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Schopenhauers Philosophie
 - eine Erlösungsreligion ?

Religion und Philosophie, meinte Arthur Schopenhauer,  sollten jede auf ihrem Gebiete bleiben.(1) Deshalb scheint die Frage, ob seine Philosophie auch eine Religion, vielleicht sogar eine Erlösungsreligion sei, von vornherein etwas abwegig zu sein. Dennoch ist sie nicht ganz unberechtigt, denn unter dem Stichwort Schopenhauer heißt es im Wörterbuch der Religionen :

“Höchste Entfaltung des Willens ist seine Selbstaufhebung; damit rückt Schopenhauer in die Nähe buddhistischer Gedanken, die wesentlich durch ihn weiteren Kreisen des Abendlandes vermittelt wurden.”(2)  Nach dieser durchaus zutreffenden Feststellung zitiert das Wörterbuch aus der 2. Auflage des Standardwerks Die Religion in Geschichte und Gegenwart:

“Bedeutsam sein [Schopenhauers] Hinausführen philosophischer Probleme auf religiöse. Trotz ihres formellen Atheismus und metaphysischen Pessimismus ist Schopenhauers Philosophie zutiefst religiös-ethische Erlösungslehre.” 

Abgesehen davon, ob Schopenhauers Atheismus tatsächlich nur “formell” und seine Willensmetaphysik pessimistisch ist, lässt sich wohl kaum bestreiten, dass Schopenhauers Philosophie in ihrem Kern den Gedanken der Erlösung enthält. So endet der für Schopenhauers Metaphysik zentrale Teil Bejahung und Verneinung des Willens im ersten Bandes seines Hauptwerkes Die Welt als Wille und Vorstellung mit dem Hinweis auf das “Pradschna-Paramita der Buddhaisten”.(4) Da der Buddhismus, auf den sich hier Schopenhauer bezog, eine Erlösungsreligion ist, liegt die Frage nahe, ob das nicht auch für Schopenhauers Erlösungslehre gilt.

Laut dem oben erwähnten Wörterbuch der Religionen spielt  Erlösung “in der Religion eine bezeichnende Rolle, so daß man von gewissen Religionen als Erlösungsreligionen spricht. In erster Linie gehören hierher Buddhismus und Christentum, aber auch die Religionen Indiens ...”(5)

Wie Schopenhauer oft hervorhob, stand er nicht nur dem Buddhismus, sondern auch dem im Hinduismus hoch bedeutsamen Vedanta sehr nahe. Demnach wäre es naheliegend, seine Lehre als eine Erlösungsreligion, ja sogar ihn selbst als Religionsstifter zu bezeichnen.

Obgleich Schopenhauer seine Lehre als Philosophie von der Religion abgrenzte, sah er es durchaus mit Wohlwollen, wenn seine Lehre von manchen seiner Anhänger wie eine Religion aufgenommen wurde. Dazu schrieb Wilhelm von Gwinner, der Arthur Schopenhauer noch persönlich kannte, in seiner Schopenhauer-Biografie:

“Er [Schopenhauer] legte Werth darauf, dass seine  Schriften von Dilettanten [d. h. von Philosophieinteressierten, die keine Berufsphilosophen wie es die von Schopenhauer oft kritisierten Universitätsprofessoren waren] und, nach deren Art, mit Enthusiasmus ergriffen wurden: nur bei ihnen [also nicht von den Philosophieprofessoren] hoffte er den zum Verständnisse nöthigen Grad von Unbefangenheit und Unabhängigkeit finden zu können, und am meisten freute es ihn, wenn er stets neue Beweise erhielt, daß seine scheinbar irreligiösen Lehren ´als Religion anschlugen`, und den leergewordenen Platz des verlorenen Glaubens ausfüllend, zur Quelle innerer Beruhigung und Befriedigung wurden.” (6)

Was hier bei vielen von Schopenhauers Anhängern “als Religion anschlug”,  hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass seine Philosophie das “metaphysische Bedürfnis des Menschen” zu befriedigen  vermag.(7) Das gilt auch für das Bedürfnis auf Erlösung aus dieser leidvollen Welt - ein Thema, welches in Schopenhauers Lehre wie kaum in einer anderen Philosophie von zentraler Bedeutung ist.(8) Insofern lässt sich Schopenhauers Philosophie, obwohl sie nicht mit religiösen Riten und Zeremonien verbunden ist, durchaus mit einer Erlösungsreligion vergleichen.  

Schopenhauer hatte niemals den Anspruch erhoben, ein Religionsstifter oder ein Heiliger zu sein. So erklärte er in einem Gespräch:   “Ich habe wohl gelehrt, was ein Heiliger ist, bin aber selbst kein Heiliger” (9) Zwar nicht als Heiligen, aber als “Meister” wurde und wird Schopenhauer von nicht wenigen seiner Anhänger hoch verehrt, und manche von ihnen haben bei Arthur Schopenhauer wohl gefunden, was über diese Welt voll Leid und Qual  hinausführt.


Weiteres  > Schopenhauers Philosophie als Ersatzreligion?
(Gedanken zum 5-jährigen Bestehen des
Arthur-Schopenhauer-Studienkreises von Herbert Becker.)

Anmerkungen
(1)
Schopenhauer-Register von Gustav Friedrich Wagner, neu hrsg. von Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstatt 1960, S. 347 (Stichwort: Religion mit Quellenangaben).
(2) Wörterbuch der Religionen / begr. von Alfred Bertholet ...,         3. Aufl., neu bearb. von Kurt Goldammer, Stuttgart 1976, S. 527 (Stichwort: Schopenhauer).
(3) Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977 (Zürcher Ausgabe), Band II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, S. 343.
(4) Ebd., S. 508.
(5) Wörterbuch, a. a. O., S. 162 (Stichwort: Erlösung).
(6) Wilhelm von Gwinner, Schopenhauers Leben, 3. Aufl., Leipzig 1910, S. 393.
(7) S. dazu: Schopenhauer, Werke, a. a. O., Band III: Die Welt ...I,  Kap. 17: Ueber das metaphysische Bedürfniß des Menschen.
(8) In diesem Zusammenhang sei verwiesen auf Johannes Volkelt (Arthur Schopenhauer, 5. Aufl., Stuttgart 1923, S. 365): “Hier [bei Schopenhauer] gibt es ein überzeitliches All-Eines, und dieses All-Eine hat, wenn es auch von ihm zunächst als triebhafter Wille  hingestellt wird, doch, tiefer betrachtet, metaphysisch-moralische Bedeutung, und in letzter Tiefe deutet es auf ein Reich namenlosen überschwenglichen Heiles hin. So gehören denn zu den Quellen des Innenlebens Schopenhauers, aus denen seine Philosophie gespeist wird, auch gewisse religiöse Erregungen. Diese flossen in sein Denken ein und ließen es bei Problemen verständnisvoll verweilen, die ihm sonst vielleicht ferne geblieben wären.”   
(9) Arthur Schopenhauer Gespräche, neue Ausg., hrsg. von Arthur Hübscher, Stuttgart-Bad Cannstadt 1971, S. 134.

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