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Arthur Schopenhauer

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Christentum und Philosophie
aus Arthur Schopenhauers Sicht

Anmerkungen

zum problematischen Verhältnis

 von christlichem Glauben und philosophischer Erkenntnis

Entweder glauben oder philosophieren!
 was man erwählt, sei man ganz.

 Arthur Schopenhauer (1)

Nach dieser klaren, Halbheiten ausschliessenden Aussage Schopenhauers liegt es nahe zu fragen: Sind Christentum und Philosophie miteinander vereinbar? - eine Frage, die, wie es scheint, auch durch die Geschichte beantwortet wurde:

Platon , so schrieb Schopenhauer in seinem Manuskript für seine Vorlesung an der Berliner Universität zur Einleitung über das Studium der Philosophie, “ist die wahre Schule des Philosophen, an ihm entwickeln sich philosophische Kräfte, wo sie vorhanden sind, am allerbesten. Daher hat jeder gewesene und wird jeder künftige Philosoph dem Platon unendlich viel zu danken haben: seine Schriften sind die wahre Denkschule, jede philosophische Saite des Gemüths wird angeregt und doch nicht durch aufgedrungene Dogmen wieder in Ruhestand versetzt, sondern ihr Thätigkeit und Freiheit gegeben und gelassen. Wer daher von Ihnen philosophische Neigung in sich spürt, der lese anhaltend den Platon: er wird nicht etwan gleich aus ihm ganz fertige Weisheit zum Aufspeichern nach Hause tragen, aber er wird denken lernen und zugleich disputiren lernen, Dialektik: er wird die Nachwirkung eines aufmerksamen Studiums des Platon in seinem ganzen Geiste spüren.”(2)

So war es für die weitere Entwicklung der abendländischen Philosophie ein sehr bedeutsames Ereignis, als Platon 385 v. Chr. eine Philosophenschule, genannt Akademie, gründete. Die Platonische Akademie bestand 900 Jahre (!), bis sie - nachdem das Christentum Staatsreligion geworden war - 529 n. Chr. von Kaiser Justinian geschlossen wurde. Es begann, so lässt sich wohl mit Schopenhauers Worten sagen, die Zeit des “düstern Mittelalters” (3). Gerade während dieser Zeit wurde das Verhältnis des Christentums zu den Ergebnissen philosophischer Erkenntnis zunehmend problematischer und für die Philosophen, denen es allein um die von ihnen erkannte Wahrheit ging, gefährlicher.

Es galt nun allein das Christentum als Staatsreligion, die, wie Arthur Schopenhauer in seiner Vorlesung hervorhob, eine freie Entfaltung der Philosophie nicht zuließ:

“Mit dem Eintritt des Christenthums mußte, wie die Weltgeschichte, so auch die Philosophie eine ganz andere Gestalt annehmen: letztere gewiß eine sehr traurige, da ein festes, vom Staat sanktionirtes, mit der Regierung jedes Staates ganz eng verknüpftes Dogma eben das Feld einnahm, auf welchem die Philosophie sich allein bewegt. Alles freie Forschen mußte nothwendig ganz aufhören. Die Kirchenväter benutzten inzwischen aus der Philosophie der Alten, was eben zu ihren Lehren brauchbar war und paßte: das Uebrige verdammten sie und sahen mit Abscheu auf das blinde Heidenthum.

Im eigentlichen Mittelalter, wo die Kirche den höchsten Gipfel erreichte, und die Geistlichkeit die Welt beherrschte, mußte diesem entsprechend die Philosophie am tiefsten sinken, ja in gewissem Sinne, nämlich als freies Forschen betrachtet, untergehn und statt ihrer ein Zerrbild ihrer selbst, ein Gespenst, das bloß Form ohne Substanz war, unter ihrem Namen dastehn: die Scholastik. Diese gab nie vor, etwas Anderes [sein] zu wollen, als die Dienerin der Theologie..., nämlich ihre Dogmen erklären, erläutern, beweisen u. s. f.

Der Kirchenglaube herrschte nicht nur in der Aussenwelt und mit physischer Macht so, daß die leiseste Abweichung von ihm ein todeswürdiges Verbrechen war; sondern er hatte sich, dadurch, daß alles Denken und Thun sich nur um ihn drehte, auch wirklich der Geister, die schon mit dem allerersten Bewußtseyn sogleich ihn aufnehmen mußten, dergestalt bemächtigt, daß er die Fähigkeit des Denkens, nach dieser Seite hin, gänzlich lähmte, und Jeder, selbst der Gelehrte, die hyperphysischen [über die Natur hinausgehenden] Dinge, die der Glaube lehrte, für wenigstens so real hielt, als die Aussenwelt, die er sah, und wirklich nie dahin kam, nur zu merken, daß die Welt ein ungelöstes Räthsel ist; sondern die früh aufgedrungenen Dogmen galten ihm wie faktische Wahrheit, an der zu zweifeln Wahnsinn wäre. Es konnte, vor dem lauten, von allen Seiten tönenden Ruf des Glaubens, gar Keiner nur zu so viel Besinnung kommen, daß er sich einmal ernstlich und ehrlich fragte: wer bin ich? was ist diese Welt? die auf mich gekommen ist, wie ein Traum, dessen Anfang ich mir nicht bewußt bin. –

