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Arthur Schopenhauer : Metaphysik - jenseits der Physik

Die Metaphysik und ihr Verhältnis zu Physik und Ethik

 in Schopenhauers Philosophie

Welche Metaphysik hinge so genau mit der Moral zusammen wie meine? Ist doch das Leben jedes edlen Menschen nichts anderes als meine Metaphysik in Taten ausgedrückt!
Arthur Schopenhauer (HNH III 504)

Obige Worte schrieb Arthur Schopenhauer in eines seiner Manuskriptbücher. Sie zeigen die überaus enge Verbindung  seiner Metaphysik mit seiner Ethik, die im Kern eine zutiefst metaphysisch begründete Mitleidsethik ist. Schon daraus wird deutlich, dass für Schopenhauer die Metaphysik keineswegs nur theoretisch-philosophische, sondern sehr konkrete praktische Bedeutung hatte.

Darüber hinaus steht die Metaphysik in sehr engem Zusammenhang mit dem zentralen Teil von Schopenhauers Philosophie, nämlich mit seiner Lehre vom metaphysischen Willen, welcher für Schopenhauer das Kantsche Ding an sich war und der sich in allen Erscheinungen dieser Welt manifestiert. Dementsprechend deutlich unterschied Schopenhauer zwischen Physik und Metaphysik. Bei der Physik geht es, wie bei allen Naturwissenschaften, um die Welt der Erscheinungen, bei der Metaphysik jedoch um das, was hinter allen Erscheinungen ist, nämlich  das Ding sich, der metaphysische Wille.

Die Metaphysik überschreitet die Grenzen, welche die Physik - trotz aller wissenschaftlichen Fortschritte - nicht überwinden kann. So muss laut Schopenhauer die Physik mehr oder weniger an der Oberfläche bleiben, wogegen die Metaphysik das Innerste erreicht. Im “Innersten” des Menschen ist jedoch die Wurzel aller Ethik.

Zum Verhältnis von Ethik und Physik stellte Albert Einstein die Frage, ob aus der Physik ethische Sätze für unser Handeln zu gewinnen seien.(1) Einstein verneinte das, denn er glaubte nicht, dass die Wissenschaft Moral lehren könne. Einstein: Die Erkenntnis der Wahrheit ist herrlich, aber als Führerin ist sie so ohnmächtig, daß sie nicht einmal die Berechtigung und den Wert unseres Strebens nach Wahrheit zu begründen vermag ... (Für den Forscher gebe) es nur ein Sein, ... kein Gut und Böse .... Mit dieser Feststellung befand sich Einstein in grundsätzlicher Übereinstimmung mit Schopenhauer, seinem, wie es in einer Biografie heißt, Philosophen-Freund. (2)

Die Ethik ist ein bedeutsames Beispiel dafür, wie unterschiedlich Physik und Metaphysik  in ihren Aussagen und Möglichkeiten sind. Hierbei ist es bezeichnend, dass Arthur Schopenhauer  seine Preisschrift über die Grundlage der Moral mit einem Abschnitt zur Metaphysik (§ 22) beendete. Bereits in der Einleitung zu dieser Preisschrift brachte Schopenhauer ein lateinisches Zitat des Philosophen Christian Wolf, dessen deutsche Übersetzung lautet: Die Finsternis in der praktischen Philosophie wird nur vertrieben, wenn das Licht der Metaphysik sie erhellt. (3) Im Hinblick auf die Ethik fügte Schopenhauer dem noch das Kant-Zitat hinzu: Die Metaphysik muss vorangehen, und ohne sie kann es überall keine Moralphilosophie geben. Sich somit auf Kant berufend, meinte Schopenhauer, dass in der Philosophie das ethische Fundament seine Stütze haben müsse an irgendeiner Metaphysik, d. h. an der gegebenen  Erklärung der Welt und des Daseins überhaupt; in dem der letzte und wahre Aufschluss über das innere Wesen des Ganzen der Dinge notwendig eng zusammenhängen muss mit dem über die ethische Bedeutung menschlichen Handelns.

 Selbst mehr als 150 Jahre nach Schopenhauer kann die Physik bestenfalls nur Teilzusammen- hänge befriedigend erklären, aber nicht letzten Aufschluss über das innere Wesen des Ganzen geben. Das gehört in den Bereich der Metaphysik. Daran hat sich bis heute trotz aller Fortschritte, welche die Physik bei ihrer Suche nach einer Weltformel machen konnte, grundsätzlich nichts geändert. Nach wie vor gilt das Schopenhauer - Wort:

Ja, wenn selbst einer alle Planeten sämtlicher Fixsterne durchwanderte; so hätte er damit noch keinen Schritt in der Metaphysik getan. Vielmehr werden die größten Fortschritte in der Physik das Bedürfnis einer Metaphysik immer fühlbarer machen. (W II 197) 

Zitathinweise
(aus Wagners  > Schopenhauer - Register , Stichwort Metaphysik )

  • Metaphysik ist jede angebliche Erkenntnis, welche über die Möglichkeit der Erfahrung, also über die Natur hinausgeht, um Aufschluss zu erteilen über das, was hinter der Natur steckt.
    >
    W II 180, 203; N 115; P II 19, 360; P I 222.

    Den Zielpunkt der Metaphysik macht das aus, was Kant die Ordnung der Dinge an sich nennt, welche der physischen Ordnung der Dinge zum Grunde liegt.
    >
    W I 527; W II 196, 194; P II 304.
     
  • Wie kann Metaphysik über die Erfahrung hinausführen?
    >
    W II 202 f.

