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Arthur Schopenhauer

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Charakter und Motivation

 in Schopenhauers Lebensphilosophie

Äußere Einwirkungen ändern und formen nicht den Charakter, sondern sie offenbaren ihn nur.

Arthur Schopenhauer *

Das obige Zitat mag vielleicht etwas befremdlich erscheinen, muss aber deswegen nicht falsch sein:  Arthur Schopenhauer vertrat in seiner Lebensphilosophie die Meinung, dass der Charakter eines Menschen angeboren und nicht veränderbar sei. Jedoch dessen Verhalten könne sich durchaus ändern, denn dieses hänge nicht nur vom Charakter ab, sondern auch von den jeweiligen Umständen und Anlässen, die für den betreffenden Menschen zum - wie er es nannte -  Motiv seines Handelns werden. Sein angeborener, unverändert bleibender  Charakter  und seine (sich entsprechend der Umwelt ändernden) “Motive”, also seine jeweilige Motivation, würden bewirken, dass der  Mensch so und nicht anders handelt.

Zum Verhältnis von Charakter und Motivation hob  Schopenhauer nachdrücklich hervor: Die Motive bestimmen nicht den Charakter des Menschen, sondern nur die Erscheinung dieses Charakters, also die Taten ...  Da die Motive ... das Handeln, bestimmen ... kann die Handlungsweise eines Menschen merklich verändert werden, ohne daß man daraus auf eine Veränderung seines Charakters zu schließen berechtigt wäre. Was der Mensch eigentlich und überhaupt will, die Anstrebung seines innersten Wesens und das Ziel, dem er ihr gemäß nachgeht, dies können wir durch äußere Einwirkung auf  ihn, durch Belehrung, nimmermehr ändern: sonst könnten wir ihn umschaffen.**

Wer sich und seine Mitmenschen genau und lange genug in unterschiedlichen Lebenssituationen beobachtet hat und so über hinreichend Lebenserfahrung und Menschenkenntnis verfügt, wird diese Auffassung Schopenhauers nicht von vornherein verwerfen können. Mehr noch, die Realitäten deuten darauf hin, dass sie der Wahrheit sehr nahe kommt, ja wahrscheinlich sogar der Wahrheit entspricht.

Schopenhauers Aussagen über den Charakter des Menschen und die Motivation für dessen Handeln, die wesentlicher Teil seiner Lebensphilosophie sind, haben erhebliche praktische Bedeutung: Hiernach sind alle Bemühungen, den Charakter eines Menschen zu ändern, vergeblich. So endeten nicht wenige Partnerschaften, in denen versucht wurde, den Charakter des anderen Partners zu ändern, mit bitterer Enttäuschung oder sogar mit Trennung. Wer dennoch das Verhalten eines anderen Menschen beeinflussen will, muss ihm dazu eine hinreichend starke Motivation geben, welche ihn veranlasst, das Gewünschte zu tun oder zu unterlassen. Bei einem ausgeprägt egoistischen Charakter geschieht das, indem Belohnung oder Strafe in Aussicht gestellt werden. Hierbei geht es also um den persönlichen Eigennutz, der auch zur Motivation für ein allgemein als positiv bewertetes Handeln werden kann.

Andererseits können z. B. Appelle an das Mitgefühl durchaus Erfolg haben, wenn sie auf einen mitfühlenden Charakter stoßen. Ein solcher Charakter kann aber durch keinen noch so eindringlichen Appell erzeugt werden - er muss bereits vorhanden sein. Auch das gehört zu Schopenhauers Erkenntnissen. Diese mögen, wie so manches in der Philosophie Schopenhauers, unbequem sein, doch das spricht nicht gegen, sondern vielleicht sogar für ihren Wahrheitsgehalt, denn Wahrheiten sind oftmals unbequem und damit wenig populär. Auch bei seinen sehr tief begründeten Aussagen zum angeborenen, unveränderlichen Charakter des Menschen  ging es Schopenhauer nicht um Popularität, sondern allein um Wahrheit:

  Wenn nun auch die hier verfochtene Wahrheit zu denen gehören mag, welche den vorgefaßten Meinungen der kurzsichtigen Menge entgegen, ja, dem Schwachen und Unwissenden anstößig sein können; so hat mich dies nicht abhalten dürfen, sie ohne Umschweife und ohne Rückhalt darzulegen. ***                                                                                                                                

Arthur Schopenhauer :

Der Charakter des Menschen ist konstant: er bleibt der selbe, das ganze Leben hindurch. Unter der veränderlichen Hülle seiner Jahre, seiner Verhältnisse, selbst seiner Kenntnisse und Ansichten, steckt, wie der Krebs in seiner Schaale, der identische und eigentliche Mensch, ganz unveränderlich und immer der selbe. Bloß in der Richtung und dem Stoff erfährt sein Charakter die scheinbaren Modifikationen, welche Folge der Verschiedenheit der Lebensalter und ihrer Bedürfnisse sind.

Der Mensch ändert sich nie: wie er in einem Falle gehandelt hat, so wird er, unter völlig gleichen Umständen (zu denen jedoch auch die richtige Kenntniß dieser Umstände gehört) stets wieder handeln ... Zwar wird Mancher diese Wahrheit mit Worten leugnen: er selbst setzt sie jedoch bei seinem Handeln voraus, indem er Dem, der ein Mal unredlich befunden, nie wieder traut, wohl aber sich auf Den verläßt, der sich früher redlich bewiesen. Denn auf jener Wahrheit beruht die Möglichkeit aller Menschenkenntniß und des festen Vertrauens auf die Geprüften, Erprobten, Bewährten. Sogar wenn ein solches Zutrauen uns ein Mal getäuscht hat, sagen wir nie: “sein Charakter hat sich geändert”, sondern: “ich habe mich in ihm geirrt” ...

Man kann dem Egoisten zeigen, daß er durch Aufgeben kleiner Vorteile größere erlangen wird; dem Boshaften, daß die Verursachung fremder Leiden größere auf ihn selbst bringen wird. Aber der Egoismus selbst, die Bosheit selbst wird man Keinem ausreden; so wenig, wie der Katze ihre Neigung zum Mausen. ****
 


Anmerkungen
* Arthur Schopenhauer , Der handschriftliche Nachlaß, Band 1, München 1985, S. 89.
** Arthur Schopenhauer , Werke in zehn Bänden, Band I und II: Die Welt als Wille und Vorstellung I, Zürich 1977, S. 187 und 370.
*** Schopenhauer , a. a. O., Band VI: Die beiden Grundprobleme der Ethik , S. 132.
**** Ebd., S. 89 und 296.

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