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Arthur Schopenhauer

und die Philosophie des

Hinduismus  

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Hinduismus : Symbol OM

Der Hinduismus, der sich im Lauf vieler Jahrhunderte aus dem Brahmanismus entwickelte und viele religiöse und philosophische Strömungen in sich aufgenommen hat, ist trotz seiner Vielfalt ein gemeinsamer Religionsverband, welcher in Indien Sanatana-Dharma, die Ewige Religion, genannt wird: “Die Hindus bezeichnen ihre Religion mit diesem Namen, weil sie auf keinen Religionsgründer zurückgeht; vielmehr wurde die Wahrheit den Rishis offenbart. Auf diesen Offenbarungen beruhen alle heiligen Schriften (Shruti), zu denen vor allem die Upanishaden gehören.”(1)

Die Upanishaden sind nicht nur für die Philosophie des Hinduismus höchst bedeutsam, sondern auch  für die Schopenhauers, denn, wie Arthur Schopenhauer erklärte,  glaube er nicht, dass seine Lehre ohne die Upanishaden hätte entstehen können.(2) Das gilt vor allem im Hinblick auf die monistische Auslegung der Upanishaden durch den wohl wichtigsten Philosophen und Erneuerer des Hinduismus, Shankara, welcher  zum Hauptvertreter des Advaita-Vedanta wurde.

Im Hinduismus sind die Begriffe Brahman und Atman von besonderer Bedeutung. Sie werden oft im Sinne von Weltseele und Individualseele übersetzt. Schopenhauer vermutete, dass Brahman dem zentralen Begriff seiner Philosophie, nämlich Wille, nahekommt, vielleicht sogar mit ihm übereinstimmt, wobei aufschlussreich ist, dass er Wille und Weltseele gleichsetzte. (3)

Schopenhauers Vermutung ist durchaus berechtigt. Jedenfalls ergibt sich das aus der Darstellung des Indologen Heinrich Zimmer zur Philosophie und Religion Indiens:

Das Brahman, so erklärte Zimmer, sei “das, wodurch wir leben und handeln, die fundamentale Antriebskraft der Natur ... Sie treibt unsere bewußte Persönlichkeit durch Vorahnungen, Einfälle und plötzliche Begierden, aber ihre Quelle ist in der Tiefe verborgen, außerhalb des Bereiches der Sinneserfahrungen und der Denkvorgänge. Das Brahman transzendiert sie, in diesem Sinne ist es tranzendental, ist es das, was die moderne Psychologie unbewußt nennt. Das Brahman ist recht eigentlich dasjenige, was jenseits der Sphäre und außerhalb der Reichweite des intellektuellen Bewußtseins liegt ...”(4)

Auch durch sprachlichgeschichtliche Deutung des Sanskritwortes Brahman kam Zimmer zu dem Ergebnis, dass “Brahman” im vedischen Wortschatz genau dem entspricht, was der Hinduismus in späteren Jahrhunderten Shakti nennt: Kraft, Energie, Stärke, Macht, Potenz.”(5)

In einem Beitrag, der unter der Überschrift Schopenhauer und Indien im 25. Jahrbuch (1938) der Schopenhauer-Gesellschaft erschien, stellte Zimmer fest: “Was Schopenhauer den Willen nannte, heißt in Indien Shakti, d. i. Kraft. Shakti ist das letzte Wort indischer Weltdeutung im späteren Hinduismus ...”(6)

Wenn, wie die obigen Zitate aussagen, Brahman = Shakti und Shakti = Wille im Sinne Arthur Schopenhauers ist, dann  folgt hieraus, dass der (metaphysische) Wille in Schopenhauers Philosophie dem Brahman der altindischen Upanishaden und somit auch des späteren Hinduismus entspricht.(7) Schopenhauer konnte sich daher in seiner Willensmetaphysik durch den spirituellen Kern der Philosophie des Hinduismus bestätigt finden.

