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Arthur Schopenhauer und die Parapsychologie

In der Geschichte der Parapsychologie wird
Arthur Schopenhauer stets einen Ehrenplatz einnehmen.

                                  Hans Driesch (Philosoph und Biologe) 

Parapsychologie , so erklärt das Wörterbuch der philosophischen Begriffe, sei “die Wissenschaft, die sich die systematische und womöglich experimentelle Untersuchung und Aufklärung jener früher als okkult bezeichneten Erscheinungen des Seelenlebens zur Aufgabe macht. Von Driesch werden als in Betracht kommende Grundphänomene unterschieden in Telepathie und das Gedankenlesen (je nachdem, ob bei der ´Gedankenübertragung` mehr der Empfänger oder der ´Geber` aktiv ist) und das Hellsehen.”(1)

Das Philosophische Wörterbuch versteht unter Parapsychologie “die Wissenschaft von denjenigen Äußerungen seelischer Kräfte, die ihrer Art nach naturwissenschaftlich erklärbar sein müßte, es aber nicht sind”.(2) Das Wörterbuch verweist in diesem Zusammenhang auf die 1950 mit dem Sitz in Freiburg i. Br. gegründete “Gesellschaft für Parapsychologie und Grenzgebiete”.

Bei den obigen Definitionen des Begriffes Parapychologie fällt auf, dass beide renommierten philosophischen Nachschlagewerke die Parapsychologie als “Wissenschaft” bezeichnen. Dennoch sind Aussagen aus dem Bereich der Parapsychologie mit großer Vorsicht zu beurteilen, denn manche, vielleicht sogar die meisten von ihnen, sind Behauptungen, deren Seriosität bezweifelt werden kann.

Obwohl der Begriff Parapsychologie zu seiner Zeit noch nicht verwendet wurde, hatte sich Arthur Schopenhauer, und zwar mit der gebotenen Skepsis, sehr für parapsychologische Phänomene interessiert und sie in seinen Werken umfassend erörtert sowie tiefschürfend philosophisch begründet. Arthur Hübscher, langjähriger Präsident der Schopenhauer-Gesellschaft und verdienstvoller Herausgeber der Werke Schopenhauers, ist hierauf ausführlich in seinem sehr aufschlussreichen Buch Denker gegen den Strom: Schopenhauer : gestern - heute - morgen eingegangen. Wegen der Bedeutung des Themas für Arthur Schopenhauers Philosophie und der diesbezüglichen kompetenten Darstellung Hübschers seien hieraus im folgenden einige Textauschnitte zitiert:

“Als Kant 1763 seine ´Träume eines Geistersehers` erscheinen ließ, konnte er sich noch der gefährlichen Waffen der Satire bedienen, um am Beispiel Swedenborgs die Gefahr gewisser ´gefährlicher Krankheiten des Kopfes` zu verdeutlichen. Auch Schopenhauer stand zur Zeit seines `Willens in der Natur` erst vor den Anfängen einer wissenschaftlichen Erforschung der (seit Kiesewetter) unter dem Namen Okkultismus laufenden, heute von der Parapsychologie untersuchten Erscheinungen.

Eineinhalb Jahrzehnte später aber hielt er [ Schopenhauer ] die Zeit für eine umfassende Deutung des Gesamtgebiets für gekommen. Sein ´Versuch über das Geistersehn  und was damit zusammenhängt`, der in die ´Parerga` eingegangen ist, bedeutet nicht nur die erste, noch heute gültige Sichtung, Ordnung und kritische Verarbeitung des gesamten zu seiner Zeit erschlossenen Tatsachenbestandes, er gibt auch eine metaphysische Erklärung, die für die Zukunft merkwürdig richtungweisend war.

Sie [Schopenhauers Darstellung zur Parapsychologie] redet nur von den psychischen Erscheinungen, nicht auch von den physischen, und damit nimmt sie das wichtigste Ergebnis der neueren parapsychologischen Forschung vorweg: denn noch heute gelten die psychischen Phänomene (Telepathie, Gedankenerfassung, Hellsehen und Prophetie) als gesichert, die physischen Phänomene (Telekinesen, Materialisationen, Apportphänomene, objektiver Spuk) nach wie vor als strittig. Schopenhauer selbst hat sein Zurückhaltung in dieser Hinsicht bis zu seinem Tode bewahrt. [...]

