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Arthur Schopenhauer : Leid und Erlösung

Nicht nur in der Lehre des Buddha, auch in der Philosophie des, wie er sich selbst nannte, “Buddhaisten” Arthur Schopenhauer ist das Thema Leid und Erlösung von zentraler Bedeutung (1):

Eindrucksvoll wie kaum ein anderer weltbekannter Philosoph beschrieb Arthur Schopenhauer das Leben wie es in Wirklichkeit ist, nämlich voller Leid  für Mensch und Tier. Alles Leben, so erklärte Schopenhauer, ist wesentlich Leiden. (2) Diese Erkenntnis wurde zum Ausgangspunkt seiner Philosophie.

Bereits “in meinem 17ten Jahre”, so schrieb Schopenhauer, in sein Manuskriptbuch, “ohne alle gelehrte Schulbildung, wurde ich vom Jammer des Lebens so ergriffen, wie Buddha in seiner Jugend, als er Alter, Schmerz und Tod erblickte. Die Wahrheit, welche laut und deutlich aus der Welt sprach, überwandt bald die auch mir eingeprägten Jüdischen Dogmen, und mein Resultat war, daß diese Welt kein Werk eines allgütigen Wesens seyn könnte, wohl aber das eines Teufels, der Geschöpfe ins Daseyn gerufen, um am Anblick der Quaal  sich zu weiden: darauf deuteten die Data, und der Glaube, daß es so sei, gewann die Oberhand.”(3)

Diese Überzeugung, welche in Schopenhauer die Oberhand gewann, prägte dann seine Philosophie, zu der Dieter Birnbacher in seinem Buch Schopenhauer durchaus zutreffend meinte:

“Kein anderer Philosoph hat mit vergleichbarer Radikalität den optimistischen Grundzug der großen mechanistischen Systeme des Westens durchschaut und als realitätsfremd kritisiert. Vorstellungen wie die, dass ´hinter` der Erfahrungsswelt eine Welt vollkommener Ideen, ein gütiger Gott oder die reine Vernunft oder dass in der Geschichte ein Heils- oder Fortschrittsprinzip walte, werden von Schopenhauer schlicht als Wunschdenken abgetan und durch das ernüchternde Bild des Kreislaufs eines nicht heilbaren Unheils ersetzt. Kein anderer Philosoph vor ihm hat sich so gründlich darüber verwundert, dass die Philosophen in der Mehrzahl [...] ein gutes statt ein böses welterschaffenes Prinzip postulieren und die Transzendenz, zumindest in ihren höchsten Regionen, mit Idealgestalten bevölkern und gar nicht auf den Gedanken kommen, dass hinter allem möglicherweise ein dämonisches und teuflisches statt ein göttliches Prinzip steckt.

Für Schopenhauer ist offenkundig, dass die Erfahrung aller Zeiten und Völker und vor allem die Erfahrung der vor Gräueltaten überbordenden Menschheitsgeschichte auf ein solches teuflisch-bösartiges Prinzip hindeuten. Er nennt es ´Wille`.”(4)

Jedoch dieser unheilvolle Wille kann - und das ist eine zentrale Aussage in Schopenhauers Philosophie (!) - sich selbst verneinen. Es sei hierzu vor allem auf die zutiefst spirituellen und sprachlich überaus eindrucksvollen Ausführungen Schopenhauers über die Bejahung und Verneinung des Willens gegen Ende des ersten Bandes seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung verwiesen.

Sehr aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Briefe Schopenhauers an seinen Freund und - wie er meinte - “besten Kenner” seiner Philosophie, Johann August Becker. Auf dessen scharfsinnigen Fragen hin, schloss Schopenhauer nicht die Möglichkeit aus, dass, neben der Verneinung des Willens als “Gnadenwirkung”, die Welt “ein mit Nothwendigkeit sich vollziehender Läuterungsproceß des Willens” sein könnte.(5) Immerhin hielt Schopenhauer seine brieflichen Ausführungen an Becker für so bedeutsam, dass er die betreffenden Briefe für seine engsten Anhänger kopieren liess. Das zeigt, welche Bedeutung Schopenhauer diesen Briefen im Rahmen seiner Philosophie und somit auch für das hier behandelte Thema zuerkannte.

Nicht minder bedeutsam sind die Gedanken Schopenhauers, die er gegen Ende seines Lebens in sein Manuskriptbuch Senilia eintrug. Dort äußerte er sich über die “Menschenwelt”, in der “stets von Neuem  uns überraschend, Erscheinungen der Redlichkeit, der Güte, ja des Edelmuths, und eben so auch des großen Verstandes, des denkenden Geistes, ja, des Genies” auftreten. “Nie gehn diese ganz aus: Sie schimmern uns, wie einzelne glänzende Punkte aus der großen dunkeln Maße entgegen. Wir müßen sie als ein Unterpfand nehmen, daß ein gutes und erlösendes Princip in diesem Sansara [buddhistischer Begriff für diese Welt] steckt, welches zum Durchbruch kommen und das Ganze erfüllen und befreien kann”.(6)

Ein gutes und erlösendes Prinzip in dieser Welt - unendlich viel Hoffnung liegt in diesen Worten Schopenhauers!  Seine Philosophie endet jedenfalls nicht im bloßen Pessimismus, sondern in der Erlösung vom Leid dieser Welt und mit dem Blick auf das, was der “Buddhaist” Arthur Schopenhauer Nirwana nannte.(7)


Anmerkungen

(1) S. zur Lehre des Buddha > Die Vier Edlen Wahrheiten.
(2) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden,
      Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), Band II:
     Die Welt als Wille und Vorstellung  I, 366.
(3) Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß,
      in fünf Bänden, hrsg. von Arthur Hübscher,
      München 1985, Band 4, I, (Cholerabuch), S. 96.
(4) Dieter Birnbacher , Schopenhauer, Stuttgart 2009, S. 26 f.
(5) Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe,
      hrsg. von Arthur Hübscher, 2. Aufl., Bonn 1987, S. 213 ff.
(6) Arthur Schopenhauer , Senilia (1858), Gedanken im Alter,
      hrsg. von Franco Volpi und Ernst Ziegler,
       München 2010, S. 202. 
(7) Arthur Schopenhauer , Werke, a. a. O., S. 508.

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