    Die Brücke auf welcher dies möglich wird, ist die Zerlegung der Erfahrung in Erscheinung und Ding an sich.
    >
    W II 203 f.

    Das Metaphysische ist das in die Erscheinung bloß Gekleidete.
    >
    W II 204.

    Die Metaphysik muss empirische Erkenntnisquellen haben.
    >
    W II 200.

    Diese sind die äußere und innere Erfahrung; letztere muss den Schlüssel zum Verständnis des andern geben.
    >
    W I 506 f.; W II 201, 204, 327, 402; N 4 f., 91; P II  19. 
     
  • Die Lösung des Rätsels der Welt muss aus dem Verständnis der Welt selbst hervorgehen und darf nicht, wie die Dogmatiker und Kant glaubten, in etwas von der Welt gänzlich Verschiede- nem gesucht werden.
    >
    W I 505 ff.; W II 202.

    Die Metaphysik ist nicht identisch mit spekulativer Theologie.
    >
    W II 387; P I 155, 200.

    Die Metaphysik ist die letzte Erklärung der Urphänomene als solcher und, wenn in ihrer Gesamtheit, der Welt.
    >
    E 261, 109, 209.
     
  • Die Quelle der metaphysischen Erkenntnis kann nicht, wie Kant und andere lehren, in bloßen Begriffen liegen; die Metaphysik ist kein System von Folgerungen aus Sätzen a priori (also solchen, die allein dem Verstand bzw. der Vernunft entstammen).
    >
    W II 199, 204, 202.
     
  • Das Problem der Metaphysik ist das schwerste aller Probleme und wird von vielen Denkern für schlechthin unauflösbar gehalten.
    >
    E 262, 92
     
  • Aus der Verwunderung über sein eigenes Dasein und dem Bewusstsein des Todes entsteht im Menschen das Bedürfnis einer Metaphysik.
    > W
    II 176, 190, 529; P II 368.

    Der Mensch wird nur in helleren Augenblicken die metaphysischen Probleme gewahr; der gewöhnliche erschrickt beinahe darüber: aber es gibt sich bald; in philosophisch veranlagten Köpfen steigert sich alles zur philosophischen Verwunderung.
    >
    W II 189, 180; P II 103.
     
  • Der Mensch ist da, ohne zu wissen, woher, wohin und wozu.
    >
    W II 3; P II 58, 423.

    Es scheint, dass die ersten Menschengeschlechter eine tiefere Einsicht in das Wesen der Natur hatten als die späteren.
    >
    W II 178.
     
  • Es gibt zwei Arten der Metaphysik : Philosophie und Religion (Überzeugungs- und Glaubenslehre). Die eine ist für die wenigen Denkenden, die andere für das Volk. Zwischen reinem Offenbarungsglauben und reiner Metaphysik gibt es noch eine Reihe von Schulmetaphysiken, den verschiedenen Bildungsgraden der Menschen entsprechend.
    >
    W II 180 ff.; P II 363 ff., 348, 357.
     
  • Religionen können als Volksmetaphysik bezeichnet werden.
    >
    W II 181; E 202; P I 152, 305;
       
    P II 348, 362, 367 f., 388, 535.
     
  • Obwohl die Metaphysik ihr Ziel noch nicht erreicht hat, so hat sie doch den unschätzbaren Dienst geleistet, den unendlichen Ansprüchen der Religion Grenzen zu setzen und dem Materialismus entgegenzuarbeiten.
    >
    W II 208.
     
  • Der erste Schritt in der Metaphysik ist, dass man sich den Unterschied zwischen Physik und Metaphysik zum deutlichen Bewusstsein bringt: er beruht im allgemeinen auf der Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich.
    >
    W II 192; P I 284; N 110.
     
  • Eine bloß physische Erklärung der Welt ist ungenügend, weil sie nur die Oberfläche behandelt und nicht ins Innere dringt.
    >
    P II 97, 115.
     
  • Eine materialistische Erklärung der Welt ist immer nur eine relative, eigentlich das Werk einer Physik, die sich bei jedem Schritte nach einer Metaphysik sehnt.
    >
    W II 17, 193f.
     
  • Überall wo die Erklärung des Physischen zu Ende läuft, stößt sie auf ein Metaphysisches, welches nur noch als Wille erkannt wird.
    > N 28, 35, 83, 97 Anm.; W II 339, 379, 409;
      
    E 260 f.; P II 121, 150.

Anmerkungen

(1) Hierzu und den folgenden Ausführungen s. Albert Einstein,
dargestellt von Johannes Wickert, Reinbek bei Hamburg 2005,
 S. 145 f.    

(2) Ebd., S. 154. Im übrigen sei erwähnt, dass Wolfgang Pauli , der bereits als 20-Jähriger durch seine umfassendeDarstellung von Einsteins Relativitätstheorie berühmt wurde und 1945 den
Nobelpreis für Physik erhielt, Schopenhauer als meinen Philosophen bezeichnete. Laut unten genannter Quelle war Schopenhauer    dessen Lieblingsautor. Pauli habe Schopenhauers Philosophie  intensiv studiert und immer wieder  durchdacht, ... weil ihm dessen Schriften manches aus der modernen Physik vorwegzunehmen schienen.
( Ernst Peter Fischer, Brücken zum Kosmos. Wolfgang Pauli - Denkstoffe und Nachtträume zwischen Kernphysik und
Weltharmonie, o. Ort und Jahr,  S. 157 und 171.)

(3) Hierzu und den folgenden Zitaten:
Arthur Schopenhauer , E 108 f.

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