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Arthur Schopenhauer über das Alter

Das Alter war für Arthur Schopenhauer auch eine Zeit der Beruhigung und Besinnung. Jedenfalls kann das Alter trotz seiner oftmals sehr negativen Begleiterscheinungen durchaus auch seine positiven Seiten haben, wie in den folgenden Textauszügen aus Schopenhauers Aphorismen zur Lebensweisheit deutlich wird:

“Die größte Energie und höchste Spannung der Geisteskräfte findet, ohne Zweifel, in der Jugend Statt, spätestens bis ins 35ste Jahr: von dem an nimmt sie, wiewohl sehr langsam, ab. Jedoch sind die späteren Jahre, selbst das Alter, nicht ohne geistige Kompensation dafür. Erfahrung und Gelehrsamkeit sind erst jetzt eigentlich reich geworden: man hat Zeit und Gelegenheit gehabt, die Dinge von allen Seiten zu betrachten und zu bedenken, hat jedes mit jedem zusammengehalten und ihre Berührungspunkte und Verbindungsglieder herausgefunden; wodurch man sie allererst jetzt so recht im Zusammenhange versteht.

Alles hat sich abgeklärt. Deshalb weiß man selbst Das, was man schon in der Jugend wußte, jetzt viel gründlicher; da man zu jedem Begriffe viel mehr Belege hat: Was man in der Jugend zu wissen glaubte, Das weiß man im Alter wirklich, überdies weiß man auch wirklich viel mehr und hat eine nach allen Seiten durchdachte und dadurch ganz eigentlich zusammenhängende Erkenntniß; während in der Jugend unser Wissen stets lückenhaft und fragmentarisch ist.

Nur wer alt wird, erhält eine vollständige und angemessene Vorstellung vom Leben, indem er es in seiner Ganzheit und seinem natürlichen Verlauf, besonders aber nicht bloß, wie die Uebrigen, von der Eingangs-, sondern auch von der Ausgangsseite übersieht, wodurch er dann besonders die Nichtigkeit desselben vollkommen erkennt, während die Uebrigen stets noch in dem Wahne befangen sind, das Rechte werde erst noch kommen. [...]

Im weitern Sinne kann man auch sagen: die ersten vierzig Jahre unseres Lebens liefern den Text, die folgenden dreißig den Kommentar dazu, der uns den wahren Sinn und Zusammenhang des Textes, nebst der Moral und allen Feinheiten desselben, erst recht verstehn lehrt.

Gegen das Ende des Lebens nun gar geht es wie gegen das Ende eines Maskenballs, wenn die Larven abgenommen werden. Man sieht jetzt, wer Diejenigen, mit denen man, während seines Lebenslaufes, in Berührung gekommen war, eigentlich gewesen sind. Denn die Charaktere haben sich an den Tag gelegt, die Thaten haben ihre Früchte getragen, die Leistungen ihre gerechte Würdigung erhalten und alle Trugbilder sind zerfallen. Zu diesem Allen nämlich war Zeit erfordert. –

Das Seltsamste aber ist, daß man sogar sich selbst, sein eigenes Ziel und Zweck, erst gegen das Ende des Lebens eigentlich erkennt und versteht, zumal in seinem Verhältniß zur Welt, zu den Andern.  [...]

Erst im spätern Alter erlangt der Mensch [...] die unmittelbare, aufrichtige und feste Ueberzeugung von der Eitelkeit aller Dinge und der Hohlheit aller Herrlichkeiten der Welt: die Chimären sind verschwunden. Erwähnt nicht mehr, daß irgendwo, sei es im Palast oder der Hütte, eine besondere Glücksäligkeit wohne, eine größere, als im wesentlichen auch er überall genießt, wenn er von leiblichen oder geistigen Schmerzen eben frei ist. Das Große und das Kleine, das Vornehme und Geringe, nach dem Maaßstab der Welt, sind für ihn nicht mehr unterschieden.

Dies giebt dem Alten eine besondere Gemüthsruhe, in welcher er lächelnd auf die Gaukeleien der Welt herabsieht. Er ist vollkommen enttäuscht und weiß, daß das menschliche Leben, was man auch thun mag es herauszuputzen und zu behängen, doch bald, durch allen solchen Jahrmarktsflitter, in seiner Dürftigkeit durchscheint und, wie man es auch färbe und schmücke, doch überall im Wesentlichen das selbe ist, ein Daseyn, dessen wahrer Werth jedesmal nur nach der Abwesenheit der Schmerzen, nicht nach der Abwesenheit der Genüsse, noch weniger des Prunkes, zu schätzen ist. [...]

Die Meisten freilich, als welche stets stumpf waren, werden im höhern Alter mehr und mehr zu Automaten: sie denken, sagen und thun immer das Selbe, und kein äußerer Eindruck vermag mehr etwas daran zu ändern, oder etwas Neues aus ihnen hervorzurufen. Zu solchen Greisen zu reden, ist wie in den Sand zu schreiben: Der Eindruck verlischt fast unmittelbar darauf. [...]

 Das Leben in den Jahren des Alters gleicht dem fünften Akt eines Trauerspiels: man weiß, daß ein tragisches Ende nahe ist; aber man weiß noch nicht, welches es seyn wird. Allerdings hat man, wenn man alt ist, nur noch den Tod vor sich, aber wenn man jung ist, hat man das Leben vor sich; und es frägt sich, welches von Beiden bedenklicher sei, und ob nicht, im Ganzen genommen, das Leben eine Sache sei, die es besser ist hinter sich, als vor sich zu haben .” *


* Arthur Schopenhauer : Werke in zehn Bänden , Zürich 1977,  Band VIII:  Aphorismen zur Lebensweisheit, Kapitel VI: Vom Unterschiede der Lebensalter”, S. 531-538.

> Arthur Schopenhauer : Tod und Leben

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