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Arthur Schopenhauer

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Arthur Schopenhauer

- seine Philosophie

dargestellt im Überblick und in Textauszügen

von Julius Frauenstädt

Aus: Arthur Schopenhauer . Lichtstrahlen aus seinen Werken.
 Mit einer Biographie und Charakteristik Schopenhauer´s von
 > Julius Frauenstädt , 6. Aufl., Leipzig 1888, S. XVIII-XXII
.

Grundgedanken der Schopenhauer´schen Philosophie

Das Wesen und der Kern der Welt, wovon alle Erscheinungen erfüllt sind, ist dasselbe, was in uns als Wille sich kundgiebt. Der allen Erscheinungen zu Grunde liegende Wille, an sich Einer, geht in seiner Objektivation (Sichtbarwerdung) in eine Stufenfolge von Gattungen (Ideen) auseinander. In der ganzen Natur, von der thierischen abwärts, äußert er sich noch ohne Erkenntniß, als ein blinder Drang, ein bewußtloses Suchen nnd Fliehen. Seine Aeußerungen werden hier in Bewegung gesetzt durch Ursachen (im unorganischen Gebiet), und durch Reize (im vegetativen Gebiet). Erst im Thiere zündet dieser an sich blinde, vom Erkennen unbeleuchtete und ungeleitete Wille, durch Hervorbringung des Nervensystems und Gehirns, die Erkenntniß (den Intellekt) sich als ein Licht an, welches seine Schritte beleuchtet, und nun allererst (im Gehirn, Intellekt) steht für ihn die Welt als eine objektive, d. h. vorgestellte da.

Weit entfernt also, ein Produkt der Erkenntniß zu sein, ist der Wille vielmehr das Erste, das die Erkenntniß zum Dienst seiner Bedürfnisse Hervor- bringende. Seine Aeußerungen werden nun auch, nachdem er sich einmal bis zum Erkennen gesteigert hat, durch eine neue Art von Ursachen in Bewegung gesetzt, nämlich durch Motive, d. h. durch Vorstellungen. Beim Thiere sind diese den Willen in Bewegung setzenden Vorstellungen blos anschaulicher Art, beim Menschen tritt zu den anschaulichen noch eine zweite Klasse von Vor- stellungen hinzu, die ihm seine große Ueberlegenheit über das Thier giebt, die abstrakten, begrifflichen Vorstellungen. Beim Thiere bleibt das gesammte Erkennen zeitlebens dem Dienste des Willens unterthan; das Thier erkennt nur zum Behuf der Lebenszwecke (Ernährung und Fortpflanzung).

Auch in den gewöhnlichen Menschen, dieser Fabrikwaare der Natur, erhebt sich das Erkennen nicht über dieses Maaß des zum Dienste des Willens Erforderlichen. Der Wille spielt den Herrn und der Intellekt (die Erkenntniß) den Diener, wie dieses bei der ursprünglichen Natur des Willens und der sekundären des Intellekts überhaupt nicht anders zu erwarten ist.

Erst in den höhern, edlern Geistern, im Genie, tritt ein solcher Ueber- schuß des Erkennens über das Wollen und seine Zwecke ein, daß nunmehr jenes von dem Dienste seines Herrn sich losmacht, frei wird und die Dinge rein objektiv, interesselos betrachtet. Nunmehr sind auch nicht mehr die einzelnen Dinge (Individuen) und deren Verhältnisse, die alle zuletzt auf Beziehungen zum Willen hinauslaufen, der Gegenstand der Betrachtung, sondern die allgemeinen, ewigen Typen (platonischen Ideen), und das betrachtende Subjekt verliert, während dieser Art der Betrachtung, sich selbst (seine Individualität) aus dem Bewußtsein und wird reines Subjekt des Erkennens. Es ist dies die Seligkeit der ästhetischen Beschauung, die den Menschen von der unaufhörlichen Quaal des Wollens und seiner nie gestillten Begierden befreit.