Wie soll aber, wer noch nicht einmal das Räthsel vernehmen kann, die Lösung finden? An Nachforschung der Natur war auch nicht zu denken: dergleichen brachte in den Verdacht der Zauberei. Die Geschichte schwieg: die Alten waren meist unzugänglich; ihr Studium brachte Gefahr. Aristoteles, in ganz schlechten und verdrehten Saracenischen Uebersetzungen wurde gelesen und als übermenschlich verehrt, eben weil man ihn gar nicht verstand.

Und doch lebten auch damals, eben unter den Scholastikern, Leute von Geist und grosser Denkkraft. Ihr Loos ist durch ein Gleichniß verständlich zu machen: man denke sich einen lebhaften Menschen von Kindheit auf in einem Thurme gefangen, ohne Beschäftigung und Gesellschaft. Er wird aus den wenigen Gegenständen, die ihn umgeben, sich eine Welt konstruiren und sie mit seinen Phantasien bevölkern. So die Scholastiker, in ihren Klöstern eingesperrt, ohne deutliche Kunde von der Welt, von der Natur, vom Alterthum, von der Geschichte; allein mit ihrem Glauben und ihrem Aristoteles, konstruirten sie eine christlich-aristotelische Metaphysik: ihr einziges Bauzeug waren höchst abstrakte Begriffe, die weit von aller möglichen Anschaulichkeit lagen ...

Dagegen an Realkenntniß fehlte es ganz: der Kirchenglaube vertrat die Stelle der wirklichen Welt, der Erfahrungswelt. Und so, wie die Alten und heute wir über diese wirkliche, in der Erfahrung daliegende Welt philosophiren, so philosophirten die Scholastiker nur über den Kirchenglauben: den erklärten sie; nicht die Welt ..., denn [der Kirchenglaube] liegt ihnen immer viel näher als die Erfahrungswelt.

Am Leitfaden der unverstandenen und in ihrer gänzlichen Verstümmelung unverständlichen Aristotelischen Metaphysik wurde nun aus solchen abstrakten Begriffen und ihrer Entwickelung eine Philosophie gemacht, die aber in allen Stücken mit dem bestehenden und wunderlich zusammengekommenen Kirchenglauben harmoniren mußte. Der rege, thätige Geist, bei unausgefüllter Musse, nahm vor was er allein hatte, jene Abstrakta, ordnete, spaltete, vereinigte Begriffe, warf sie hin und her und entfaltete selbst bei diesem unfruchtbaren Geschäft oft bewundernswürdige Kräfte, Scharfsinn, Kombinationsgabe, Gründlichkeit, die eines bessern Stoffes würdig gewesen wären.”(4)

Wie die Geschichte zeigt, standen (und stehen wohl auch heute noch) christlicher Kirchenglaube und Philosophie in einem spannungsvollen Verhältnis  zueinander, das  mitunter zu schrecklichen Folgen für die betroffenen Philosophen führte. Wie furchtbar sich Abweichungen vom Kirchenglauben auswirken konnten, hatte Schopenhauer sehr  eindrucksvoll am Beispiel der auf dem Scheiterhaufen verbrannten Philosophen Giordano Bruno und Lucilio Vanini beschrieben.

Jedoch noch Jahrhunderte danach, war es für Philosophen nicht ungefährlich, wenn sie ihre dem christlichen Glauben widersprechenden Erkenntnisse veröffentlichten - es sei denn ein Philosoph kam auf den Thron, wie Schopenhauer am Beispiel von Kants 1781 erschienenem epochalen Werk Kritik der reinen Vernunft hervorhob: 

“Es ist gewiß keines der geringsten Verdienste Friedrich des Großen, daß unter seiner Regierung Kant sich entwickeln konnte und die Kritik der reinen Vernunft veröffentlichen durfte. Schwerlich würde unter irgend einer andern Regierung ein besoldeter Professor so etwas gewagt haben. Schon dem Nachfolger des großen Königs mußte Kant versprechen, nicht mehr zu schreiben.”(5)

Kant veröffentlichte dennoch 1787 eine zweite (umgearbeitete) Auflage seiner Kritik der reinen Vernunft , die von Schopenhauer im Gegensatz zur ersten Ausgabe nicht gelobt, sondern getadelt wurde:

“Kaum war der König [Friedrich der Große] todt, so sehn wir auch schon Kanten, weil er zur Gilde [der Philosophieprofessoren] gehörte, von Furcht ergriffen, sein Meisterwerk in der zweiten Ausgabe  modificiren, kastriren und verderben, dennoch aber bald in Gefahr kommen, seine Stelle zu verlieren.” (6)