Schopenhauers Abhandlung geht ihren Weg schrittweise und vorsichtig, gleichsam brückenschlagend von vertrauten Erscheinungen des seelischen Lebens zu den unbekannten. Sie beginnt bei den Tatsachen des Traumes, sie spricht von Wahrträumen (Schlafwachen), vor allem von den höchsten seiner Formen, der echten Fernvision im Traum, dem Hellsehen, sie spricht weiter vom Somnambulismus, dem Hellsehen in die Zukunft (der Prophetie) und dem Hellsehen in die Vergangenheit, das man heute mit einem wenig glücklich gewählten Wort als Psychometrie bezeichnet, und damit kommt sie schließlich zu den umstrittenen Phänomenen eines ortsgebundenen Spuks, zu Halluzinationen und Visionen.

Alle diese Erscheinungen sind nicht an die Formen der Erkenntnis, an Raum, Zeit und Kausalität gebunden, sie scheinen uns unmittelbar mit dem ´inneren Wesen der Welt` in Verbindung zu bringen. Eine solche Verbindung ist nicht nachzu- weisen, sie ist, da sie nicht räumlich sein soll, ´physisch nicht einmal denkbar`. Sie muß metaphysisch verstanden werden, unabhängig von der Erscheinung und ihren Gesetzen, auf dem ´Wege durch das Ding an sich`, den Willen, der nicht an die Schranken von Raum und Zeit gebunden ist und damit eine ´unmittelbare Einwirkung er Individuen aufeinander`, lebender und toter, ermöglicht.

Das Ergebnis, das nach Voraussetzung und Schlußfolgerung heute kaum anders gefaßt werden könnte: Gesichert ist die magische Wirkung bei Lebenden, gesichert ist sie auch bei Sterbenden, die Frage ist nur, ob auch die Toten sie ausüben können. Können sie es, sie bietet die Willenslehre [Schopenhauers] dafür die metaphysische Theorie, der Schopenhauer ganz am Ende noch den Gedanken beifügt, es sei doch ´der Unterschied zwischen den ehemals gelebt Habenden und jetzt Lebenden kein absoluter`, da in beiden, ´der eine und selbe Wille zum Leben` erscheine. Vielleicht könne daher auch ´ein Lebender, zurückgreifend Reminiszenzen [Erinnerungen] zutage fördern, welche sich als Mitteilung eines Verstorbenen darstellen`. 

Man denkt an Platons Begriff der ´Erinnerung` - Erinnerung als Wiederaufwecken des verlorenen Wissens aus einem früheren Leben - oder an die indische Vorstellung von der Seelenwanderung: Durch Tausende von Geburten hindurch hat die Seele ihren Weg zurückgelegt und vieles Vergangene und auch die Dinge des Himmels und die Dinge zwischen Himmel und Erde kennengelernt. Sollte sie nicht imstande sein, all ihr früheres Wissen einmal zu sammeln und es zuzeiten aufleuchten zu lassen?

Aber der Gedanke Schopenhauers geht weiter. Er trifft nicht nur die Einheit eines persönlichen Willenswesens auf dem Wege von Geburt zu Geburt, er geht auf überpersönliche Zusammenhänge, auf ein Mit- und Nach- und Ineinander unzähliger verschiedener einander durchkreuzender Schicksalsgänge in der Gesamtheit der Geburten und Tode. [...]  

