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Arthur Schopenhauer
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Philosophen und Dichter

Was unterscheidet Philosophen und Dichter voneinander? Für Arthur Schopenhauer bestand einer der Unterschiede darin, dass  es im Verhältnis der Philosophen zueinander weit weniger tolerant zugeht als bei den Dichtern, ja zwischen den widerstreitenden philosophischen Systemen herrsche Krieg aller gegen alle

“Der Dichter bringt Bilder des Lebens, menschliche Charaktere und Situationen vor die Phantasie, setzt das Alles in Bewegung, und überläßt nun Jedem, bei diesen Bildern so weit zu denken, wie seine Geisteskraft reicht.

Dieserhalb kann er Menschen von den verschiedensten Fähigkeiten, ja, Thoren und Weisen zugleich genügen. Der Philosoph hingegen bringt nicht, in jener Weise, das Leben selbst, sondern die fertigen, von ihm daraus abstrahirten Gedanken, und fordert nun, daß sein Leser eben so und eben so weit denke, wie er selbst. Dadurch wird sein Publikum sehr klein.

Der Dichter ist danach Dem zu vergleichen, der die Blumen, der Philosoph Dem, der die Quintessenz derselben bringt.

Ein andrer großer Vortheil, den poetische Leistungen vor philosophischen haben, ist dieser, daß alle Dichterwerke, ohne sich zu hindern, neben einander bestehn, ja, sogar die heterogensten unter ihnen von einem und demselben Geiste genossen und geschätzt werden können; während jedes philosophische System, kaum zur Welt gekommen, schon auf den Untergang aller seiner Brüder bedacht ist, gleich einem Asiatischen Sultan bei seinem Regierungsantritt. Denn, wie im Bienenstocke nur eine Königin seyn kann, so nur eine Philosophie an der Tagesordnung.

Die Systeme sind nämlich so ungeselliger Natur, wie die Spinnen, deren jede allein in ihrem Netze sitzt und nun zusieht, wie viele Fliegen sich darin werden fangen lassen, aber einer andern Spinne nur um mit ihr zu kämpfen, sich nähert. Also während die Dichterwerke friedlich neben einander weiden, wie Lämmer, sind die philosophischen geborene reißende Thiere, und sogar in ihrer Zerstörungssucht, gleich den Skorpionen, Spinnen und einigen Insektenlarven, vorzüglich gegen  die eigene Species gerichtet. Sie treten in der Welt auf, gleich den geharnischten Männern aus der Saat der Drachenzähne des Jason, und haben bis jetzt, gleich diesen, sich alle wechselseitig aufgerieben. Schon dauert dieser Kampf über zwei Tausend Jahre: wird je aus ihm ein letzter Sieg und bleibender Frieden hervorgehn?

In Folge dieser wesentlich polemischen Natur, dieses bellum omnium contra omnes [Krieg aller gegen alle] der philosophischen Systeme ist es unendlich schwerer als Philosoph Geltung zu erlangen, denn als Dichter. Verlangt doch des Dichters Werk vom Leser nichts weiter, als einzutreten in die Reihe der ihn unterhaltenden, oder erhebenden Schriften und eine Hingebung auf wenige Stunden.

Das Werk des Philosophen hingegen will seine ganze Denkungsart umwälzen, verlangt von ihm, daß er Alles, was er bisher, in dieser Gattung, gelernt und geglaubt hat, für Irrthum, die Zeit und die Mühe für verloren erkläre und von vorn anfange: höchstens läßt es einige Rudera [Ruinen] eines Vorgängers stehn, um seine Grundlage daraus zu machen.

Dazu kommt, daß es in jedem Lehrer eines schon bestehenden Systems einen Gegner von Amts wegen hat, ja, daß bisweilen sogar der Staat ein ihm beliebiges philosophisches System in Schutz nimmt und, mittelst seiner mächtigen, materiellen Mittel, das Aufkommen jedes andern verhütet.

Jetzt nehme man noch hinzu, daß die Größe des philosophischen Publikums zu der des dichterischen sich verhält wie die Zahl der Leute, die belehrt, zu der, die unterhalten sein wollen, und man wird ermessen können, quibus auspiciis [unter welchen Wahrzeichen] ein Philosoph auftritt. -

Dagegen nun freilich ist es der Beifall der Denker, der Auserwählten aus langen Zeiträumen und allen Ländern, ohne Nationalunterschied, der dem Philosophen lohnt: die Menge lernt allmälig seinen Namen auf Autorität verehren.

Dem gemäß und wegen der langsamen, aber tiefen Einwirkung des Ganges der Philosophie auf den des ganzen Menschengeschlechts geht, seit Jahrtausenden, die Geschichte der Philosophen neben der der Könige her und zählt hundert Mal weniger Namen, als diese; daher es ein Großes ist, dem seinigen eine bleibende Stelle darin zu verschaffen.” *


* Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), Band IX: Parerga und Paralipomena II,
Kap. 1: Ueber Philosophie und ihre Methode, § 4, S. 11 f.

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