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Gefühlsethik und Schopenhauers Philosophie

Die Güte des Herzens
besteht in einem tief gefühlten, universellen Mitleid
mit Allem was Leben hat.
Arthur Schopenhauer

Bereits durch das obige Zitat aus der Preisschrift über die Grundlage der Moral (1) wird deutlich, wie allumfassend und anspruchsvoll das Thema Gefühlsethik im Sinne  der Philosophie Schopenhauers zu verstehen ist.

Zunächst sei jedoch auf das Philosophische Wörterbuch verwiesen, wonach Gefühlsethik (Stichwort: Gefühlsmoral) die “Bezeichnung für eine Moral [ist], die die Motive des sittlichen Wollens und Handelns in den Gefühlen, Neigungen, Affekten sieht, denen echte Liebe und Ergriffenheit vorausgehen.” Der Gegensatz hierzu sei, wie das Wörterbuch erklärt, Reflexionsmoral. (2) Diese “fordert vom sittlichen Willen, daß er sich durch Reflexion, durch vernünftige Einsicht in die jeweilige Situation und Überlegung der eigenen Beziehung zu den betreffenden Mitmenschen bestimmen lassen soll, während Gefühlsmoral bestimmte Gefühle (z. B. Mitleid, Liebe) als Beweggrund des sittlichen Willens bezeichnet und fordert.”

Die Ethik ist bei Arthur Schopenhauer - wie kaum bei anderen Philosophen - Mitleidsethik und somit eindeutig Gefühlsethik: Das Mitleid ist laut Schopenhauer “die wahre moralische Grundtriebfeder”.(3) Es “ist eine unleugbare Thatsache des menschlichen Bewußtseyns, ... und beruht nicht auf Begriffen, Religionen, Dogmen, Erziehung”.(4)

Folgt man konsequent dieser Definition, wäre Reflexionsethik ein unpassender Begriff,  denn Ethik beruht laut Schopenhauer nicht auf Reflexion, d. h. auf dem “prüfenden und vergleichenden Nachdenken” (5), sondern allein auf Mitleid.

Ja, mehr noch: Es stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, ob Religionen überhaupt eine Ethik haben. Wer sein Verhalten allein nach göttlichen Geboten und Verboten richtet, handelt im Sinne Schopenhauers nicht ethisch, sondern berechnend, weil er hierbei hofft, Belohnung (“Platz im Himmel”) zu erhalten und Strafe (“Hölle”) zu vermeiden. Ähnliches gilt für die “indischen” Religionen im Hinblick auf positives oder negatives “Karma” und damit auf eine gute oder schlechte Wiedergeburt. Demnach wäre Religionsethik, sofern sie überhaupt  “Ethik” ist, wohl eher der Reflexionsethik zuzuordnen. 

Wie sehr Arthur Schopenhauer Reflexion und Ethik voneinander trennte, geht auch daraus hervor, dass für ihn Vernunft und Tugend nicht unbedingt zusammenfallen:  

Vernünftiges  Handeln bedeutet nach Schopenhauers Meinung, dass der Mensch sich “ durch Gedanken und Begriffe leiten läßt, und daher stets überlegt und besonnen zu Werke geht. ... Keineswegs aber implicirt dieses Rechtschaffenheit und Menschenliebe. Vielmehr kann man höchst vernünftig, also überlegt, besonnen, konsequent, planvoll und methodisch zu Werke gehen, dabei aber doch die eigennützigsten, ungerechtesten, sogar ruchlosesten Maximen befolgen. Daher ist es  vor Kant keinem Menschen je eingefallen, das gerechte, tugendhafte und edle Handeln mit dem vernünftigen Handeln zu identifizieren. ...

