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Arthur Schopenhauer
  zur Zweckmäßigkeit ( Teleologie )
 in der Natur

Wer die Natur aufmerksam betrachtet, wird wohl - wie Arthur Schopenhauer - mit großer Verwunderung, ja Bewunderung feststellen, dass in der Natur alle Lebensformen höchst zweckmäßig gestaltet sind. Schopenhauer hat die Lehre von der Zweckmäßigkeit, d. h. die Teleologie (aus griech. telos, “Ende, Ziel, Zweck, Vollendung” und logos ,”Lehre”), eingehend erörtert, und zwar vor allem in seiner Schrift Ueber den Willen in der Natur, die für seine Philosophie “von besonderer Wichtigkeit ist” und den “eigentlichen Kern meiner Metaphysik” betrifft.(1)

Schopenhauer bezog sich  in seiner Darstellung der Teleologie in der Natur auch auf die “vergleichende Anatomie” der Tiere: “Die augenfällige, bis ins Einzelne herab sich erstreckende Angemessenheit jedes Thieres zu seiner Lebensart, zu den äußern Mittel seiner Erhaltung, und die überschwengliche Kunstvollkommenheit seiner Organisation ist der reichste Stoff teleologischer Betrachtungen ... Die ausnahmslose Zweckmäßigkeit, die offenbare Absichtlichkeit in allen Theilen der thierischen Organisation kündigt zu deutlich an, daß hier nicht zufällig und planlos wirkende Naturkräfte, sondern ein Wille thätig geworden sei ...” (2)

Nachdem hier Schopenhauer auf die eigentliche Ursache der Zweckmäßigkeit in der Natur, nämlich auf das Wirken des Willens, hingewiesen hat, ging er “nun etwas näher ein auf die oben erwähnte Angemessenheit der Organisation jedes Thieres zu seiner Lebensweise und den Mitteln sich seine Existenz zu erhalten”(3):

“So z. B. hat der Ameisenbär nicht nur an den Vorderfüßen lange Klauen, um den Termitenbau aufzureißen, sondern auch zum Eindringen in denselben eine lange cylinderförmige Schnauze, mit kleinem Maul, und eine lange, fadenförmige, mit klebrigem Schleim bedeckte Zunge, die er tief in die Termitennester hineinsteckt und sie darauf mit jenen Insekten beklebt zurückzieht ; hingegen hat er keine Zähne, weil er keine braucht ...

Der Hals der Vögel, wie der Quadrupeden [Vierbeiner], ist in der Regel so lang wie ihre Beine, damit sie ihr Futter von der Erde erreichen können; aber bei Schwimmvögeln oft viel länger, weil sie schwimmend ihre Nahrung unter der Wasseroberfläche hervorholen. Sumpfvögel haben unmäßig hohe Beine, um waten zu können, ohne zu ertrinken ...”(4)

Schopenhauer kam schließlich zu dem Ergebnis: “Nach dem Willen jedes Thiers hat sich sein [Körper-] Bau gerichtet” (5), wobei gemäß seiner Philosophie der “Wille jedes Thiers” die Manifestation eines allumfassenden metaphysischen Willens ist, der sich in allem Lebendigen als Wille zum Leben zeigt. Die Lebewesen wollen leben, und deshalb leben sie. Aber um leben zu können, müssen sie zum Beispiel Nahrung aufnehmen, und hierzu sind ihre Organe höchst zweckmäßig ausgebildet:

“Die Schläfer der Nacht zu überfallen, fliegen Eulen aus, mit ungeheuer großen Pupillen, um im Dunkeln zu sehn, und mit ganz weichen Federn, damit ihr Flug geräuschlos sei und die Schläfer nicht wecke ... [Wels, Zitteraal und Zitterrochen] haben gar einen vollständigen elektrischen Apparat mitgebracht, die Beute zu betäuben, ehe sie solche erreichen können; wie auch zur Wehr gegen ihren Verfolger. Denn wo ein Lebendiges athmet, ist gleich ein anderes gekommen, es zu verschlingen, und ein Jedes ist durchweg auf die Vernichtung eines Andern wie abgesehn und berechnet, sogar bis auf das Speciellste herab ...” (6)

Der hier von Arthur Schopenhauer beschriebene Kampf ums Dasein war auch für Charles Darwin ein höchst wichtiges Thema. Darwin nannte es struggle for life (Kampf ums Leben). Es geht dabei “um die Tatsache, daß die Lebewesen, die erzeugt werden, sich nicht ohne weiteres am Leben erhalten können, sondern nur diejenigen, die ihrer Konstitution, ihren Fähigkeiten, ihren Instinkten usw. den Daseinsbedingungen entsprechen, besonders aber sich kämpfend durchzusetzen imstande sind. Das Ergebnis ist das Überleben der Anpassungsfähigen”(7).     

Jedoch im Gegensatz zum Darwinismus  sah Schopenhauer die überall zu beobachtende und geradezu bewundernswürdige Zweckmäßigkeit in der Natur nicht nur als Ergebnis einer mechanisch-materialistischen Auslese (Selektion)  an. Darwins Lehre sei, wie er meinte, “platter Empirismus, der in dieser Sache nicht ausreicht”(8).

Der bloße Empirismus kann hier als teleologische Erklärung nicht ausreichen, weil er zu oberflächlich bleibt. Hingegen ist Schopenhauers Begründung sehr viel tiefer, nämlich metaphysisch: Nach seiner Philosophie ist es der metaphysische Wille, der in allem Lebendigen als Wille zum Leben in Erscheinung tritt und alle Entfaltungen des Lebens mit größter Zweckmäßigkeit bewirkt.

Schopenhauers teleologische Aussagen über die Natur sind zutiefst  metaphysisch begründet und überschreiten damit die Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis. Schopenhauers Philosophie zeigt am Beispiel der Teleologie, dass sie auch hier, und zwar ohne dabei unseriös zu werden, dem suchenden und fragenden Menschen etwas bieten kann, das den Naturwissenschaften nicht möglich ist, nämlich die Befriedigung seines  - wie  Arthur Schopenhauer es nannte - “metaphysischen Bedürfnisses” (9).

  
Weiteres
 > Arthur Schopenhauer über den Willen zum Leben.

Quellen
(1)
  Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden,
Zürich 1977,(Zürcher Ausgabe), Band V:
Ueber den Willen in der Natur, S.183.
(2)  Ebd., S. 235.
(3)  Ebd., S. 238.
(4)  Ebd., S. 239 f.
(5)  Ebd., S. 241.
(6)  Ebd., S. 244 f.
(7) Philosophisches Wörterbuch, begr. v. Heinrich Schmidt, neu bearb. v. Georgi Schischkoff, 21. Aufl., Stuttgart 1982, S. 345 (Stichwort: Kampf ums Dasein).
(8) Schopenhauer hatte einen ausführlichen Auszug von Darwins Buch über die Entstehung der Arten in der Times gelesen. Hiernach sei, wie er meinte, Darwins Lehre “platter Empirismus, der in dieser Sache nicht ausreicht”(Brief vom 1. März 1860 an Adam von Doss, in: Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe, hrsg. von Arthur Hübscher, 2. Auflage, Bonn 1987,S. 471 f.).
(9) Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band III:
Die Welt als Wille und Vorstellung II, Kap. 17:
Ueber das metaphysische Bedürfniß des Menschen.

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