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Arthur Schopenhauers Philosophie : Überblick

Arthur Schopenhauer

Der folgende Überblick beginnt mit einem Auszug aus dem Schopenhauer-Artikel im Philosophischen Wörterbuch (10. Aufl., Stuttgart 1943, S. 513 ff.). Er wurde ausgewählt, weil in ihm m. E. kurz und gut verständlich die wesentlichen Aspekte der Philosophie  von Arthur Schopenhauer  darstellt sind. Trotz des Erscheinungsjahres (1943) enthält der Schopenhauer-Artikel mit Ausnahme eines Rosenberg-Zitats keine Aussagen, die man als nationalsozialistisch werten könnte. Alfred Rosenberg war bekanntlich ein führender nationalsozialistischer Ideologe und Antisemit. Das kommt auch in diesem Zitat zum Ausdruck, das deshalb aus verständlichen Gründen hier fortgelassen wurde. Es wäre auch grundfalsch und Schopenhauer gegenüber ein großes Unrecht, ihn in irgendeiner Weise mit der nationalsozialistischen Ideologie in Verbindung zu bringen.  Arthur Schopenhauer lebte zwar im 19. Jahrhundert, dennoch ist er ein Philosoph unserer Zeit, ja der Zukunft. Schopenhauer ist aktuell und doch jenseits allen modischen Zeitgeistes. Thomas Mann und Max Horkheimer wussten das und viele andere, die sich heute ernsthaft mit Schopenhauer befassen, können das erneut bestätigen.

Der nachstehende Auszug ist ein Beispiel für die Schopenhauer-Darstellung in einem philosophischen Nachschlagewerk, das zu seiner Zeit  verhältnismäßig weit verbreitet war und dementsprechend mit dazu beigetragen hatte, das Schopenhauer-Bild bis in die Nachkriegszeit hinein zu prägen. Noch die 1978 erschienene neu bearbeitete 21. Auflage des Philosophischen Wörterbuches stimmt weitgehend mit der 10. Auflage von 1943, ja zum Teil sogar mit der von 1930 überein. Allein das zeigt, dass es sich hier um eine grundlegende Darstellung  handelt, die trotz aller politischen und gesellschaftlichen Umbrüche aktuell geblieben ist.

Im folgenden wurden zur besseren Bildschirm-Lesbarkeit der Text in Abschnitten unterteilt und einzelne Begriffe hervorgehoben, wobei Links auf weitere Erklärungen ver- weisen. Jedoch Erklärungen und Überblicke ersetzen nicht das Studium der Werke Schopenhauers. Hierbei gilt der Rat, den Schopenhauer in der Vorrede zur ersten Auflage seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung   gab:  Das Buch zwei Mal zu lesen ... 

“ Schopenhauer, ... Philosoph des All-Willens. Seine Philosophie geht von den beiden Sätzen aus: 1. die Welt ist an sich Wille, 2. die Welt ist für mich Vorstellung (vgl. den Titel des Hauptwerkes “Die Welt als Wille und Vorstellung”...). Alles, was für die Erkenntnis da ist, also diese ganze Welt, ist ein Objekt in Beziehung auf das Subjekt, ist Anschauung des Anschauenden, mit einem Wort: > Vorstellung. Also: kein Subjekt ohne Objekt, kein Objekt ohne Subjekt. Aber diese Erkenntnis genügt nach Schopenhauer nicht.

  Wir fragen, ob diese Welt nichts weiter als Vorstellung sei, und was, wenn sie noch etwas anderes ist. Wir erkennen nun: das als Individuum erscheinende Subjekt des Erkennens findet als sein innerstes Wesen den > Willen, und zwar aus der Erfahrung seines Leibes; er ist auf zwei ganz verschiedene Weisen gegeben; einmal als Vorstellung, als Objekt unter Objekten; sodann aber auch zugleich als jenes jedem unmittelbar Bekannte, welches das Wort Wille bezeichnet.

Also: Der Leib ist die Objektivation des Willens; der Wille ist das An-sich des Leibes. Diese Erkenntnis ist der Schlüssel zum Wesen jeder Erscheinung in der Natur, indem wir annehmen, daß alle Objekte ihrem inneren Wesen nach dasselbe sein müssen, was wir an uns Wille nennen. > Der Wille ist das Ding an sich.

Die fortgesetzte Reflexion führt dahin, auch die Kraft, welche die Pflanze treibt und vegetiert, die Kraft, ... welche den Magnet zum Nordpol wendet..., ja zuletzt sogar die Schwere, welche in aller Materie so gewaltig strebt, den Stein zur Erde und die Erde zur Sonne zieht - diese alle in ihrem inneren Wesen zu erkennen.

Zeit und Raum allein sind es, mittelst welcher das dem Wesen und Begriff nach Gleiche und Eine doch als verschieden, als Vielheit neben- und nacheinander erscheint: der Wille als das Ding an sich selbst liegt außer aller Zeit und allem Raum, wie auch außer aller Kausalität: er ist grundlos, ursachlos, aber er muß sich bei der Vereinzelung durch Raum und Zeit dem > Principium individuationis unterwerfen und wird dadurch Wille zum Leben.

Die Stufen seiner (des Willens) Objektivation, von den allgemeinsten Kräften der Natur bis hinauf zum Tun des Menschen, sind Platons Ideen. Die durch Raum und Zeit bestimmten Objekte (Vorstellungen) betrachtet am Leitfaden der Kausalität die Wissen- schaft. Darüber hinaus vermag allein das Genie in der Kunst durch reine Kontemplation und ungewöhnliche Kraft der Phantasie die ewigen Ideen aufzufassen und darzustellen. Je nach dem Stoff, in dem dies geschieht, ist sie Poesie, bildende Kunst oder Musik. Letztere nimmt eine ganz besonders hohe Stellung ein, da sie nicht nur wie die anderen Kunst- gattungen die Ideen abbildet, sondern die unmittelbare Objektivation des Weltwillens in uns ist...