Es ist ein kühner Gedanke. Aber die Wissenschaft unserer Tage hat ihn mit ihren Mitteln nachgebildet: William James mit seiner Lehre vom Weltbewußtsein, einem metaphysischen Stapelort gleichsam, nach Art der Akashachronik der Buddhisten (3), in dem alles je von einer persönlich lebenden Seele Gewußte aufbewahrt werden soll; C. G. Jung mit seiner Theorie vom kollektiven Unbewußten [...] Mit solchen Annahmen findet die Wissenschaft der Parapsychologie nach manchen Irrwegen zu Schopenhauers Willenslehre zurück.”(4)

Hans Bender , Psychologe und Gründer des Instituts für Grenzgebiete der Psychologie und Psychohygiene in Freiburg i. Br., hielt  auf Einladung der Schopenhauer-Gesellschaft einen Vortrag über Telepathie und Hellsehen als wissenschaftliche Grenzfrage. In seinem Vortrag, der im 48. Schopenhauer- Jahrbuch veröffentlicht wurde, konnte Bender, wie er gleich am Anfang betonte, unmittelbar an Arthur Schopenhauers Werk anknüpfen - und zwar “unmittelbar, ohne Umwege und Künstlichkeit, da einige wenig bekannte und allzulange geradezu geflissentlich verschwiegene Abhandlungen Schopenhauers in unübertroffener Klarheit die Probleme zur Diskussion stellen, die uns heute (1967) in der parapsychologischen Forschung bewegen”.(5)

In seinen Ausführungen zur Parapsychologie wies Bender auf die Arbeiten  des Philosophen und Biologen Hans Driesch hin. Dieser schrieb ein 1952 in dritter Auflage erschienenes Buch zur Parapsychologie. Außerdem veröffentlichte Driesch zu diesem Thema im 23. Schopenhauer-Jahrbuch einen Beitrag über Schopenhauers Stellung zur Parapsychologie. Dort würdigte er die Bedeutung Schopenhauers für diese damals (1936) noch junge Wissenschaft. Schopenhauer hätte das, was später Parapsychologie genannt wurde, entsprechend dem Wissensstand seiner Zeit nicht nur “wirklich gründlich gekannt”, sondern es “auch wahrhaft kritisch verarbeitet und eben so scharf- wie tiefsinnig metaphysisch zu deuten versucht”. Deshalb würde, wie Hans Driesch am Schluss seines Artikels hervorhob und von Hans Bender zustimmend zitiert wurde, Arthur Schopenhauer in der Geschichte der Parapsychologie “stets einen Ehrenplatz einnehmen”.

Weiteres

> Arthur Schopenhauer : Magie - praktische Metaphysik

               > Magie und Schopenhauers Philosophie

Anmerkungen

(1) Wörterbuch der philosophischen Begriffe,
hrsg. von Johannes Hoffmeister, 2. Auflage,
Hamburg 1955,  S. 452 f. (Stichwort: Parapsychologie).

(2) Philosophisches Wörterbuch, begr. von Heinrich Schmidt,
neu bearb. von Georgi Schischkoff, 21. Auflage,
Stuttgart 1982, S. 513 f. Stichwort: Parapsychologie).

(3)  Akasha, Sanskrit: Akasa, wird im Buddhismus als Raum verstanden. Im obigen Zusammenhang ist wahrscheinlich der Sanskrit-Begriff Alaya-Vijnana, d. h. wörtlich Speicherbewußtsein, zutreffender. Dieser Begriff ist im > Yogacara-Buddhismus, einer buddhistischen Lehre, die der Philosophie Schopenhauers besonders nahe kommt, von zentraler Bedeutung. Das Speicherbewußtsein enthält laut dieser Lehre die Erfahrungen der individuellen Leben und die Keime zu jedem geistigen Phänomen. (Genaueres s. Damien Keown, Lexikon des Buddhismus, übers. und bearb. von Karl-Heinz Golzio, Düsseldorf o. J., S. 8 f. sowie Lexikon der östlichen Weisheitslehren, Bern, München, Wien 1986, S. 8 und 10.)

(4) Arthur Hübscher, Denker gegen den Strom. Schopenhauer : gestern - heute - morgen, 2. Auflage, Bonn 1982, S. 61 ff.

(5) Hierzu und zum Folgenden s. Hans Bender, Telepathie und Hellsehen als wissenschaftliche Grenzfrage,  in: 48. Schopenhauer-Jahrbuch 1967, S. 36 ff.          
            

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