Aber diese Art der Erlösung ist nur eine momentane Losreißung vom Wollen. Der in der Natur und im Menschenleben reibende Wille läßt kein Wesen dauernd zur Ruhe kommen. Er ist wesentlich Wille zum Leben, und da das Leben unzertrennlich ist von Leiden, so wird auch der Wille, solange er sich bejaht, nicht frei vom Leiden. Selbst der Tod kann ihn nicht davon erlösen; denn der Tod zerstört nur das Individuum, diese flüchtige Erscheinung des Willens, nicht aber das in dieser Erscheinende, den Willen selbst. Dieser ist unzerstörbar, und der Selbstmord leistet daher nicht, was er verspricht. Dem Willen zum Leben ist das Leben in alle Ewigkeit gewiß, damit aber auch die Folgen seines Strebens, Sünde und Elend.

Aber der Wille, obgleich, so lange er sich bejaht, nothwendig den Folgen dieser Bejahung unterworfen, ist doch an sich frei. Er kann, nachdem er sich einmal zum Leben entschieden hat, zwar nicht anders handeln, als er handelt; aber er kann sich anders entscheiden; er kann das Leben, statt es zu wollen, nicht wollen; statt es zu bejahen, kann er es verneinen. Im Ungerechten und Bösen ist der Wille zum Leben noch so stark, daß er, vom täuschenden Schein der Individuation verblendet, sich in den fremden Individuen nicht wieder erkennt und bis zur Verneinung derselben fortgeht. Der Gerechte und Gute hingegen, sich in den Andern wiedererkennend, geht umgekehrt bis zur Selbstverneinung für die Andern fort.

Jedoch erst im Heiligen tritt jene vollständige Abwendung vom Leben, jene gänzliche Abgestorbenheit für diese Welt und jene freudige Resignation ein, welche gründlich und für immer erlöst. Die Heiligkeit wird theils durch die intuitive Erkenntniß von dem Wesen des Lebens im Ganzen als einem sündhaften und jammervollen herbeigeführt, theils durch die Erfahrung eigenen schweren Leidens. [...]

Für die alsdann eintretende ganz anderartige Ordnung der Dinge fehlt es uns freilich an positiven Begriffen; sie ist in unsern Augen Nichts. Aber auch umgekehrt ist in den Augen Derer, in welchen der Wille sich gewendet und verneint hat, diese unsere so sehr reale Welt mit allen ihren Sonnen und Milchstraßen - Nichts.

 

Anmerkung der Redaktion:

Dieses Nichts ist nach Arthur Schopenhauer jedoch nicht im absoluten, sondern nur im relativen Sinne zu verstehen! So wies er, was für das Verständnis seiner Philosophie von zentraler Bedeutung ist, darauf hin, dass “meine Lehre, wenn sie auf ihrem Gipfelpunkte angelangt, einen negativen Charakter annimmt, also mit einer Negation endet. Sie kann nämlich nur von Dem reden, was verneint, aufgegeben wird: was dafür aber gewonnen, ergriffen wird, ist sie genöthigt (am Schlusse des vierten Buches) als Nichts zu bezeichnen, und kann bloß den Trost hinzufügen, daß es nur ein relatives, kein absolutes Nichts sei. Denn, wenn etwas nichts ist von allen Dem, was wir kennen; so ist es allerdings für uns überhaupt nichts. Dennoch folgt hieraus noch nicht, daß es absolut nichts sei, daß es nämlich auch von jedem möglichen Standpunkt  aus und in jedem möglichen Sinne nichts seyn müsse; sondern nur, daß wir auf eine völlig negative Erkenntniß desselben beschränkt sind; welches sehr wohl an der Beschränkung unsers Standpunkts liegen kann.”
(Arthur Schopenhauer´s sämmtliche Werke. Hrsg. von Julius Frauenstädt. 2. Auflage, Leipzig 1919, Band 3 : Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 703)

In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass im Buddhismus das Heilsziel, das Nirwana, in ähnlichem Sinne wie beim “Buddhaisten” Arthur Schopenhauer beschrieben wird. Es ist bei aller Negation höchst positiv, nämlich die Erlösung vom Leid der Vergänglichkeit. Auch hieran wird deutlich, wie nahe sich die Erlösungslehren des Buddhismus und der Philosophie  Schopenhauers am Ende stehen.

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