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Thomas Mann

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Arthur Schopenhauer

Thomas Mann

Ich nannte Schopenhauer “modern” - ich hätte ihn zukünftig nennen sollen,         so schrieb Thomas Mann in einem Essay über Arthur Schopenhauer. * Doch warum, das fragt  der erstaunte Leser, ist Schopenhauer mehr als 150 Jahre nach seinem Tod noch “zukünftig”?  Zur Begründung für die nachhaltige Wirkung, die Schopenhauers Werk bis heute ausübt, äußerte sich Thomas Mann in diesem Essay schon fast enthusiastisch, aber dennoch durchaus zutreffend:

Es ist ein Werk von solcher kosmischer Geschlossenheit und einschließender Gedankenkraft, daß man eine sonderbare Erfahrung damit macht: Hat es einen längere Zeit beschäftigt, so kommt einem alles andere - aber auch alles -, was man zwischendurch oder gleich danach liest, fremd, unbelehrt, unrichtig, willkürlich vor.

Es ist kein billiges Lob, mit dem Thomas Mann sich zu Schopenhauer bekannte, denn sein Urteil beruhte auf großem Verständnis der nicht einfachen, weil sehr tiefen Philosophie Schopenhauers. Wie sehr er mit ihr vertraut war, kommt in seinem Essay immer wieder zum Ausdruck. Schopenhauer gab, so erklärte Thomas Mann, seinem Hauptwerk den Titel: “Die Welt als Wille und Vorstellung,  - eine höchst sachliche Überschrift, die aber in drei Worten nicht nur den Inhalt des Buches, sondern auch den Menschen, der es schuf, in seiner machtvollen Dunkelheit und ebenso gewaltigen Helle, seiner tiefen Sinnlichkeit und strengen lauteren Geistigkeit, seiner Leidenschaft und seinem Erlösungsdrange vollkommen ausspricht. Es ist ein Phänomen von einem Buch ...”  

 So wichtig dieses Essay auch ist, weitaus bekannter ist Thomas Manns 1901 erschienener Roman über den Verfall einer Lübecker Kaufmannsfamile, Buddenbrooks . Aus diesem Werk seiner Jugend zitierte Thomas Mann in seinem Essay den Lübecker Ratsherrn und Chef der Getreidefirma Johann Buddenbrook,  Thomas Buddenbrook, der sich kurz vor seinem Tod eine Frage stellte, die sich viele, besonders ältere Menschen stellen, und auf die er ganz im Sinne von Schopenhauer die Antwort fand:

“ Wo ich sein werde, wenn ich tot bin?” fragt Thomas Buddenbrook. “Aber es ist so leuchtend klar, so überwältigend einfach! In allen denen werde ich sein, die je und je Ich gesagt haben, sagen und sagen werden ...”

Das von Thomas Mann aus seinem Buddenbrooks ausgewählte Zitat zeigt: hier ist Arthur Schopenhauer präsent! Dahinter stehen Schopenhauers unübertroffene Betrachtungen über den Tod, und zwar vor allem das Kapitel  im zweiten Bande der Welt als Wille und Vorstellung . Es trägt die bezeichnende Überschrift Über den Tod und sein Verhältnis zur Unzerstörbarkeit unseres Wesens an sich. Dieses “große” Kapitel, schrieb Thomas Mann in seinem Essay, gehört zu dem Schönsten, man möchte sagen Tiefsten (aber sein Werk ist überall gleich tief), was er ( Schopenhauer ) geschrieben hat. Es gab dem alten Senator Buddenbrook gegen Ende seines Lebens Trost und hinterließ Spuren, die in Thomas Manns Essay, also noch Jahrzehnte später, deutlich zu erkennen sind. So fand er in Schopenhauers Philosophie ein Wahrheitserlebnis, so hieb- und stichfest, so richtig, wie ich es sonst in  der Philosophie nicht gefunden habe. Man kann damit leben und sterben, - namentlich sterben: ich wage zu behaupten, daß die schopenhauerische Wahrheit, daß ihre Annehmbarkeit in der letzten Stunde standzuhalten, und zwar mühelos, ohne Denkanstrengung, ohne Worte standzuhalten geeignet ist.

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* Anmerkung
Alle Zitate von Thomas Mann auf dieser Webseite sind aus dem Essay, den Thomas Mann als Vorwort  für eine 1938 herausgegebene Schopenhauer - Ausgabe schrieb. Neu veröffentlicht in: Über Arthur Schopenhauer . Hrsg. v. Gerd Haffmans.     3. Auflage, Zürich 1981. Hier: Thomas Mann , Schopenhauer ,  S. 87 ff.

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