Übersicht

Studienkreis

Arthur Schopenhauer

Redaktion

Arthur Schopenhauer

Lebensphilosoph und Wegweiser

Mein Leben hatte durch Schopenhauer einen neuen Inhalt
 und eine neue Wegweisung gewonnen.
Anton Büchting, in: Wege zu Schopenhauer (1)

Arthur Schopenhauer war kein Geschichtsphilosoph wie etwa Hegel, sondern Lebensphilosoph, ja er kann als Begründer der neuzeitlichen Lebensphilosophie gelten. Arthur Hübscher, der verdienstvolle Herausgeber von Schopenhauers Schriften und langjährige Präsident der Schopenhauer-Gesellschaft, hat in seinem zur Wirkungsgeschichte Schopenhauers grundlegenden Werk Denker gegen den Strom: Schopenhauer (2) an zahlreichen Stellen hervorgehoben, dass in Schopenhauers Philosophie weniger Politik und Gesellschaft als vielmehr der einzelne Mensch, sein Leben und Leiden im Mittelpunkt stehen.

Für Schopenhauer stand, wie Hübscher schrieb,  “der Mensch [...] unmittelbar in der Beziehung zum Weltganzen, ohne vermittelnde Hilfe geschichtlicher und gesellschaftlicher Mächte. Schopenhauer sucht Möglichkeiten auf, wie der einzelne vor sich und vor der Welt bestehen kann. Nicht nur die berühmten Aphorismen zur Lebensweisheit, - seine ganze Anthropologie ist ein groß angelegter Versuch, den Menschen vor dem Versinken in das Massendasein zu bewahren und ihm die Eigenständigkeit zu geben, auf die er, seiner ganzen Hilflosigkeit und Erbärmlichkeit zum Trotz, Anspruch haben sollte.

Von dem weiter vorangetriebenen Machtansprüchen einer technisch verwalteten, verflachten, entseelten Welt wirkt Schopenhauer  heute wie ein prophetisch vorausdenkender, beschwörender Vorkämpfer für die Freiheit, die Eigenverantwortlichkeit und das Recht des Einzelnen.  

Seine  [Schopenhauers] Ethik schreibt keine Handlungsweise vor, sie ist keine Anweisung zur Tugend, wie es die Ethik Kants und mit ihr aller Schulen zu Schopenhauers Zeit gewesen ist. Sie lehrt nicht wie man sich sittlich verhalten soll, sie zeigt, wie die Menschen sich wirklich verhalten, sie sucht ihre verschiedenen Verhaltensweisen zu deuten, zu erklären und auf ihren letzten Grund zurückzuführen.

Der moralische Charakter ist unveränderlich, die Grund- eigenschaften eines Menschen sind nicht umzuschaffen, wohl aber ist die Betätigungsweise seiner Anlagen beeinflußbar, eine berichtigte Erkenntnis kann ihm neue, andere Motive liefern und zu anderen Willenshandlungen führen. Sittliche Gebote sind machtlos, wenn sie nicht von innerer Zustimmung begleitet werden. Was man zu tun vermag, ist dieses: daß man den Kopf aufhellt, die Einsicht berichtigt, den Menschen zu einer richtigen Auffassung des objektiv Vorhandenen, der wahren Verhältnisse des Lebens bringt.

Aus diesen Einsichten ergibt sich das pädagogische Leitbild, das Schopenhauer in einem meist übersehenen Kapitel der Paralipomena entwickelt hat: Zweck der Erziehung muß es sein, die Bekanntschaft des Kindes, des jungen Menschen mit der Welt zu vermitteln, die Fähigkeit zu entwickeln, selbst zu erkennen, zu urteilen, zu denken, nicht aber, ihm von früh an fremde Gedanken und Begriffe, Dogmen und Vorurteile einzuprägen - Schopenhauer denkt vor allem an die Verderblichkeit einer frühzeitigen Einprägung religiöser Glaubenssätze. Was er verlangt, ist eine Erziehung zur selbständigen, aus sich heraus entwicklungsfähigen, nicht ins Gleichmaß eingegliederten Persönlichkeit. [...]

