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Arthur Schopenhauer : Traum und Wirklichkeit

“Was ich träume, hat während ich es träume für mich die gleiche Realität, als was ich wachend erlebe” - notierte Arthur Schopenhauer während seiner Studentenzeit in  sein Studienheft. (1)  

Ähnlich wie Schopenhauer beschrieb das Verhältnis von Traum und Wirklichkeit  der altchinesische Philosoph  Dschuang Dsi in seinem Gleichnis vom Traum eines Schmetterlings:

“Einst träumte Dschuang Dschou,  daß er ein Schmetterling sei, ein flatternder Schmetterling,  der sich wohl und glücklich fühlte und nichts wußte von Dschuang Dschou. Plötzlich wachte er auf: da war er wieder wirklich und wahrhaftig  Dschuang Dschou. Nun weiß er nicht, ob Dschuang Dschou geträumt hat, daß er ein Schmetterling sei, oder ob der Schmetterling geträumt hat, daß er Dschuang Dschou sei, obwohl doch zwischen  Dschuang Dschou und dem Schmetterling sicher ein Unterschied ist.(2)

Somit stellt sich die Frage nach dem Unterschied  zwischen Traum und Wirklichkeit. Schopenhauer gab hierauf die Antwort:

“Das allein sichere Kriterium zur Unterscheidung des Traumes von der Wirklichkeit ist [...] das ganz empirische des Erwachens, durch welches der Kausalzusammenhang zwischen den geträumten Begebenheiten des wachen Lebens fühlbar abgebrochen wird.” (3)

Schon seit seiner Studentenzeit versuchte Schopenhauer, das Verhältnis von Traum und Wirklichkeit philosophisch zu ergründen. Hierbei kam er zu der Erkenntnis, dass  “der Traum eine nicht zu leugnende Ähnlichkeit mit dem Wahnsinn” habe:

“Was das träumende Bewußtsein vom wachen hauptsächlich unterscheidet, ist der Mangel an Gedächtniß, oder vielmehr an zusammenhängender, besonnener Rückerinnerung.

Wir träumen uns in wunderliche, ja unmögliche Lagen und Verhältnisse, ohne daß es uns einfiele, nach den Relationen derselben zum Abwesenden und den Ursachen ihres Eintritts zu forschen; wir vollziehen ungereimte Handlungen, weil wir des ihnen Entgegenstehenden nicht eingedenk sind.

 Längst Verstorbene figuriren noch immer als Lebende in unsern Träumen; weil wir im Traume uns nicht darauf besinnen, daß sie todt sind. Oft sehn wir uns wieder in den Verhältnissen, die in unsrer frühen Jugend bestanden, von den damaligen Personen umgeben, Alles beim Alten; weil alle seitdem eingetretenen Veränderungen und Umgestaltungen vergessen sind.

Es scheint also wirklich, daß im Traume, bei der Thätigkeit aller Geisteskräfte, das Gedächtniß allein nicht recht disponibel [verfügbar] sei. Hierauf eben beruht seine Ähnlichkeit mit dem Wahnsinn, welcher [...] im wesentlichen auf eine gewisse Zerrüttung des Erinnerungsvermögens zurückzuführen ist.

Von diesem Gesichtspunkt aus läßt sich daher der Traum als ein kurzer Wahnsinn, der Wahnsinn als ein langer Traum bezeichnen.”(4)

Das führt zu der noch weitergehenden Frage: Ist der Traum nur ein kurzer Wahnsinn oder ist vielmehr sogar das ganze Leben ein Traum?

Schopenhauer hat diese Frage bejaht, denn “das Leben kann”, so schrieb er, “angesehn werden als ein Traum, und der Tod als das Erwachen”. (5)

“Jeder wird,” meinte Arthur Schopenhauer, “zur Genüge auch an der leidenden Thierheit sich überzeugen können, wie wesentlich alles Leben Leiden ist”. (6)  Wenn das zutrifft - und es trifft leider oftmals in geradezu furchtbarem Ausmaße zu - dann ist das  Leben mehr als ein bloßer Traum, nämlich ein Albtraum. Wie tröstlich, dass es auch ein Erwachen gibt!

 

Anmerkungen
(1)
Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, hrsg von Arthur Hübscher, München 1985, Band 2, S. 367.
(2) Dschuang Dsi, Das wahre Buch vom südlichen Blütenland.
Aus dem Chinesischen übertr. und erl. von Richard Wilhelm,
Köln 1984, S. 52.
(3) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977,
Band I: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 45.
(4) Schopenhauer  , Werke ..., a .a. O.,
Band VII: Parerga und Paralipomena I, S. 254.
(5)  Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band IX: Parerga ... II, S. 296.
(6)  Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band II: Die Welt ... I, S. 389.

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