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Arthur Schopenhauer : Giordano Bruno

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Giordano Bruno

Giordano Bruno

Alle drei monotheistischen Religionen
haben etwas Chauvinistisches.
Etwas Gewalttätiges und Vergewaltigendes.
Haben kraft ihres Auserwähltheitsdünkels
einen Absolutheitsanspruch,
der echte Toleranz von vornherein ausschliesst.
Karlheinz Deschner (1)

Wer war Giordano Bruno, der am 17. Februar 1600, wie Arthur Schopenhauer höchst bewundernd schrieb, als Held der Wahrheit den Tod auf dem Scheiterhaufen unter den Händen der Priester fand?(2)

Im Philosophischen Wörterbuch ist zum Lebenslauf Giordano Brunos kurz vermerkt: ” ... ital. Naturphilosoph, * 1548 Nola, + 17.2.1600 in Rom auf dem Scheiterhaufen. Seit 1563 Dominikaner, 1576 aus dem Kloster entflohen [!], an vielen Universitäten lehrend auf 16-jähriger Wanderschaft durch die Schweiz, Frankreich, England und Deutschland, von der Inquisition in Venedig verhaftet, acht Jahre eingekerkert und wegen Ketzerei zum Tode verurteilt.”(3)

Das, was dieser ehemalige Mönch, der zu einem der bedeutendsten Naturphilosophen wurde, lehrte, und welches dann für ihn nach entsetzlichen Folterungen zu einem furchtbaren Ende führte, fasst das Philosophische Wörterbuch so zusammen:

“In ihm [Giordano Bruno] zuerst verbinden sich die naturwissenschaftlichen Errungenschaften der Neuzeit mit epikureischen, stoischen und neuplatonischen Elementen zu einer genialen pantheistischen Weltschau, die er mit dichterischer Kraft und Begeisterung verkündet: Das All ist Gott, es ist unendlich und zahllose Sonnen mit ihren Planeten folgen in ihm ihrer Bahn.

Dieses unendliche Universum ist das einzig Seiende und Lebendige, von inneren Kräften bewegt, das seiner Substanz nach ewig und unveränderlich ist; die Einzeldinge haben am ewigen Geiste und Leben je nach Höhe ihrer Organisation teil, sind jedoch dem steten Wechsel unterworfen. Die elementaren Teile alles Existierenden, die nicht entstehen und nicht vergehen, sondern sich nur mannigfach verbinden und trennen, sind die Minima oder Monaden, die materiell und psychisch zugleich sind. Nichts in der Welt ist also leblos, alles ist beseelt.”(4)

Arthur Schopenhauer war ein Bewunderer Giordano Brunos, aus dessen Schriften er oftmals zitierte, aber dennoch mitunter nicht  ohne Kritik, wie die folgende Zitatenauswahl (mit Quellenangaben) aus Gustav Friedrich Wagners Schopenhauer-Register zeigt (5):

  • Bruno gehört weder seinem Jahrhundert, noch seinem Welttheil an: seine wahre Geistesheimath ist Indien. Er ist gleichsam eine Brahminenseele, zur Strafe in einen europäischen Laib inkarniert. Unter allen Philosophen nähert er allein sich in etwa dem Platon. Dieses zarte, geistige Wesen denke man sich unter den Händen roher Pfaffen als seiner Richter.
    > W I 500 Anm.; H 315 f.

     
  • Er [Giordano Bruno] hat nicht auf den Geist seiner Zeit eingewirkt, da dieselbe noch nicht reif dazu war.
    > H 315;
    Er wurde erst 200 Jahre nach seinem Tode berühmt.
    > P I 170.

     
  • Bruno ist gelehrter als Spinoza; jedoch geht dieser gründlicher zu Werke.
    > H 316.

     
  • Bruno fühlte sich in seinem Jahrhundert einsam.
    > W I 500 Anm.
    Ward als Ketzer verbrannt und starb den Opfertod für die Wahrheit.
    > W I 443, 500 Anm.; W II 399; N 118; E 269; P II 349, 353.
     
  • Bruno geht von der realen Welt aus.
    > W I 31; H 317.
     
  • Der paradoxe Ausspruch [Brunos], daß die Materie keine Ausdehnung habe und folglich unkörperlich sei.
    > W II 53, 349, 351.
    “Ein unendlich großer Körper ist nothwendig unbeweglich”.
    > W II 38 f.

     
  • Argumente für und gegen die Endlichkeit der Welt.
    > W I 588.
    Der sophistische Beweis, daß jenseits der Welt kein Raum sein könne (del infinito, universo e mondi).
    > W II 95.