“Das Brahman”, so hob Heinrich Zimmer hervor, sei “die kosmische Kraft im höchsten Sinne des Wortes - ist die Essenz all dessen, was wir sind und wissen. Alle Dinge sind hervorgegangen aus seiner allgegenwärtigen, alles überschreitenden Allmacht ... Wie man zum Brahman gelangt und mit ihm in Berührung bleibt; wie man dem Brahman gleich wird ... . das ist die suchende Frage,  die den Menschengeist in Indien zu allen Zeiten begeistert und vergöttlicht hat.”(8) Eine Antwort auf diese Frage findet sich in den Upanishaden, wo es heißt:

“Das Selbst [das Brahman] wird nicht erreicht durch Schulung, Klugheit oder vieles Lernen. Es wird nur von demjenigen erreicht, den ES [das Brahman] erwählt. Einem solchen enthüllt das Selbst [das Brahman] seine wahre Natur.”(9)

 In der Anmerkung zu diesem von Heinrich Zimmer übersetzten Text aus den Upanishaden  wird auf die Gnadenlehre hingewiesen.(10) Auch für Arthur Schopenhauer war es “Gnade”, die   zu einer befreienden Willensumkehr führt, “welche alle Motive unwirksam machend, als allgemeines Quietiv [Beruhigungsmittel] alles Wollen beschwichtigt, den tiefsten Frieden giebt  und das Thor der Freiheit öffnet”. (11)

Selbstverständlich gibt es nicht nur Übereinstimmung, sondern auch Unterschiede zwischen der Philosophie Schopenhauers und der des Hinduismus. Helmuth von Glasenapp hat in seinem Buch Das Indienbild deutscher Denker auf sie hingewiesen, wobei er aber am Ende als “kritisches Ergebnis”  die Verdienste Schopenhauers mit Recht deutlich hervorhob:

Und doch hat Schopenhauer wie kein anderer sich die größten Verdienste um die Verbreitung der Kenntnis indischer Weisheit im Abendlande erworben. Niemand hat mit so edler Begeisterung wie er immer wieder auf die geistigen Schätze des Gangeslandes hingewiesen, niemand hat ihnen durch seine Schriften so viele Freunde im Westen erworben wie er. (12)

Schopenhauer hatte, soweit es ihm zu jener Zeit möglich war, nicht nur die Philosophie des Hinduismus und Buddhismus studiert, sondern, wie von Glasenapp hinzufügte, “mit dem Auge des Genies ... die Grundgedanken erkannt und vertreten, die in den indischen Systemen in immer neuen Abwandlungen erscheinen”.(13) Das ist eine Leistung, die - gemessen am Kenntnisstand der damaligen Indologie - nicht hoch genug gewürdigt werden kann und ohne Übertreibung als genial zu bezeichnen ist.

Es ist daher verständlich, wenn inzwischen auch in Indien Schopenhauer “wiederentdeckt” wurde. Re-discovery of India lautet der Titel eines Beitrages im Zusammenhang mit der Gründung einer Abteilung der Schopenhauer-Gesellschaft in Indien.(14) So ist Schopenhauer nunmehr in Indien angekommen, also dem Land, das der geniale Schöpfer der metaphysischen Willensphilosophie, Arthur Schopenhauer, als “Vaterland der Metaphysik” bezeichnet hatte (15): 

Ich bin, meinte Schopenhauer, “meinen eigentlichen Zeitgenossen so fremd geblieben, wie der Mann im Monde” (16) und dementsprechend fühlte er sich zeitlebens als Fremder und - in seinem Verhältnis zur akademischen Philosophie als “Kaspar Hauser der Philosophieprofessoren”(17). Die Philosophie Indiens und damit die des Hinduismus hingegen konnte ihm eine geistige Heimat, eine Bestätigung bieten, ja mehr noch: Die Upanishaden wurden für Arthur Schopenhauer zum Trost seines  Lebens und von ihnen erwartete er auch, dass sie zum Trost seines Sterbens werden. (18)

Weiteres zur Philosopie des Hinduismus :
Gleichnisse zum Tat-twam-asi im Chandogya-Upanishad > hier.

