam asi  = Das bist du!

Es ist nicht zuviel gesagt, daß sich die Weise, wie in der Verkündigung Buddhas hier die Sinnenwelt, dort jenseits ihrer das rätselhafte Reich des Nirvana erscheint, in wesentlichen Grund- zügen aus den Upanishaden herschreibt.

In den Upanishaden hatte sich ein Dualismus herausgearbeitet: auf der einen Seite das ewige Eine, auf der anderen die von Tod und Vergänglichkeit beherrschte Vielheitswelt - beides in mäch- tigem Kontrast einander gegenüberstehend. lmmer entschiedener gestaltete sich dieser Gegensatz zu einem schärfsten Gegensatz der Werte. Was von ihm verschieden, ist leidvoll - von ihm, d. h. von dem Brahma: mit höchstem Nachdruck wiederholen in einer Upanishad die Reden des weisen Yajnavalkya dreimal diesen Satz, der mit so wenigen Worten (im indischen Text mit drei Worten) der Welt das Urteil spricht.

Und anderwärts wird nicht nur gesagt: Diese Welt ist ganz vom Tode erfaßt, ganz in der Gewalt des Todes, sondern es heißt geradezu: Diese Welt, die Gestalten des Todes - der Tod der eigentliche Kern des Weltdaseins. Wie hier kurzweg vom Tode, so wird auch von Alter und Tod gesprochen, oder von Alter, Tod, Schmerz, Hunger und Durst. Man sieht deutlich, wie sich da die erste der vier edlen Wahrheiten des Buddha vorbereitet: Geburt ist Leiden, Alter ist Leiden, Krankheit ist Leiden, Tod ist Leiden.  

Und man sieht insonderheit auch, wie die Gestalt Maras des bösen Feindes und all das, was der Buddhismus in dieser Gestalt zum Ausdruck bringt, schon hier in vedischer Zeit im Werden ist. Mara heißt Tod, und wenn wir bei den Buddhisten lesen (1): Wo es ein Auge gibt und Sichtbares ... wo es ein Ohr gibt und Hörbares ..., da ist Mara - was ist damit anders gesagt, als was der vedische Text auf seine Weise ausspricht: Diese Welt, die Gestalten des Todes?

Man kann weitergehen: auch die besondere Wendung, die der Buddhismus der Konzeption des Mara gegeben hat, indem dieser als der Herr der Lust, als der Versucher zur Lust erscheint, bereitet sich in einer Upanishad (der Kathaka-Upanishad) vor, wo der Todesfürst und Naciketas, der erkennt- nisdurstige Jüngling, einander gegenüberstehen. Besitz, langes Leben, Sinnenlust bietet der Tod ihm, wenn er dem Erkennen entsagen will. Aber Naciketas weist alles zurück:

Das ganze Leben, schnell ist es vergangen 
Was soll uns Habe, wenn wir dich erblickten?

So könnte Buddha zu Mara gesprochen haben. Bei solch tiefer Verwandtschaft des buddhistischen Weltbildes mit dem der Upanishaden wird man doch auch wiederum den Fortschritt, den das reifer und stärker gewordene Denken des Buddhismus gegenüber jenen gemacht hat, nicht übersehen.

So entschieden der Buddhist dem Weltdasein Bestand und Wert abspricht, ebenso entschieden betont er die ihm innewohnende Ordnung und Gesetzmäßigkeit. Wenn dies ist, so ist auch jenes; wenn dies entsteht, entsteht auch jenes. Wenn dies nicht ist, ist auch jenes nicht; wenn dies auf- gehoben wird, wird auch jenes aufgehoben (2).

Das ist die Sprache wissenschaftlichen Denkens. Das Leiden von Alter und Tod aufzuheben, sucht man dessen Ursache und dann die Ursache der Ursache und so fort, Schritt für Schritt. Und man vertraut darauf ,daß in derselben Verkettung von Ursachen und Wirkungen, in der man die Entstehung alles Leidens erfaßt hat, genau entsprechend auch der Weg zu finden sein muß, um, durch Aufhebung von Glied für Glied schließlich die Aufhebung des Leidens zu erreichen.

