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über
Todesfurcht und metaphysisches Bedürfnis

Die Todesfurcht, hervorgerufen durch die,  wie Arthur Schopenhauer es nannte, erschreckende Gewißheit des Todes, ist ein zutiefst erschütterndes Gefühl. Deshalb suchen viele Menschen nach etwas, das ihnen hierbei Trost zu bieten vermag. Einen solchen Trost werden sie dann kaum im Materialismus finden, sondern - wenn überhaupt - im Metaphysischen. Insofern haben die Menschen - so bezeichnete es Schopenhauer - ein metaphysisches Bedürfnis. Hierbei hoffen viele von ihnen, vor allem in den Religionen Trost zu finden. Schopenhauer schrieb dazu in seinem  berühmten Kapitel Ueber den Tod und  sein Verhältniß zur Unzerstörbarkeit unsers Wesens an sich:

“Wie aber durchgängig in der Natur jedem Uebel ein Heilmittel, oder wenigstens ein Ersatz beigegeben ist; so verhilft die selbe Reflexion, welche die Erkenntniß des Todes herbeiführte, auch zu metaphysischen Ansichten, die drüber trösten. [...] Hauptsächlich auf diesen Zweck sind alle Religionen und philosophischen Systeme gerichtet, sind also zunächst das von der reflektirenden Vernunft aus eigenen Mitteln hervorgebrachte Gegengift der Gewißheit des Todes.

Der Grad jedoch, in welchem sie diesen Zweck erreichen, ist sehr verschieden, und allerdings wird eine Religion oder Philosophie viel mehr, als die andere, den Menschen befähigen, ruhigen Blickes dem Tod ins Angesicht zu sehen. Brahmanismus und Buddhaismus, die den Menschen lehren, sich als das Urwesen selbst, das Brahm, zu betrachten, welchem alles Entstehen und Vergehen wesentlich fremd ist, werden darin viel mehr leisten, als solche, welche ihn aus nichts gemacht seyn und seine, von einem Andern empfangene Existenz wirklich mit der Geburt anfangen lassen. Dementsprechend finden wir in Indien eine Zuversicht und eine Verachtung des Todes, von der man in Europa keinen Begriff hat.”(1)

Wenn Schopenhauer die Bedeutung der indischen Religionen und Philosophien für die Ãœberwindung der Todesfurcht hervorhob, so gilt das besonders für die altindischen Upanishaden, und zwar in der Fassung des Oupnekhats. Gerade diese Ãœbersetzung der Upanishaden lehrt, wie Schopenhauer im obigen Zitat meinte, dass der Mensch als Einzelwesen (Atman) mit dem zeitlosen, also dem todlosen, nicht dem Entstehen  und Vergehen unterworfenen “Urwesen” (Brahman) identisch ist (Tat-tvam-asi). In diesem Sinne sind die Wesen unsterblich. Der Tod trifft nur ihr Äußeres, nicht aber ihr mit dem “Urwesen” identisches Innere.

Für Schopenhauer war, worauf obiges Zitat hindeutet, auch im Hinblick auf die Todesfurcht das Christentum  nicht unbedingt eine Quelle des Trostes. Ja mehr noch, er hielt dessen  religiöse Erziehung hierbei sogar für nachteilig:    

“Es ist in der That eine bedenkliche Sache, dem Menschen in dieser wichtigen Hinsicht schwache und unhaltbare Begriff durch frühes Einprägen aufzuzwingen, und ihn dadurch zur Aufnahme der richtigeren und standhaltenden auf immer unfähig zu machen. Z. B. ihn lehren, daß er erst kürzlich aus Nichts geworden, folglich eine Ewigkeit hindurch Nichts gewesen sei und dennoch für die Zukunft unvergänglich seyn solle, ist gerade so, wie ihn lehren, daß er, obwohl durch und durch das Werk eines Andern, dennoch für sein Thun und Lassen in alle Ewigkeit verantwortlich seyn solle. Wenn nämlich dann, bei gereiftem Geiste und eingetretenem Nachdenken, das Unhaltbare solcher Lehren sich ihm aufdringt; so hat er nichts Besseres an ihre Stelle zu setzen, ja, ist nicht mehr fähig es zu verstehen, und geht dadurch des Trostes verlustig.”(2)

Jedoch gerade wegen der “erschreckenden Gewißheit des Todes” haben die Menschen ein, wie oben erwähnt,  metaphysisches Bedürfnis , das Schopenhauer in einem besonderen Kapitel seines Hauptwerkes näher beschrieb. (3) Dieses Bedürfnis hatte natürlich auch Schopenhauer selbst. So berichtete sein Biograf Wilhelm v. Gwinner, der Schopenhauer noch persönlich kannte und somit aus eigener Anschauung bezeugen konnte, dass der Oupnekhat, also die Upanishaden, auf Schopenhauers Tisch lag und dieser  “vor dem Schlafengehen [...] darin seine Andacht” verrichtete.(4) Somit ist es durchaus keine Ãœbertreibung, wenn Arthur Schopenhauer gegen Ende seines Lebens schrieb, dass die Lektüre des Oupnekhat  “der Trost meines Lebens” gewesen sei und, wie er voller Zuversicht meinte, sie werde der Trost auch “meines Sterbens” sein.(5)
 

Weiteres

 Arthur Schopenhauer : Tod und Leben

>   Arthur Schopenhauer : Metaphysik - jenseits der Physik

Anmerkungen
(1)
Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden,
Band IV: Die Welt als Wille und Vorstellung II / 2, Kap. 41,
Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), S. 543.
(2) Ebd.
(3) S. dazu auch Arthur Schopenhauer , a. a. O.,
Band III: Die Welt als Wille und Vorstellung II / 1,
Kap.17: Ueber das metaphysische Bedürfnis des Menschen,
S. 187.
(4) Wilhelm v. Gwinner, Schopenhauers Leben,
3. Aufl., Leipzig 1910,  S. 342.
(5) Arthur Schopenhauer , a. a. O.,
Band X: Parerga und Paralipomena II /2, S. 437.

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