Anmerkungen

(1) Lexikon der östlichen Weisheitslehren , Bern-München-Wien 1986, Stichworte: Hinduismus und Sanatana-Dharma, S. 135 und 319.

(2) S. dazu >  hier .

(3) So trug Schopenhauer in sein Manuskriptbuch Quartant (1825) ein: Weltseele ist der Wille. ( Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß in fünf Bänden, herausgegeben von Arthur Hübscher, München 1985, Band 3, S. 143.)

Weitere Belege, die darauf hindeuten, dass Schopenhauer die Identität von Wille und Brahman vermutete, sind z. B. seine Einträge in den Manuskriptbüchern:

 Cogita (1833): “Ich habe das Ding an sich, das innre Wesen der Welt, benannt nach dem aus ihr, was uns am genausten bekannt ist: Wille. Freilich ist dies ein subjektiv, nämlich aus Rücksicht auf das Subjekt des Erkennens gewählter Ausdruck: aber diese Rücksicht ist, da wir Erkenntniß mittheilen, wesentlich. Also ist es unendlich besser, als hätt` ich es genannt ewa Brahm, oder Brahma, oder Weltseele oder was sonst.” ( Arthur Schopenhauer ,  Nachlaß, a. a. O.,  Band 4, I,  S. 143.)

Senilia (1855): Dort notierte sich Schopenhauer, was der Indologe Max Müller in seiner Einleitung zum Rig Veda (London 1854) schrieb: Brahma means originally force, will, wish [and] the propulsive power of creation. ( Arthur Schopenhauer , Nachlaß , a. a. O., Band 4, II, S. 18.)

Aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang auch der Eintrag Schopenhauers in Quartant (1823): Weltseele ist der Wille.
( Arthur Schopenhauer , Nachlaß, a. a. O., Band 3, S. 195.)

(4) Heinrich Zimmer, Philosophie und Religion Indiens,
Zürich 1961, S. 82 f.

(5) Heinrich Zimmer, a. a. O., S. 81.

(6) Heinrich Zimmer, Schopenhauer und Indien, in:
25. Jahrbuch der Schopenhauer-Gesellschaft (1938), S. 270. 

(7) Wie das Brahman äußert sich auch der Wille als Kraft, nämlich als Lebenskraft, ja sie ist mit dem Willen “identisch”, wie Schopenhauer an mehreren Stellen seiner Schriften hervorhob (> Lebenskraft).

(8) Heinrich Zimmer, Philosophie ..., a. a. O., S. 83 f.

(9) Mundaka Upanishad 3.2.3
(Übers. Heinrich Zimmer, Philosophie ..., a. a. O., S. 332).

(10) Ebd.

(11) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden,
Zürich 1977, (Zürcher Ausgabe),
Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 484.

(12) Helmuth von Glasenapp, Das Indienbild deutscher Denker, Stuttgart 1969, S. 99.

(13) Helmuth von Glasenapp, a. a. O., S. 99f.

(14) Arati Barua, Re-discovery of Schopenhauer in India - Founding of the work and membership of Indian branch of Schopenhauer Society, in: Das Tier, das du jetzt tötest, bist du selbst ..., Arthur Schopenhauer und Indien, Begleitbuch zur Ausstellung anlässlich der Buchmesse 2006, zusammengest. und hrsg. von Jochen Stollberg, Frankfurt am Main 2006, S. 119 ff.

(15) Arthur Schopenhauer , Nachlaß, a. a. O.,
Band 3: Adversia (1829), S. 639.

(16) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, a. a. O.,
Band VII: Parerga und Paralipomena I, S. 154

(17) Ebd., S. 153.

(18) Arthur Schopenhauer, Werke in zehn Bänden, a. a. O.,
Band X: Parerga und Paralipomena II, S. 437. (S. auch hier.)

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