Und nun weiter: in dem alten, mächtigen Dualismus der Upanishaden Welt - Brahma die zweite Seite. Hat wie der Gedanke des Weltleidens so auch die Konzeption des Brahma ihren Weg in die Vorstellungskreise des Buddhismus gefunden? Unter dem Namen Brahma offenbar nicht, denn daß der Gott Brahma Sahampati, den man oft mit Buddha verkehrend findet (3), etwas sehr anderes ist als das Allwesen der Upanishaden, bedarf ja keines Wortes.

Näher schon kommt man dem absoluten Seienden der Upanishaden, wenn man mit der Erinnerung an die alte Gleichung Brahma = Atman (das Selbst, das Ich) ... den (buddhistischen) Dialog von den Kennzeichen des Nichtselbst durchdenkt. Dort spricht der Betrachter der welterfüllenden Vergänglichkeit: Das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst, und er wendet sich von allem Weltdasein ab. Blickt hier nicht deutlich die Vorstellung eines über dies Weltdasein erhabenen Seins durch?

Könnte denn der Kampf und Sieg, der da geschildert wird, allein von den Wellen eben jenes unbeständigen Stromes gekämpft und gewonnen werden - könnte die Vergänglichkeit, sich als solche erkennend, sich von sich selbst abwenden und zu sich sprechen:    Das bin ich nicht? Nein, hier redet offenbar ein anderer. In der schattenhaften Unbestimmtheit, die sich aus der buddhistischen Abneigung gegen das Eingehen auf metaphysische Streitpunkte erklärt, zeigt sich hier ein Etwas, das einer höheren Ordnung der Dinge angehört, in dem Verrauschen jenes Stromes nicht mit verrauscht ... 

Die (buddhistischen) Texte ... weisen noch weitere bestimmtere Spuren davon auf, daß das absolute Sein der Upanishaden dem Buddhismus, so sehr es in den Äußerungen seiner Texte mit Zurückhaltung behandelt wird, doch keineswegs spurlos verloren gegangen ist. Wir hören von dem Ungeborenen, Ungewordenen, nicht Gemachten, nicht Gestalteten - von dem, wo es kein Kommen und Gehen gibt, kein Sterben und keine Geburt, kein Hienieden, kein Drüben, kein Dazwischen (4).

Erkennt man da nicht das Brahma der Upanishaden wieder, von dem es heißt: Es ist nicht grob und nicht fein, nicht kurz und nicht lang ... ohne Atem, ohne Mund, ohne Maß, ohne Innen und ohne Außen - jenes Höchste, dem der Tiefsinn vedischer Denker den Namen Nein, nein beigelegt hat, seine Allfülle in den Schein der Leerheit kleidend, um sein Erhabensein über alles bestimmte, begrenzte Sein um so siegreicher hervortreten zu lassen?”

Zit. aus: Hermann Oldenberg, Die Reden des Buddha,
Neuausg. der Ausg. München 1922, Wiesbaden 2006, S. 32 ff.

 

Anmerkungen
Die in Klammern gesetzten Ziffern verweisen auf die
von Oldenberg übersetzten buddhistischen Texte und
dazu als Quelle auf die Nummer des Bandes und die
Seitenzahl der Ausgaben der Pali Text Society:
(1) Mara und die Welt, in: Samyutta Nikaya, IV p. 38.
(2) Vergänglichkeit des Geistigen wie des Körperlichen,
in: Samyutta Nikaya, II p. 94.
(3) Buddha entschließt sich, die Lehre zu predigen,
in: Mahavagga I, 5.
(4) Vom Nirvana, in: Samyutta Nikaya IV p. 251 f.;
Udana VIII, 1-4. S. 1092 ff., 1074 ff.

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