Trotz der im Sinne der christlichen Obrigkeit umgearbeiteten (“kastrierten”) Neufassung der Kritik der reinen Vernunft wurde Kants Werk 1827 von der katholischen Kirche in den Index Romanus, also in die Liste der von ihr verbotenen Bücher aufgenommen.(7) Gegen Ende des Gutachtens, mit dem das Verbot begründet wurde, heißt es: “Nach alledem ist es nicht verwunderlich, wenn Kants Philosophie [...]vom größeren Teil der souveränen Herrscher und von fast allen Regierungen verboten worden und von jedem schlecht aufgenommen worden ist; wenn die berühmtesten ihrer Anhänger des Atheismus angeklagt und viele von ihren Lehrstühlen enthoben worden sind. Weil diese Philosophie jedoch heutzutage [1827] wieder in Mode kommt - insbesondere in Belgien und in Deutschland, wo sie viel Übles bewirkt und man mit viel Eifer versucht, sie auch in Italien einzuführen, scheint es mir nötig, sie zu verbieten, und zwar in der Absicht, das drohende Übel schon in seinen Anfängen zu bannen, das heißt sämtliche Exemplare, wo immer es möglich ist, aus dem Verkehr zu ziehen.”(8)

Der Widerstand der Kirche gegen Kants Philosophie ist durchaus verständlich, ist doch Kants Kritik der reinen Vernunft “der Kündigungbrief der bisherigen ancilla theologiae    [Magd der Theologie]”(9), also die Aufkündigung der mehr als ein Jahrtausend andauernden Unterwerfung der Philosophie unter die Theologie.

Die Meinung, dass die Philosophie der Theologie zu dienen habe, wurde jedoch - so als ob Kant nie gewesen wäre -  auch weiterhin vertreten, denn noch 1840 schrieb ein Philosophieprofessor der Universität Jena: “Leugnet eine Philosophie die Grundideen des Christenthums; so ist sie entweder falsch, oder, wenn auch wahr, doch unbrauchbar.”(10) So war, vielleicht etwas zu verallgemeinernd, für Arthur Schopenhauer “jeder Philosophieprofessor ..., so gut wie Heinrich VIII., ein defensor dei [Verteidiger des Glaubens].” (11)  

Seit Schopenhauers Zeit haben sich in der Philosophie wie in anderen Bereichen des Lebens die  Verhältnisse geändert: Der Kirchenglaube ist zwar immer noch in Staat und Gesellschaft sehr einflussreich, aber nicht mehr alleinherrschend, so dass die Philosophie jetzt ohne Gefahr für Leib und Leben zu Worte kommen darf, wie etwa die von Arthur Schopenhauer.(12) Hierbei sollte in der heutigen pluralistischen Gesellschaft wenigstens ein Nebeneinander von Christentum und Philosophie möglich sein, und zwar in Anlehnung an Schopenhauers Worte:

“Uebrigens ist die Philosophie wesentlich Weltweisheit: ihr Problem ist die Welt: mit dieser allein hat sie es zu thun und läßt die Götter in Ruhe, erwartet aber dafür, auch von ihnen in Ruhe gelassen zu werden.”(13)


Weiteres hierzu  >  Giordano Bruno  und  >  Lucilio Vanini

Quellen:

(1)  Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Zürich 1977
(Zürcher Ausgabe), Band X: Parerga und Paralipomena,
Kap. 15: Ueber Religion, S. 430.
(2)  Arthur Schopenhauer´s handschriftlicher Nachlaß,
hrsg. von Eduard Grisebach, 2. Band: Vorlesungen und
Abhandlungen, Einleitung in die Philosophie, Leipzig o. J., S. 42.
(3)  Schopenhauer , Nachlaß, a. a. O., S. 41.
(4)  Schopenhauer , Nachlaß, a. a. O., S. 43-46.
(5)  Arthur Schopenhauer , Werke, a. a. O.,  Band II:
Die Welt als Wille und Vorstellung I,S. 627.
(6)  Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band III:
Die Welt als Wille und Vorstellung II, S. 190.
(7)  Index Romanus. Zusammengestellt auf Grund der neusten vatikanischen Ausgabe von Prof. Dr. theol. et phil. Albert Sleumer, Studiendirektor i. R., 9. Aufl., Osnabrück 1934, S. 163.
(8) Peter Godman, Weltliteratur auf dem Index. Die geheimen Gutachten des Vatikans, Berlin - München 2001, S. 328 f.
(9)  Schopenhauer , Werke, a. a. O., Band VII:
Parerga und Paralipomena I, S. 208.
(10) Ebd., S. 158.
(11) Ebd., S. 208.
(12) Noch 2003 wurden Arthur Schopenhauers Werke von einer einflussreichen kathol. Organisation auf ihren Index der verbotenen Bücher gesetzt ( > Die Kasseler Liste , Stand: 24.11.2019):

Index der verbotenen Bücher: Arthur Schopenhauer

(13) Schopenhauer , Werke , Band III, a. a. O., S. 219.

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