Jedem einzelnen ist das gleiche Los bestimmt: Arbeit, Plage, Qual und Not. Sein Leben geht im unaufhörlichen Kampfe um das Dasein hin, und dabei hat ihm die Natur nur knapp so viel Kräfte zugemessen, als er nötig hat. Über alles ist er in Ungewißheit, nur nicht über seine Bedürftigkeit und Not und über die Tatsache, daß ihn am Ende der Tod erwartet. In dieser Gewißheit gewinnt er das Motiv der Gemeinsamkeit, die verläßlich ist. Er ist einsam und verlassen, aber er teilt das Schicksal der Verlassenheit mit allen anderen. Der Gedanke des Miteinanderlebens und Miteinander- leidens, des Mitlebens und Mitleidens, der alles Leben einschließt, Mensch und Tier, erhält eine fortdauernde Gegenwartsnähe.”(3)

Hierbei wies Hübscher darauf hin, dass es Arthur Schopenhauer gewesen sei, der den Gedanken dieser  “Humanität gedacht und aus dem Bewußtsein der Identität aller Wesen mit dem  eigenen Ich metaphysisch begründet und vertieft hat und damit ein Leitbild aufgerichtet” habe, das - so sei hier hinzugefügt - durchaus als Lebensphilosophie Orientierung zu bieten vermag.(4) Eine solche Lebensphilosophie richtet sich natürlich nicht nach tagespolitischer Opportunität, nach dem, was jeweils “in” ist, weil - so Hübscher - was dem Tage dient, geht mit dem Tage unter.(5)  

Schopenhauer zeigt sich in seinen Schriften als ein Lebensphilosoph und Wegweiser  mit weit mehr als bloß theoretischen Ansprüchen, denn er “ bescheidet sich nicht bei einem gedanklichen  Erfassen und der begrifflichen Zergliederung von Welt- und Lebenszusammenhängen, seine Philosophie hat das Ziel unmittelbar auf unser Leben einzuwirken, sie ist, wie es die großen Denker der Antike wollten, als Wegweiser zur Lebensgestaltung und Lebensmeisterung gemeint. Schopenhauer lehrt uns die Welt kennen und durchschauen. [...] Man kann mit seiner Philosophie leben - und mit ihr sterben, sie ist nach dem Worte Thomas Manns geeignet, in der letzten Stunde standzuhalten, und zwar mühelos, ohne Denkanstrengung, ohne Worte standzuhalten.”(6)

Nicht nur der eben zitierte Arthur Hübscher, auch viele andere, und zwar aus verschiedensten Lebensbereichen, bezeugten eindrucksvoll, was Schopenhauer als Lebensphilosoph für sie persönlich bedeutete und wie seine Philosophie ihr Leben bereicherte. So heißt es in einem der zahlreichen Beiträge für eine Festgabe zu Hübschers 80. Geburtstag:

“Ich habe in meinem Leben viel  gelesen und vieles hat mich beeindruckt. Aber die Lektüre Schopenhauers wurde mir zum größten aufwühlenden Erlebnis. Er gab mir Antwort auf die Fragen, die mich so tief bewegten. Seine Gedanken bestätigten  mir manches, was ich schon selber geahnt hatte. Sie schenkten mir ein neues Weltbild, in dessen Licht ich die furchtbaren Erlebnisse der letzten Jahre und die triste Gegenwart, aber auch die geschichtliche Vergangenheit und das Wesen dieser Welt verstand. Mein Leben hatte einen neuen Inhalt und eine neue Wegweisung gewonnen.”(7)  

So ist es verständlich, wenn Arthur Hübscher seine Selbst- biografie Leben mit Schopenhauer mit den Worten schloss:

Ich habe viele Menschen und viel unnützes Gepäck auf meiner Lebensreise zurückgelassen. Schopenhauer habe ich mitgenommen, - er hat mich nie im Stich gelassen. Er wird auch das sein, wenn es an der Zeit ist, abzutreten.(8)



Anmerkungen

(1) S. Anton Büchting, in: Wege zu Schopenhauer, Arthur Hübscher zu Ehren, Festgabe zum 80. Geburtstag, hrsg. von Clemens Köttelwesch,Wiesbaden 1978, S. 66.

(2) Arthur Hübscher, Denker gegen den Strom:
Schopenhauer: gestern - heute -morgen,
 4. Auflage, Bonn 1988.

(3) Ebd., S. 222 f.

(4) Ebd., S. 223.

(5) Ebd., S. 282.

(6) Ebd., S. 284.

(7) Anton Büchting, a. a. O., S. 66.

(8) Arthur Hübscher, Leben mit Schopenhauer,
Frankfurt a. M. 1966, S. 141.

Weiteres > Arthur Schopenhauer : Lebensphilosophie
         
(Blogbeiträge des Arthur-Schopenhauer-Studienkreises)

 Übersicht

Studienkreis

Redaktion