     
  • Unterschied zwischen Kunst- und Naturprodukt.
    > N 56 Anm.

     
  • Seine Philosophie kann auf den Standpunkt der gänzlichen, den Tod nicht fürchtenden Bejahung des Willens zum Leben führen.
    > W I 335.
    Eine Ehik gibt Bruno nicht.
    > W I 335; H 317.
    Er ist durchdrungen von dem Gedanken, daß allen Erscheinungen der Welt ein Wesen zum Grunde liege.
    > H 316.
    und war ein Verfechter des Kopernikanischen Weltsystems und des Pantheismus zugleich.
    > P I 125 f.

Obwohl Schopenhauer nicht in allen Punkten mit Brunos Lehre voll über- einstimmte (6), hielt er dessen Schriften für derart wertvoll, dass er zum Beispiel anbot, Brunos “wichtiges Werk” De la causa, principio et Uno [Von der Ursache, dem Prinzip und dem Einen]   aus dem Italienischen zu übersetzen, denn “es wäre zweckmäßig dies berühmte Buch der ganzen gelehrten Welt zugänglich zu machen durch Herausgabe des Textes mit beigedruckter Lateinischer Version, die ich [Schopenhauer] sehr wohl machen könnte”.(7)

Dass Schopenhauer die genannte Schrift Brunos auswählte, war wohl kein Zufall, weil gerade sie eine Einheitsmetaphysik enthält, die nicht nur an Schopenhauers monistische Philosophie (Einheit des metaphysischen Willens), sondern auch an die Mystik des Mahayana-Buddhismus und der altindischen Upanishaden erinnert. Zu Recht stellte Schopenhauer fest: Brunos “wahre Geistesheimath waren die Ufer der heiligen Ganga”.(8) Dort hätte er “ein ruhiges und geehrtes Leben geführt, unter ähnlich Gesinnten”.(9) Jedenfalls deutlicher als am Beispiel des Schicksals von Giordano Bruno lässt sich der Unterschied zwischen den religiösen Verhältnissen im alten Indien und denen im Abendland kaum darstellen.

Auf Ähnlichkeiten zwischen den östlichen Weisheitslehren und den Aussagen des abendländischen Naturphilosophen Giordano Bruno weist auch Jochen Kirchhoff in seiner sehr lesenswerten Bruno-Biografie hin (10), wobei er sehr deutlich den fundamentalen Unterschied zwischen Brunos Philosophie und dem Christentum hervorhebt:

“Von den Grundpositionen der Naturphilosophie Brunos lassen sich keine Brücken schlagen zu christlichem Denken und Glauben. Die Vorstellung von einem unendlichen All als Abbild der göttlichen Einheit, von der unendlichen Zahl bewohnter Welten, vom Kreislauf der Seelenmonaden, vom Prinzip der kosmischen Gerechtigkeit [...] ist essentiell antichristlich, widerspricht radikal dem christlichen Gottes- und Schöpfungsbegriff”.(11)

Ja mehr noch: “Von den meisten anderen Kritikern und Gegnern des Christentums unterscheidet er [Bruno] sich darin, daß er auch die Person des Stifters der christlichen Religion nicht verschont. Brunos Abwendung von dem ihm vorgehaltenen Kruzifix auf dem Scheiterhaufen bezog sich durchaus nicht nur auf das Kreuz als christliches Symbol, sondern auch auf den Nazarener, auf Jesus von Nazareth selbst.”(12) Giordano Bruno war somit nicht nur ein Abweichler von der christlichen Lehre (Häresie), sondern seine Natur- philosophie und entschiedene Ablehnung Christi bedeutete im kirchlichen Verständnis Abfall vom Christentum, also Rückfall in das Heidentum (Apostasie), was übrigens auch für Arthur Schopenhauer und dessen Philosophie gilt.

Wie Schopenhauer sich im Vergleich mit Bruno selbst sah, mag eine kleine Begebenheit aufzeigen, über die einer seiner Anhänger, Carl Georg Bähr, berichtete: “Er [Schopenhauer] sprach davon, daß er einmal zwischen zwei Dominikanern (Franziskanern) gegangen sei, und bei sich gedacht habe, daß, wenn er zweihundert Jahre früher gelebt hätte, er wohl auch in ihrer Mitte sich befunden haben würde, selbst mit der Kutte angethan (und mit der spitzen Papiermütze auf dem Kopfe), aber auf dem Wege zum Scheiterhaufen. Er sagte, er dächte an Giordano Bruno.”(13)

So blieb es Arthur Schopenhauer durch das Glück der späteren Geburt erspart, das gleiche entsetzliche Ende wie Giordano Bruno erleiden zu müssen. Der angesehene Schweizer Theologe Walter Nigg beschrieb in seinem Werk Das Buch der Ketzer in sehr bewegenden Worten, wie Giordano Bruno endete. “Mit einer bewundernswerten Tapferkeit hat Bruno auf die Verkündigung des Todesurteils den Richtern nur die stolzen Worte erwidert:

Mit größerer Furcht verkündigt ihr vielleicht das Urteil gegen mich, als ich es entgegennehme.