Rein an sich betrachtet ist der Wille erkenntnislos und nur blinder Drang; durch die von ihm geschaffene Welt erhält er die Erkenntnis von seinem Wollen und von dem, was er will; er erkennt sich als “ Wille zum Leben “. Aber alles Leben ist > Leiden. Denn auf allen Stufen seiner Erscheinung entbehrt der Wille eines letzten Zieles und Zweckes, er muß immer streben, weil Streben sein alleiniges Wesen ist, dem kein erreichtes Ziel ein Ende macht, das daher keiner endlichen Befriedigung, d. h. keines Glückes, fähig ist.

Mit aller Macht seiner Beredsamkeit bemüht sich Schopenhauer, das Leiden alles Lebens in allen seinen Formen und Betätigungen darzutun, das Leiden, aus dem es keine andere Rettung gibt als allein die Verneinung des Willens zum Leben, die letzten Endes Aufhebung des Individuationsprinzips bedeutet, Übergang ins Nichtssein (Nirvana).*

Diese Verneinung kann erst dann eintreten, wenn wir das Leben wirklich als endloses Leiden erkannt haben, und diese Erkenntnis ist nur möglich, wenn wir ... alles Lebendige lieben - denn Liebe ist nichts anderes als Mitleid, das für Schopenhauer das Fundament der wahren Moral ist. Es gehört mit dem Egoismus und der Bosheit zu den drei Grundtriebfedern für das menschliche Handeln und verbindet sich mit den Tugenden der Gerechtigkeit und Menschenliebe. Das Gefühl des Mitleids bezieht sich nicht nur auf Menschen, sondern, was besonders Schopenhauer betont, ebenso auf > Tiere. “
( Dementsprechend wird in vielen Darstellungen auf die sehr positive Einstellung Arthur Schopenhauers zum > Tierschutz hingewiesen.)
 

*Anm.:
Es ist für das Verständnis der Philosophie Arthur Schopenhauers von größter Bedeutung, dass Schopenhauer das “Nichts”, mit dem alles Leid endet, nur im relativen Sinn verstanden wissen wollte! Schopenhauer selbst wies in diesem Zusammenhang auf das  “NIRWANA der Buddhaisten” hin. Dieses Ziel ist nicht mit Begriffen dieser Welt zu beschreiben.  Man kann nur sagen, was es nicht ist, also negativ ausdrücken. Andererseits ist es höchst positiv, nämlich Erlösung vom Leid. Auf dieses Letzte hatte Schopenhauer mit äußerster Zurückhaltung hingedeutet. Der erste Band seines Haupt- werkes “ Die Welt als Wille und Vorstellung ” schließt mit den Worten: “ Wir bekennen es vielmehr: was nach gänzlicher Aufhebung des Willens übrig bleibt, ist für alle Die, welche noch des Willens voll sind, allerdings Nichts. Aber auch umgekehrt ist Denen, in welchen der Wille sich gewendet und verneint hat, diese unsere so sehr reale Welt mit allen ihren Sonnen und Milchstraßen - Nichts.”  (Siehe dazu auch > Arthur Schopenhauer : Mystik und Philosophie .)
                                                                                                         H.B.

Abschließend einige Zitate Schopenhauers, die eindeutig jeder nihilistischen Interpretation seiner Philosophie den Boden entziehen:

“ Der Mensch ist etwas anderes als ein belebtes Nichts: und das Tier auch. Wer da meint, sein Dasein sei auf sein jetziges Leben beschränkt, hält sich für ein belebtes Nichts: denn vor dreißig Jahren war er nichts und über dreißig Jahre ist er wieder nichts. “

“ Man hat geklagt, daß meine Philosophie traurig und trostlos wäre: aber nichts ist so trostlos wie die Lehre, daß Himmel und Erde und konsekutiv ( folglich ) der Mensch aus Nichts geschaffen seien, denn da folgt wie Nacht auf Tag, daß er zu Nichts wird, wenn er vor unsern Augen stirbt. Vielmehr ist der Anfang und Grund alles Tröstlichen die Lehre, daß der Mensch nicht aus Nichts geworden ist. “

“ Für uns bleibt der Tod ein Negatives - das Aufhören des Lebens, allein er muß auch eine positive Seite haben, die jedoch uns verdeckt bleibt, weil unser Intellekt durchaus unfähig ist, sie zu fassen. Daher erkennen wir wohl, was wir durch den Tod verlieren, aber nicht, was wir durch ihn gewinnen. “

Ähnlich ist es auch mit der Philosophie Schopenhauers: Was durch Verneinung des Willens aufgegeben wird, können wir erfassen, die positive Seite, also dass, was durch sie gewonnen wird, bleibt hingegen unserem Intellekt verborgen. Dennoch ist dieses überaus Positive, zwar nicht intellektuell, aber meditativ erfahrbar als

 jener Friede, der höher ist als alle Vernunft, jene gänzliche Meeresstille des Gemüts, jene tiefe Ruhe, unerschütterliche Zuversicht und Heiterkeit, deren bloßer Abglanz im Antlitz, wie ihn Raffael und Correggio dargestellt haben, ein ganzes und sicheres Evangelium ist. Nur die Erkenntnis ist geblieben, der Wille ist verschwunden.                  ( Arthur Schopenhauer )

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