Vernünftig und Lasterhaft lassen sich sehr wohl vereinen, ja, erst durch ihre Vereinigung sind große, weitgreifende Verbrechen möglich. Ebenso besteht Unvernünftig und Edelmüthig sehr wohl zusammen: z. B. wenn ich heute dem Dürftigen gebe, was ich selbst morgen noch dringender, als er, bedürfen werde; wenn ich mich hinreißen lasse, einem Nothleidenden die Summe zu schenken, auf die mein Gläubiger wartet ...”(6)

Nicht die bloße Reflexion, also das “prüfende und vergleichende Nachdenken” (4) , ist die Grundlage der Ethik, sondern es ist das Mitleid, denn - so Schopenhauer - “gränzenloses Mitleid mit allen lebenden Wesen [ d. h. Tiere eingeschlossen!] ist der festeste und sicherste Bürge für das sittliche Wohlverhalten”. (7)

Daher konnte, wie Schopenhauer meinte, “die Natur nichts Wirksameres leisten, als daß sie in das menschliche Herz jene wundersame Anlage pflanzte, vermöge welcher das Leiden des Einen vom Andern nachempfunden wird, und aus der die Stimme hervorgeht, welche, je nachdem der Anlaß ist, Diesem Schone! Jenem Hilf! stark und vernehmlich zuruft”.(8) 

So sind es nicht Verstand und Vernunft, die Arthur Schopenhauer in der Ethik am höchsten schätzte, sondern es ist das, was er in einem Wort zusammenfasste:  Herzensgüte, “denn wie Fackeln und Feuerwerk vor der Sonne bloß und unscheinbar werden, so wird Geist, ja Genie, und ebenfalls die Schönheit, überstrahlt und verdunkelt von der Güte des Herzens ... Sogar der beschränkteste Verstand, wie auch die groteske Häßlichkeit, werden, sobald die ungemeine Güte des Herzens sich in ihrer Begleitung kund gethan, gleichsam verklärt, umstrahlt von einer Schönheit höherer Art, indem jetzt aus ihnen eine Weisheit spricht, vor der jede andere verstummen muß.”(9)  

Eindrucksvoller als mit Arthur Schopenhauers Worten lässt sich Gefühlsethik wohl kaum beschreiben. So zeigen auch die obigen Schopenhauer-Zitate die “schriftstellerischen Qualitäten Schopenhauers, die es so schwierig machen über ihn zu schreiben, ohne ihn, der fast alles besser gesagt hat, im Wortlaut zu zitieren”(10)

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Weiteres zu Schopenhauers  Ethik :

1    >  2    >  3    >  4

        Ein von Arthur Schopenhauer - im Gegensatz zu fast allen anderen weltbekannten Philosophen - besonders hervorgehobener Bereich der Gefühlsethik ist die auf Mitleid gegründete Tierethik

> Tierethik und Schopenhauers Philosophie

> Arthur Schopenhauer : Kant und die Tierethik

 
Quellenangaben

(1)   Arthur Schopenhauer , E 253.

(2)   Hierzu und dem folgenden: Heinrich Schmidt,
 Philosophisches Wörterbuch, neu bearb. v. Georgi Schischkoff, 21. Aufl., Stuttgart 1982, S. 216 und 577..
Fast mit gleichem Wortlaut definiert das Wörterbuch der philosophischen Begriffe (hrsg. von Johannes Hoffmeister, 2. Aufl., Hamburg 1955, S. 245): “Gefühlsmoral, diejenige Richtung der Moral, die im Gegensatz zur Reflexionsmoral die Motive des sittlichen Handelns in den Gefühlen, Neigungen und Affekten sieht.”

(3)   Schopenhauer , E 236.

(4)   Schopenhauer , E 213.

(5)   Philosophisches Wörterbuch , a. a. O., S. 576.

(6)   Schopenhauer , E 149 f.

(7)   Schopenhauer , E 236.

(8)   Schopenhauer , E 245.

(9)   Schopenhauer , W II 261 f.

(10) Dieter Birnbacher, Schopenhauer,
        Stuttgart 2009, S. 24.

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