 Es sind die letzten Worte, welche aus dem Mund Brunos zu vernehmen waren. Nachdem er degradiert und exkommuniziert worden war, bestieg der jahrelang Eingekerkerte ungebeugt den Scheiterhaufen am 17. Februar 1600. Kein einziger Schmerzensschrei kam über seine Lippen, und als dem Sterbenden noch ein Kruzifixus vor Augen gehalten wurde, wandte er sich nur mit einer Gebärde unsäglicher Verachtung davon ab, zum Ausdruck bringend, daß er mit einer Religion, welche ihre Gegner auf solch bestialische Weise ums Leben bringe, nichts mehr zu tun haben wolle.”(14)

Giordanos Brunos “Heldentod wurde von jeher als ein unsterbliches Martyrium betrachtet, das dieser Blutzeuge für seine philosophische Weltanschauung vollbracht hatte. Diese Tat ist denn auch als seine höchste Leistung zu bewerten, und ihr kommt eine geistige Mächtigkeit zu, der man sich nicht entziehen kann.”(15)  Auch Arthur Schopenhauer hat sich dem nicht entzogen, denn seine Werke nehmen immer wieder Bezug auf Giordano Bruno, dem “Helden der Wahrheit”.(16)

Dem Buch der Ketzer ist das Augustinus-Zitat vorangestellt: Glaubt doch nicht, daß Ketzereien durch ein paar hergelaufene kleine Seelen entstehen könnten. Nur große Menschen haben Ketzereien hervorgebracht.(17) Für beide Philosophen, Giordano Bruno und Arthur Schopenhauer, trifft das zweifellos zu.

S. auch
> Lucilio Vanini - ein Ketzer und Philosoph aus Sicht Schopenhauers.

 

Anmerkungen

(1) Karlheinz Deschner , Interview für die Zeitschrift Die Weltwoche, Zürich Nr. 14/4. April 2007, zit. aus: Karlheinz Deschner und seine große Kriminalgeschichte des Christentums. Zum Erscheinen von Band 9 im Juli 2008. Reinbek bei Hamburg 2008, S. 9.
Zum Thema Deschner - Schopenhauer s. auch > dort.

(2) Arthur Schopenhauer , W I, S. 443 (> Schopenhauer-Quellen).

(3) Philosophisches Wörterbuch , begr. v. Heinrich Schmidt,
neu bearb. v. Georgi Schischkoff, 21. Aufl., Stuttgart 1982, S. 85.

(4) Ebd.

(5) Angaben zu Wagners Schopenhauer-Register ( > dort), hier: (Stichwort: Bruno), S. 42 f.

(6) Zur Frage der Übereinstimmung Schopenhauers mit Bruno sei auf den Beitrag Arthur Hübschers Zitate aus Giordano Bruno im Schopenhauer-Jahrbuch 1967, S. 170-175 hingewiesen, der auch > online zur Verfügung steht (Stand: 26.09.2015).

(7) Arthur Schopenhauer , Gesammelte Briefe, hrsg. v. Arthur Hübscher, 2. Aufl., Bonn 1987, S. 96.

(8) Arthur Schopenhauer , W I, S. 500 (> Schopenhauer-Quellen).

(9) Ebd.

(10) Vgl. Jochen Kirchhoff , Giordano Bruno, 4. Aufl., Reinbek bei Hamburg 1993, S. 67 f. und 73.

(11) Jochen Kirchhoff , a. a. O.,  S. 120.

(12) Ebd.

(13) Arthur Schopenhauer , Gespräche, hrsg. v. Arthur Hübscher,
Stuttgart-Bad Cannstatt 1971, S. 269 f.

(14) Walter Nigg, Das Buch der Ketzer, 5. Aufl.,
Zürich und Stuttgart 1970, S. 365.

(15) Ebd.

(16) S. o. Anm. 2.

(17) Walter Nigg, a. a. O., S. 5
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